Ein Jahr „Nein heißt Nein“

Recht Vor einem Jahr wurde das Sexualstrafrecht verschärft. Seitdem wurden deutlich mehr sexuelle Übergriffen und Nötigungsdelikte angezeigt als in der Vergangenheit

Die Proteste hatten Erfolg: Feministinnen in Berlin Foto: Christian Ditsch

Von Simone Schmollack

BERLIN taz | Im Juli 2016 wurde das Sexualstrafrecht durch den sogenannten „Nein heißt Nein“-Passus verschärft, im November trat das Gesetz in Kraft: Früher war es schwer, manche sexuellen Übergriffe anzuzeigen, weil sie – wie das Grapschen – nicht als Straftat galten. In anderen Fällen mussten die Opfer, falls der Täter keine Gewalt anwendete, ihre Ablehnung durch Schreien, Boxen, Treten, Wegrennen ausdrücken. Geschah das nicht, wurde das oft nicht als Vergewaltigung bewertet.

Nun liegen neue Zahlen vor. 38.191 Fälle gegen die sexuelle Selbstbestimmung hat das Bundeskriminalamt bis Dezember 2016 gezählt – von Vergewaltigungen und mit Waffengewalt erzwungenem Geschlechtsverkehr bis zu Fällen, bei denen jemand begrapscht oder auf andere Weise sexuell belästigt wurde. Zum Ende des Jahres wurden mehr Übergriffe und sexuelle Nötigungsdelikte angezeigt als zu Jahresbeginn: im Dezember 499 Fälle, im Januar nur 25, insgesamt 1.742 Fälle.

Ob das neue Gesetz dafür gesorgt hat, dass die Zahl der Anzeigen in die Höhe geschnellt ist, ist unklar. Für ein solches Fazit sei die Zeit zu kurz, sagt Katja Grieger, Leiterin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) in Berlin. Möglich sei aber, dass die Debatten im Vorfeld der Gesetzesreform jene Opfer sexueller Gewalt, die früher nicht angezeigt hätten, Mut gemacht hätten. „Betroffene haben die Botschaft bekommen, dass sie nicht allein sind.“ Frauenberatungsstellen verzeichneten im vergangenen Jahr einen Anstieg von Beratungen und Anfragen, sagt Grieger.

Möglicherweise reagieren auch Gerichte mit härteren Strafen. Eva Risse von der Zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser (ZIF) in Bonn berichtet der taz von einem Fall von schwerer Vergewaltigung in der Partnerschaft in Nordrhein-Westfalen. Der Täter sei deshalb kürzlich zu rund fünf Jahren Haft verurteilt worden. „Ein solches Urteil haben wir selten erlebt“, sagt Risse.

„Betroffene haben die Botschaft bekommen, dass sie nicht allein sind. Das hat ihnen Mut gemacht“

Katja Grieger, Frauenrechtlerin

Von den jährlich rund 8.000 angezeigten Vergewaltigungen kommen laut Bundesamt für Justiz bislang im Schnitt 1.300 zur Anklage, rund 1.000 Täter werden verurteilt. Die Verfahren würden oft eingestellt, weil die Beweislage nicht eindeutig sei oder Aussage gegen Aussage stünde – das müssen Beraterinnen von Hilfsorganisationen, die Opfer während der Verfahren begleiten, immer wieder erleben. In manchen Fällen meinte das Gericht, das Opfer hätte sich nicht ausreichend gewehrt. So war es in einem Fall in Essen im Herbst 2012, der von zahlreichen Medien aufgegriffen wurde: Das Landgericht hatte einen damals 31-jährigen Mann vom Vorwurf der Vergewaltigung einer 15-Jährigen freigesprochen. Wegen des „Fehlens einer schutzlosen Lage“ des Opfers, wie das Gericht befand. Die Schülerin habe lediglich gesagt: „Lass das“, es sei aber nicht weggelaufen und habe nicht geschrien. Das Mädchen selbst sagte, die Nachbarn hätten nichts hören sollen.

Der Freispruch war nach dem alten Recht korrekt. Der Gesetzestext, also der frühere § 177 des Sexualstrafrechts, sei „an dieser Stelle unbefriedigend“, kommentierte damals die Strafrechtsexpertin Tatjana Hörnle von Berliner Humboldt-Universität. Sie war maßgeblich daran beteiligt, dass das Sexualstrafrecht vor einem Jahr nachgebessert wurde.