Die Revolution ist vorbei

Intendanten Zwei große Männer verlassen ihre Bühnen: Frank Castorf verabschiedet sich am Samstag von der Volksbühne, Claus Peymann gibt am Sonntag im Berliner Ensemble seine letzte Vorstellung. Fünf taz-AutorInnen sagen Tschüss und danke schön

Frank Castorf, seit 1992 Intendant der Volksbühne, tritt am Samstag ab Foto: Amin Akhtar/laif

Auch Claus Peymann, seit 1999 Chef des Berliner Ensembles, geht Foto: Paul Zinken/dpa

Seit 1999 war Claus Peymann Intendant, künstlerischer Leiter, Geschäftsführer und Alleingesellschafter des Berliner Ensembles (BE). Am Sonntag, 2. Juni, ist Schluss damit. Im September legt dann Oliver Reese am BE los. Der Theaterregisseur und Autor leitete zuletzt das Schauspiel Frankfurt in Frankfurt am Main.

Am heutigen Freitag wird die Spielzeit am BE mit Robert Wilsons „Dreigroschenoper“ (19 Uhr) und dem Stück „Schwarze Milch der Frühe – der Dichter Paul Celan“ (20 Uhr) beendet, Restkarten an der Abendkasse.

Am Sonntag verabschiedet sich das Peymann-BE ab 19 Uhr mit einer großen Abschiedsparty.

Seit 1992 wirkt Frank Castorf als Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, doch auch das ist nun zu Ende. Am 10. September übernimmt der in Berlin umstrittene Chris Dercon, zuletzt Direktor der Tate Gallery of Modern Art in London, die Volksbühne: allerdings zunächst mit Stücken auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Am Rosa-Luxemburg-Platz beginnt die neue Volksbühnen-Ära am 10. November.

An diesem Samstag, 1. Juli, um 20.30 Uhr macht die Volksbühne dicht, und zwar nach der letzten Vorstellung von Castorfs „Baumeister Solness“ (Vorstellung ist ausverkauft, aber am Samstag ab 12 Uhr gibt es kostenlose Tickets für die Videoübertragung im Foyer). Es folgt ein rauschendes Abschiedsfest auf dem Rosa-Luxemburg-Platz und der gesamten gleichnamigen Straße für alle, der Eintritt ist frei. (sm)

Narren und Heilige

Da kam der Kran und hob den „Ost“-Schriftzug von dannen. Es gibt nichts Öderes als das Pathos des Beleidigtseins. Früher, in den goldenen Neunzigern, war die Volksbühne ein generöser und anarchischer Ort. Hier trafen sich Leute, die sich in Äquidistanz zu den Herrschaften in Ost und West aufgehalten hatten. Die Volksbühne war ein Theater der antibürgerlichen Intellektuellen, der prekären Projektemacher, der temporären autonomen Subjekte.

Einen Moment lang war der große Saal der Volksbühne für Theaterleute aus der ganzen Welt der Heilige Gral. Wenn man drin saß, erlebte man die alte Katharsis und einen gegenwärtigen, knallbunten Radikalismus der Formen und Sprechweisen. Manchmal war es vor akademischem Popdiskurs bloß sterbenslangweilig.

Einmal hatte ich Angst. Würde der verrückte Schlingensief gleich mit der Kamera vor einem stehen, würde man sich dann stammelnd zum Narren machen? Am Ende sind es immer einzelne Menschen, die einen abstoßen, provozieren, begeistern. An der Volksbühne war es Christoph Schlingensief, der das am besten konnte.

Frank Castorf hat 1997 einen schönen Satz gesagt, an den man sich heute erinnern sollte: Für mehr als fünf Jahre reiche die revolutionäre Kraft nicht. Nicht bei ihm und nirgendwo sonst. Ulrich Gutmair

Servus, Zirkusdirektor

Es ist gefühlte Lichtjahre her, Claus Peymann war gerade neuer Direktor im Theater am Schiffbauerdamm geworden, da lud er zu einem Baustellenrundgang ein. Das marode Berliner Ensemble (BE) sollte umfassend renoviert werden. Peymann, theatralisch in existenzialistischem Schwarz gekleidet, begrüßte per Handschlag. Er sprach damals noch mit der taz – bis zur Abo-Kündigung wegen angeblicher Inkompetenz der Kulturredaktion.

Andere Kultur-Baustellenrunden, bei allem Respekt, liebe Herren Khuon (DT) oder Flimm (Staatsoper), waren langweilige Parcours, ja zum Vergessen, verglichen mit Peymanns Baustellentheater. „Licht!“, schrie er, als er auf der Bühne stand. „Bitte Musik. Lauter.“ Es folgten Sätze von Kleist, Bernhard und Handke, die etwas mit Abriss oder Aufbau zu tun hatten und zum BE passen sollten. Stühle wurden zu Kulissen getürmt, die Empore war der Balkon von Verona.

Es ging so vom Keller über das Direktorenzimmer – „wo der Castorf niemals reinkommt“ – bis unters Dach. Wie das Haus renoviert werden sollte, wusste man danach. Wer Regie beim Bau und danach am BE führt, auch. Am Ende hockte sich der Alleinunterhalter ins Kassenhäuschen: „Auch das mach ich, ich bin schließlich der Theaterdirektor.“ Es war die ganz große Ego-Show. Rolf Lautenschläger

Theater zu Parkhäusern

Bevor ich nach Berlin kam, war Theater etwas Verpöntes. Etwas, das man grundsätzlich ablehnte – entweder als kunststaatlich, bildungsbürgerlich, elitär oder als all das zusammen. Ganz nach dem Motto, das der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke von der Pop­fraktion einmal so formulierte: „Theater zu Parkhäusern!“

Ganz vernünftige Leute

Umso überraschender, dass sich auf den ersten Blick ganz vernünftige Leute in Berlin ernsthaft fürs Theater interessierten, und nicht nur, um Tante zu imponieren.

Das erste Stück, das ich mir freiwillig ansah, war eines aus der Telefavela-Reihe von René Pollesch: im Sommer, auf einer Weddinger Brachfläche. Es war laut, es hatte viel Musik, ungehörig viel Text, von dem man allerhöchstens ein Viertel verstand, es hatte sperrige Schauspielerinnen und alberne Kostüme, kurzum: Es war großartig. Das also konnte Theater sein!

In die Volksbühne selbst kam ich erst wesentlich später – die Pollesch-Stücke liefen noch alle am Prater, der Ausweichbühne. Irgendwann schaffte es Pollesch aber doch ins Haupthaus. Und kaum war er da, entdeckte ich auch die anderen – besonders Herbert Fritsch.

Vor Castorf hatte ich dagegen immer Angst. Und Christoph Schlingensief fand ich zu drüber. René Hamann

Das Theater als Tankstelle

Auf der Bühne steht eine Tankstelle, dunkelblau leuchtend. Irgendwann rennt ein kleiner – echter – Hund durchs Bild; Lacher im Publikum. Prompt taucht das Tier ein paar Minuten später wieder auf. Die meisten Schauspieler sind längst patschnass einem Becken entstiegen.

Volksbühne, Anfang, Mitte der nuller Jahre. Mehr ist mir von dem Stück nicht im Gedächtnis geblieben. Nicht der Name, nicht die Story, auch nicht, wer da nass über die Bühne rannte. Nur die blau leuchtende Tanke, dieser prototypische Ort vorstädtischer Einsamkeit, und der Hund stehen mir noch vor Augen. Und die damit verbundene leicht ironische, oft auch ziemlich trashige Atmosphäre.

Intendant Frank Castorf hatte es damals nicht leicht: Es war die Zeit, als jedes seiner Stücke verrissen und sein Abgang herbeigesehnt wurde – auch von vielen, die ihn heute in den Theaterhimmel schreiben.

Ist es schlimm, dass ich nicht mehr über die Aufführung im Gedächtnis behalten habe? Nein. Die Handlung der Stücke an der Volksbühne war sowieso nie zum Nacherzählen gedacht, die Schauspieler meistens super, an viele Stücke an anderen Theatern kann ich mich noch viel weniger erinnern. So bleiben mir meist ein, zwei Bilder selbst von schlechten Stücken, Fotografien gleich. Es sind Bilder einer wilden (Theater-)Zeit. Bert Schulz

Zum Abgewöhnen

Es gibt Menschen, die in der Volksbühne das Theater entdeckten, das sie bis dahin zu bürgerlich fanden (siehe neben stehender Text von René Hamann). Andere haben sich in der Volksbühne das Theater gründlich abgewöhnt. Es war Mitte der Neunziger, ich hatte keine Ahnung und versuchte es mit Tanztheater von Johann Kresnik. Ich wurde bei dem Gemetzel da vorn von einer Müdigkeit befallen, wie ich sie weder davor noch danach je erlebt habe. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Seither mache ich einen ziemlichen Bogen ums Theater.

Trotzdem bin ich traurig, dass jetzt Schluss ist mit diesem anarchischen, anstrengenden Ort, wie es sonst keinen gibt auf der Welt. Ich war natürlich trotzdem noch oft da, in den Neunzigern und auch in den zwanzig Jahren danach. Denn die Volksbühne war ja viel mehr als ein Theater. Unvergessene Videoschnipselabende von Kuttner, tolle Konzerte.

Das Beste war das von Nick Cave vor fast 17 Jahren. Wir saßen in der ersten Reihe, direkt vor diesem besten Sänger aller Zeiten. Wir hätten ihn anfassen können! Auch hatten wir einen Freund dabei, der genauso buschige Augenbrauen hat wie Cave. Wir mussten ihn mit seinem Star fotografieren, auf dem Sofa im Foyer, wenn man reinkommt, rechts. Die vier Brauen wirkten auf dem Bild wie eine einzige. Susanne Messmer