Ausflüge in andere Welten

Welche Romane aus Afrika soll man gelesen haben? taz-Afrikaredakteur Dominic Johnson erzählt, was ihn besonders beeindruckt hat

Vom tiefen Trauma der kolonialen Herrschaft

Manche Autoren werden weitergereicht wie Geheimtipps, als Schlüssel zur Enträtselung für Initiierte. Der mittlerweile 91-jährige Senegalese Cheikh Hamidou Kane hat in seinem Leben nur zwei Romane geschrieben, aber sein Erstling L’aventure ambigue gehört zum Besten, was jemals über die afrikanische Katastrophe namens „Kolonialisierung“ verfasst worden ist. Der Bildungsroman beschreibt schonungslos, wie das, was aus europäischer Sicht ein Akt der Zivilisierung sein sollte, aus afrikanischer Perspektive ein Akt der Zerstörung gewesen ist, der alles vernichtete, was es vorher an Wissen und Weisheit gab. Er ist genauso, aber in unscheinbarerer Art, zum Klassiker geworden wie Things Fall Apart des Nigerianers Chinua Achebe, das viel berühmtere, millionenfach gedruckte Standardwerk über den Einzug der weißen Fremdherrschaft ins alte Afrika. Beide Bücher sind Pflichtlektüre. Keines gefällt sich in plumper Schwarz-Weiß-Malerei. Die Stimmung ist Trauer, nicht Wut. Afrikas Unterwerfung ist ein Akt der Selbstaufgabe, die beiden Hauptprotagonisten Samba Diallo und Okonkwo tragische Figuren des Scheiterns.

Daneben dürfen die beeindruckenden Memoiren des Maliers Amadou Hampaté Bâ (Amkoullel l'enfant peul und Oui mon commandant!) sowie des Nigerianers Wole Soyinka (Aké und Ibadan) nicht unterschlagen werden: Sie nähern sich der Kolonialthematik auf autobiografische Art. Wer das alles liest, sieht das Verhältnis zwischen Europa und Afrika mit anderen Augen.

Von der Wucht der Worte und kreativer Fantasie

Als Paris und London noch die Referenzpunkte des afrikanischen Kulturbetriebs waren, erhielten 1987 der Marokkaner Tahar Ben Jelloun und 1991 der Nigerianer Ben Okri die jeweils höchsten Literaturpreise der beiden Städte, Goncourt und Booker. Die beiden ausgezeichneten Romane La nuit sacrée und The Famished Road gehörten daher frisch nach ihrem Erscheinen zu meiner ersten afrikanischen Romanlektüre. Verschlungen auf U-Bahn-Fahrten in Paris und London, entführten sie in betörende, unbekannte Welten. Die Wucht der Worte und der Fantasiereichtum der Erzählung ließen selbst diese beiden europäischen Metropolen blass und matt aussehen.

Der kreative Umgang mit Sprache, vor allem mit der ehemaligen Kolonialsprache, sowie der sezierende Blick auf die jeweiligen Gesellschaften durch in der Marginalität verharrende Protagonisten, die es real gar nicht geben kann und durch deren Augen sich die geheimsten Gedankenwelten und Zusammenhänge offenbaren – diese Kombination, verbunden mit dichter Beschreibung, macht das Wesen der großen Weltliteratur aus Afrika aus, gerade weil sie auch prägend ist für den Werdegang unzähliger postkolonialer Autoren selbst. Bei Tahar Ben Jelloun ist die zentrale Figur eine Person im familiär erzwungenen Geschlechterwandel, bei Ben Okri ein Geisterkind, das halb in der Wirklichkeit lebt und halb außerhalb. „Wir fürchteten die Herzlosigkeit der Menschen“, sagt das Geisterkind. „Sie werden alle blind geboren, und nur wenige lernen je das Sehen.“

Von der mühsamen Suche nach Freiheit und Würde

Nein, Afrikas Unabhängigkeit war kein Zauberweg in eine bessere Welt. Les soleils des indépendances von Ahmadou Kourouma aus der Elfenbeinküste war einer der ersten Romane, die die Unabhängigkeit im frankofonen Afrika als das durchschauten, was sie allzu oft war: ein schmutziger Deal, der eine neue Möchtegern-Elite auf Möchtegern-Throne setzte. „Ihr seid Schakale“, bekommt der Held Fama zu hören, als er mit anderen vor Gericht gezerrt wird: „Ihr könnt kein Französisch, und ihr wollt den Präsidenten töten.“ Es ist bezeichnend, dass dieser Erstling 1968 weder in der Heimat noch in der alten Kolonialmacht Frankreich, sondern in Kanada erschien. Bezeichnend ist auch, dass die Originalausgabe ein Vierteljahrhundert später für einen kanadischen Dollar auf einem Montréaler Flohmarkt lag. Kourouma verbrachte viel Zeit im Gefängnis und im Exil.

Andernorts ging die Entkolonisierung mit Gewalt einher, und der Kenianer Ngugi wa Thiong’o hat mit seinem Erstling Weep Not, Child 1964 den großen Roman der Mythologisierung des bewaffneten Nationalismus vorgelegt – nicht als Romantisierung des Kampfes, sondern als Darstellung von Umständen, die Menschen in die Enge treiben, wenn sie ihre Würde bewahren wollen. Auch Ngugi saß im Gefängnis, heute finden sich seine Bücher in Nairobi überall. Ganz am Anfang von „Weep Not, Child“ wundert sich der kleine Njoroge, warum ein Engländer nach Afrika kommt, um als Lehrer zu arbeiten. Seine Mutter sagt: „You cannot understand a white man.“

Vom furchtlosen Blick und dem Sinn für das Absurde

Foto: Erik Irmer

Wenn etwas Künstler in Afrika eint, dann ist es das Talent, im Erhabenen das Lächerliche zu sehen. Länder, die Sozialismus predigen und das Gegenteil praktizieren, fördern subversives Schreiben allein dadurch, dass auch in der Realität Worte das Gegenteil von ihrem eigentlichen Sinn bedeuten. In Algerien kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs der 1990er Jahre, auf meiner ersten taz-Reportertätigkeit in Afrika, damals noch unter Pseudonym, war die Lektüre von Rachid Mimouni, Meister der finsteren Satiren aus der Militärdiktatur, geradezu ein Heilmittel gegen den Irrsinn auf der Straße, wo sich islamistisch aufgeheizte Slumjugendliche mit Unsinn im Kopf in den Kampf gegen ein verrottetes und verlogenes Regime stürzten. Unvergessen der Administrator, der in Le fleuve détourné nur Blödsinn erzählt und dem deswegen eine glänzende Karriere bevorsteht. Mimouni steht beispielhaft für Schriftsteller aus ähnlich absurden Ländern wie Kongo-Brazzaville.

Am anderen Ende des Kontinents haben die großen Anti-partheid-Autoren des weißen Südafrika, eine mittlerweile versunkene Generation von Dissidenten, auf eigene Art der Absurdität ihrer Gesellschaft den Spiegel vorgehalten und dabei einen kritischen Blick auf die Befreier nicht vergessen. A Guest of Honour von Nadine Gordimer behandelt zerschlagene Hoffnungen nach dem Sieg einer Befreiungsbewegung, in einem elegischen Ton, der nicht mehr loslässt, vor allem wenn man dabei die grandiose Landschaft dieser Weltregion selbst vor Augen hat.