I wü das Beste für di

ANTI-AUSTROPOP Der junge Wiener Bänkelsänger Voodoo Jürgens ist schwer im Kommen. Er singt im Wiener Dialekt der Arbeiterbezirke

Erst Konditorlehre, dann Friedhofsgärtner und immer leiwand: Voodoo Jürgens mit beschreibungsherausfordernder Frisur Foto: Wolfgang Bohusch

Der Kragen des aus dem Fundus der Siebziger stammenden blauen Hemds steht spitz über das dunkle Jackett des schlaksigen jungen Mannes; seine Frisur ist eine Mischung aus Prinz Eisenherz und Vokuhila. Voodoo Jürgens stellt sein Bier auf dem Oberschenkel ab, die linke Hand lässt er am Flaschenhals. Mit der Rechten raucht er. Asche, die auf seine Hose fällt, schenkt er keine Beachtung. Im Berliner Badehaus Szimpla sitzt Voodoo Jürgens vor seinem Konzert im winzigen Backstageraum auf einem braunen Ledersofa. Die oberen Hemdknöpfe betont offen, zwei Silberketten kommen so zum Vorschein.

Voodoo Jürgens’ Debütalbum „Ansa Woar“ – also „Einserware“ oder auch „Beste Ware“ – landete sofort nach Veröffentlichung auf Platz eins der österreichischen Albumcharts, auch seine erste Single „Heite grob ma Tote aus“ wurde gleich zum Hit; demnächst erscheint wieder eine hitverdächtige Nummer, „Hanis Da Boxer“. Selbst das Konzert in Berlin ist ausverkauft. Vielleicht, weil er in seinen Liedern glaubwürdige Geschichten erzählt und ein Klischee verkörpert. Voodoo Jürgens singt im bedeutungsschwangeren Wiener Dialekt und schlüpft dabei in Rollen. In „3 Gschichtn ausn Café Fesch“, erzählt er von einem Versager, einem amputierten Bein und dem goldenen Schuss. Es sind Storys, die er tatsächlich so gehört hat. Dann ist er die Freundin von „Gitti“, die versucht, sie vor einem Vorstadtcasanova zu bewahren: „I bin die Freindin Gitti / Und I wü nur das Beste für di /Owa in meine Augen sads es zwa / Ka guate Partie.“

Und er erzählt autobiografisch über seine Heimatstadt Tulln. Von den Tritten im Kindergarten, der verunglückten ersten Liebe, dem Gefängnisaufenthalt des Vaters und dem Geruch – „Zwischen Zuckerbude und Kadaverfabrik / Wo’s siaßlat oder nach hinige Viecher riacht“. Es ist ein Geruch, der seine Jugend begleitet, bevor er mit 16 nach der abgebrochenen Konditorlehre zu Hause rausfliegt und nach Wien geht und fortan als Friedhofsgärtner arbeitet.

Gitarre mit Antifa-Pickerl

Voodoo Jürgens macht in seiner Musik sehr deutlich, warum Wien auch als westlichste Stadt des Balkans bezeichnet wird: Die östlichen Einflüsse sind nicht zu verleugnen. Der 33-Jährige nennt seinen Sound Anti-Folk oder Anti-Austropop. Auf der Bühne steht er mit seiner Band, der „Ansa Panier“ („Einserpanier“ – frei übersetzt „slickes Outfit“), mit Piano, Kontrabass, Schlagzeug und der „Quetschn“ – einem Akkordeon also.

Ob er politisch sei? „Nicht direkt“, antwortet er. „Aber ich erschaffe in den Texten schon Situationen, die politisch interpretiert werden können – und ich hab ein Antifa-Pickerl auf meiner Gitarre.“ Es hätten ihn deshalb schon Leute beschimpft. Doch es sei „auch irgendwie schön, wenn man dann gleich positioniert ist“. Da werfe einem dann keiner Heimattümelei vor, ob des Dialekts.

Heimatbezogene Sehnsucht

Die Art des Wienerischen, in der er singt, diente früher der so­zialen Markierung. Es ist ein Dialekt, der sich ein bisschen antik anfühlt, den man aus Arbeiterbezirken sehr wohl kennt, von Leuten, die sich Sorgen machen müssen, die unzufrieden sind. In den Innenstadtbezirken Wiens pflegte man eher „Schönbrunner Deutsch“, bekannt durch langgezogene und nasale Sprechweise, die einst auch Falco interpretiert hat.

Es liegt heimatbezogene Poe­sie und Sehnsucht in „Ansa Woar“, die sich vielleicht nur einem Wiener komplett offenbart. Ob man ihn in Berlin überhaupt versteht? „In den Texten beziehe ich mich auf einen Dialekt, den meine Eltern gesprochen haben – davon verstehen auch junge Wiener heute nicht mehr alles. Die meisten wissen aber sofort, worauf ich hinauswill. Wer sich mit den Texten auseinandersetzt, versteht sie auch.“

Früher hat Voodoo Jürgens mit seiner Band Die Eternias auf Englisch gesungen. Das sei eher Ziegenpeterenglisch gewesen, sagt er. „Es war zwar kein Geheimplan, irgendwann den Dia­lekt rauszuholen, ich wollte das schon früher machen. Ich liebe Phrasen und Alltagsgebräuche, aber mit 20 hätte man sie mir nicht abgenommen.“ Sein Künstlername ist übrigens ein Überbleibsel der letzten Band, in der die Mitglieder wechselnde Pseudonyme hatten. Dieses war schlicht sein letztes.

Voodoo Jürgens – sein Vorname ist eigentlich David, seinen Nachnamen will er nicht so gern in der Zeitung sehen, nicht weil er etwas zu verbergen hat, sondern weil er meint: „Wozu nimmt man sich denn dann einen Künstlernamen?“ –, geht Vergleichen mit Stefanie Sargnagel und Wanda elegant aus dem Weg: „Wir sind schon lange befreundet, und jeder macht sein Ding. Ich muss da vorsichtig sein, weil die Leute mir sonst ein Image anhängen.“ Was er damit meint, ist die weit verbreitete Haltung in der österreichischen Musikszene, alles, was erfolgreich ist, runterzumachen. „Die Wiener sudern viel herum. Städte haben immer ihre Eigenheiten und das Granteln ist schon etwas spezifisch Wienerisches – das merkt man sofort, wenn ich im Ausland unterwegs bin.“ Saskia Hödl

Voodoo Jürgens: „Ansa Woar“ (Lotterlabel/Broken Silence)

Voodoo Jürgens & Der Nino Aus Wien: „Hansi Da Boxer“ (Problembär/Rough Trade)