Nazis, überall Nazis

Protest Dieses Urteil knallt: Weil er vier Stunden auf einem Lkw saß, sollte ein Tierrechtler drei Monate in Haft. Richter sah ihn „in der Unrechtstradition der SA“

Die Kfz-Zeichen der Polizei sind reiner Zufall Foto: privat

Von Martin Kaul

BERLIN taz | Eigentlich sollte es am 17. August im Amtsgericht Nienburg um eine überschaubare Angelegenheit gehen: Carl-Philipp Heldman, 32, hatte sich auf einen weißen Lkw gesetzt, um diesen an der Weiterfahrt zu hindern, und weigerte sich, kooperativ zu agieren. Darüber hinaus ist nicht viel passiert.

Dazu ist zu wissen, dass Heldmans Protest nur eine von drei Blockadeaktionen war, die an diesem Tag rund um eine „Wiesenhof“-Schlachtfabrik im niedersächsischen Wietzen stattgefunden hatten. Rund 30 Tierrechtsaktivistinnen hatten über rund sechs Stunden lang die drei Zufahrtsstraßen zur Schlachterei blockiert, um gegen die industrielle Massenproduktion von Fleisch zu demonstrieren. In der Anlage werden täglich Zehntausende Hühner geschlachtet.

Nun also sollte der Mann ohne Vorstrafen wegen Nötigung bestraft werden. Häufig endet so etwas mit ein paar Tagessätzen Geldstrafe. So wollte es in diesem Fall auch die Staatsanwaltschaft. Am Ende dieser Verhandlung jedoch steht ein Urteil, das noch weit über Nienburg hinaus für Gesprächsstoff sorgen dürfte. Aus zwei Gründen. Erstens ging der Richter weit über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Er verhängte keine Geldstrafe, sondern drei Monate Haft – ohne Bewährung.

Doch was wesentlich bemerkenswerter ist: „Im Namen des Volkes“ zog Strafrichter Jan-Hauke Förtsch eine direkte Linie von der nationalsozialistischen Kampforganisation SA zu dem Tierschutzaktivisten, der vier Stunden und 47 Minuten auf einem weißen Lkw in der Nähe einer Geflügelfabrik saß.

In der Urteilsschrift, die der taz vorliegt, heißt es: „Strafverschärfend ist zu werten, dass der Angeklagte die Tat zu politischen Zwecken begangen hat und mit der Tat besonderes öffentliches Interesse erregen wollte. (…) Insoweit steht der Angeklagte nicht in der etwaigen philosophischen Tradition eines euphemistischen ‚zivilen Widerstands‘, sondern in der Unrechtstradition politischer Straßenkämpfer wie der SA, derer Methoden er sich hier im Kern bedient hat.“

In dem Verfahren ging es schon vor dem Urteil turbulent zu. Es ging um Spitzfindigkeiten wie die Frage, ob es als Gewalt zu werten ist, dass sich „der auf dem Lkw sitzende Angeklagte die durch seine eigene Masse vermittelte Schwerkraft und die daraus resultierende Reibung auf der Oberfläche (der Straße, d. Red.) als eigene körperliche Kraftentfaltung zu Nutze gemacht hat“. Der Angeklagte wiederum gab sich renitent. Carl-Philipp Heldman stammt aus dem Kreis der Sympathisanten der Projektwerkstatt Saasen.

Das ist eine Gruppe radikaler Aktivistinnen und Aktivisten, die gezielt üben, wie sie durch formale Tricks Gerichtssäle als Bühne nutzen können – und zum Politikum machen. Richter Förtsch ließ den Angeklagten auch einmal aus dem Gerichtssaal tragen.

Dass er in seiner Urteilsschrift zum Vergleich mit der SA greifen musste, ist dennoch bemerkenswert. Es ist anderen Staatsbediensteten zu verdanken, dass das Urteil nicht rechtskräftig wird. Denn nicht nur der Angeklagte, sondern die Ankläger selbst fanden das Urteil so überzogen, dass sie Berufung einlegten. Oberstaatsanwalt Marcus Röske sagte der taz: „Wir hielten eine Freiheitsstrafe von drei Monaten hier für unangemessen. Letztendlich ging es in dem Verfahren um das Blockieren eines Lkw.“

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