Neues Album von Schnipo Schranke: „Ein Song ist bei uns nie nur ein Gag“

Schnipo Schranke werden gerne auf ihren Fäkalhumor reduziert. Anlässlich ihres neuen Albums „rare“ erzählen die Musikerinnen, um was es ihnen eigentlich geht.

Daniela Reis (rechts) und Friederike Ernst, alias Schnipo Schranke, vor pinkfarbenem Hintergrund

„Man muss etwas opfern, damit es für andere eine Bereicherung ist“: Schnipo Schranke Foto: dpa

taz.am wochenende: Ihr Album heißt „rare“ und das Cover sieht fast wie ein Gebirgsrelief aus …

Daniela Reis: Eigentlich ist es ein Stück Rindfleisch. Und das englische „rare“ meint ja nicht nur „selten“ und „roh“, sondern auch „ungewöhnlich“ und „irre“. Blutig ist es ja sowieso.

Fritzi Ernst: Und ein bisschen eklig.

Sie haben das Album in einem Landhaus in Reichenow aufgenommen. Wo ist das?

Ernst: Ganz tief im Osten. Ich hatte schon polnisches Netz auf dem Handy.

Reis: Ein Badesee war gleich um die Ecke, ziemlich romantisch. Richtig Bullerbü-mäßig. Wenn ich daran denke, wünsche ich mich dahin zurück. Irgendwie war diese Woche die bisher beste meines Lebens. Man hatte nichts anderes zu tun, als sich Zeit für die Songs zu nehmen. Wir waren maximal gelassen und gut drauf. Was bei uns nicht immer so ist.

Sie kennen sich von der Musikhochschule in Frankfurt am Main. Wie war das da?

Ernst: Man wird auf seinem Instrument ausgebildet, aber Krea­ti­vität ist eher unerwünscht. Wenn man den Vorstellungen nicht entspricht, ist man halt schlecht. Als wir mit der Band anfingen, habe ich von Dozenten zu hören bekommen, dass ich mir das noch mal überlegen soll, weil man damit keinerlei berufliche Perspektive habe.

Reis: Dabei hätten wir mit klassischer Musik wahrscheinlich auch nie viel verdient. Es wird einem vorgegaukelt, dass man dort eine Ausbildung macht, von der man irgendwann leben kann. Aber wir hätten maximal Musiklehrer werden können.

In der taz haben Sie 2015 über die fehlende Frankfurter Musikszene geschimpft. Deshalb der Umzug nach Hamburg?

Ernst: Wir hatten Rocko Schamoni kennengelernt und uns ein bisschen über Hamburg informiert. Da gibt es vieles, was uns gefällt. Und wir haben viel Zuspruch von der dortigen Szene erfahren.

Reis: Als wir in Hamburg ankamen, war es, als wären die Betten für uns schon gemacht. Frank Spilker von den Sternen hat uns letztens erzählt, dass er unsere YouTube-Videos schon kannte, bevor wir nach Hamburg kamen. In Frankfurt hat das keinen interessiert. Als wir letztes Jahr in Frankfurt spielten, habe ich mich dafür entschuldigt, dass wir so über die Stadt gelästert haben. Aber da hat keiner widersprochen, die haben alle gejubelt.

Murali Perumal lebt als Schauspieler in München. Wenn er spielt, dann meistens Täter. Er sagt, dass es Racial Profiling sogar im Theater gibt. Warum er keine Lust hat, immer den „Inder vom Dienst zu geben“, lesen Sie in der taz.am Wochenende vom 28./29. Januar. Außerdem: Eine Sachkunde, die Licht ins Dunkel multipler ÖPNV-Systeme bringt, ein Plädoyer für eine Getränkebegleitung jenseits von Rot- und Weißwein und eine Reise auf den Spuren des Buddhismus in Indien. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Kostet es Überwindung, Songs, die so persönlich sind wie Ihre, auf der Bühne zu spielen?

Ernst: Immer. Man muss etwas opfern, damit es für andere eine Bereicherung ist. Man muss sich aus seiner Wohlfühlzone herausbegeben.

Reis: So können wir aber einfach wir selbst bleiben. Das geht in der Klassik nicht. Da muss man sich an eine Etikette halten. Die Privatheit unserer Texte führt dazu, dass wir auch schlecht gelaunt auf die Bühne gehen können, ohne dass es fürs Publikum unerträglich wird. Ein Abend wird vielleicht noch wertvoller, wenn man zeigt, dass es einem nicht so gut geht.

Schreiben Sie alle Ihre Songs zusammen?

Reis: Jede schreibt für sich. Aber wir sind eine Band und finden es schöner, wenn beide für jeden Song Credits bekommen.

Ernst: Selbst wenn man den Song ganz allein gemacht hat, würde der ja ohne die andere gar nicht stattfinden.

Was entgegnen Sie denen, die Sie als Performance-Künstler bezeichnen? Jenen, die sagen, Sie würden mit Texten, in denen es um Pimmel und Sperma geht, vor allem provozieren wollen?

Ernst: Wir sehen uns als Band, das ist keine Performance. Wir empfinden unsere Texte auch nicht als provokant. Wir schreiben persönliche Songs. Das ist kein künstlich heraufbeschworenes Gesamtkonzept.

Reis: Wir sind auch privat Freunde des Fäkalhumors. Ich bin davon ausgegangen, dass es längst salonfähig ist, in der Popmusik solche Worte zu verwenden. Mittlerweile weiß ich, dass das in der Presse noch immer für Aufsehen sorgt. Im deutschen Schlager pickt man sich gern die blumigen Seiten heraus. Aber warum soll ich darüber singen, dass mein Gatte mich liebkost, wenn er mir doch den Finger in den Po gesteckt hat? Das ist doch viel interessanter. Ich hoffe, dass das Thema irgendwann fallen gelassen wird und hingenommen wird, dass so etwas Teil unserer Sprachkultur ist.

Ernst: Wir haben von deutschsprachiger Musik wenig mitbekommen, bevor wir nach Hamburg kamen. Wir hörten Hip­Hop, wo es üblich ist, sich direkter auszudrücken.

Reis: Wir fanden und finden es einfach lustig. Aber ein Song ist bei uns nie nur ein Gag. Wir waren naiv. Jetzt wissen wir, dass das als Statement verstanden wird. Wir wollen auf der Bühne so reden, wie wir es auch privat tun. Wenn wir uns da zurücknehmen, wäre es nicht mehr echt. Wenn man das eklig findet, bin ich beleidigt. Dann muss man sich mit mir prügeln.

Daniela Reis

„Die Privatheit unserer Texte führt dazu, dass wir auch schlecht gelaunt auf die Bühne gehen können“

Was hören Sie noch außer HipHop?

Reis: Ich finde diese Frage wahnsinnig privat. Ich kann darüber schlechter reden, als übers Ficken zu singen. Ich denke immer, dass die Leute anhand meiner Lieblingsband direkt in mich reingucken können. Ich fühle mich ertappt, man könnte herausfinden, womit ich mich identifiziere. Meine Lieblingsbands sind The Cure und New Order. Ich kannte das alles gar nicht. Wir saßen in dieser Klassiknische und haben uns nur mit Beethoven & Co. beschäftigt. Im letzten Jahr tat sich dann ein neues Universum auf, wir haben Synthesizer für uns entdeckt und Musik gehört, in der die vorkommen. Es ist vielleicht für manche desillusionierend, dass wir nicht total abgefahrenen Scheiß hören. Aber es ist viel faszinierender, Bands zu beobachten, die schon lange dabei sind, als junge Künstler.

Die Personen, die Sie besingen, scheinen immer unerreichbar. In „Gast“ beobachtet die Protagonistin von einem Baum aus ihren Geliebten in seinem Zimmer.

Ernst: Es ist immer einfach, jemanden anzuhimmeln, den man kaum kennt. Das ist eine Schwäche, die wir in dem Song ausleben. Bei uns geht es oft um Situationen, in denen man extreme Gefühlslagen durchlebt. Das sind Momentaufnahmen, wir fühlen uns auch nicht immer schlecht.

Suizid ist mehrfach ein Thema in Ihren Songs.

Reis: Für mich ist es keine Entblößung, darüber zu singen. Ich würde mir wünschen, dass Themen wie psychische Krankheiten offen angesprochen werden. Sie sind doch kein Grund, sich schwächer als andere fühlen zu müssen. Es würde jedem besser gehen, darüber zu reden. Es gibt Kreise, in denen das weniger leicht möglich ist als unter uns Musikern. Ich therapiere mich selbst, wenn ich darüber schreibe. Ist der Song fertig, habe ich das genügend reflektiert und kann vielleicht sogar darüber lachen.

Daniela Reis (*1988) und Fritzi Ernst (*1989) sind Schnipo Schranke. Sie lernten sich beim Klassikstudium in Frankfurt am Main kennen. Reis studierte Cello, Ernst Blockflöte. Ihr Debütalbum mit dem heimlichen Hit „Pisse“ erschien 2015 auf Buback Records. Der Gitarrist der Goldenen Zitronen, Ted Gaier, hat auch ihr neues Album „rare“ produziert, das am 27. Januar auf dem Hamburger Label Buback Tonträger erscheint. Darauf sind zwölf eingängig-­obszöne Songs – schmutzige Pop-Chansons, die Anleihen bei der Neuen Deutschen Welle nehmen. Musikalischer Dilettantismus ist gewollt. So hat Fritzi Ernst sich beispielsweise selbst das Schlagzeugspiel beigebracht.

Über Depressionen haben schon viele im Pop gesungen, aber bei Ihnen ist es ungewöhnlich explizit.

Reis: Ich mag klare Worte. Ich hätte das Gefühl, nicht alles gegeben zu haben, wenn ich das verschweigen würde. Ich stelle mich auf eine Bühne, weil ich die Leute unterhalten möchte und möchte, dass sie mir zuhören. Aber vielleicht will ich mich ja mit denen auch austauschen. Wenn man schon diesen Schritt macht, dann muss man auch mit der vollen Wahrheit herausrücken. Ich finde das normal. Vielleicht ist das der Grund, dass wir auf der Bühne stehen, und nicht diejenigen, denen es gerade gut geht. Wir wollen jedenfalls nichts Belangloses berichten. Mir persönlich hat es schon oft geholfen, wenn Künstler so etwas tun. Man hat das Gefühl, nicht so allein zu sein.

Würden Sie sich selber als Aushängeschild einer neuen Generation von Feministinnen sehen?

Ernst: Es war uns am Anfang nicht bewusst, dass unser Geschlecht eine Rolle spielt. Aber genau das wurde in fast jedem Artikel thematisiert. Wir möchten, dass es als normal angesehen wird, dass wir als Frauen solche Texte schreiben.

Reis: Von dir als Frau wird immer erwartet, dass du dich zum Thema Feminismus positionierst. Wenn du keine Meinung hast, giltst du als antifeministisch. Schon dass wir ständig dazu befragt werden, ist doch sexistisch. Dann hat man plötzlich doch Bock, Feministin zu sein. Dabei hätten wir es so gern, dass es das Problem gar nicht gibt. Wir würden gern sagen, dass wir drauf scheißen.

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