Durch die Nacht mit Frida Kahlo

Das französisch-kubanische Schwesternduo Ibeyi beweist mit seinem zweiten Album, warum der Begriff „Weltmusik“ nichts taugt

Die Zwillingsschwestern Lisa-Kaindé und, im Hintergrund, Naomi Diaz alias Ibeyi Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz

Von Julia Lorenz

Nein, verdammt. Auch wenn ihre Plattenfirma die Botschaft um die Welt schickt: Lisa-Kaindé und Naomi Diaz, bekannt als Ibeyi, haben kein politisches Album aufgenommen. Zumindest behaupten das die Schwestern. „Es ist schon lustig“, sagt Lisa-Kaindé beim Gespräch in einem Berliner Hotelzimmer, „dass alle meinen, wir seien nun politisch. Nur, weil wir Frauen sind, die über Frauen singen. Und dabei andere Themen verhandeln als ,Baby, I miss you‘.“

Dabei liegt es nahe, Ibeyi Angriffslust zu unterstellen. Denn weiß man um das Leben der Schwestern, klingt „Ash“, der Titel ihres zweiten Albums, nicht nach Tod, sondern nach Auferstehung und Neuanfang nach schweren Jahren. Mit einem Koffer voller dunkler Geschichten hatten die in Kuba und Frankreich aufgewachsenen Schwestern vor zwei Jahren die Bühne betreten. Das schlicht „Ibeyi“ betitelte Debüt war eine Hommage an die großen Abwesenden der Familie: Ihre Schwester Yanira und ihren Vater Miguel „Angá“ Diaz, einst Perkussionist des kubanischen Bandprojekts Buena Vista Social Club, hatten Naomi und Lisa-Kaindé verloren, als sie sehr jung waren.

Singen auf Yoruba

Den Verlust vertonten die Schwestern mit janusköpfigem Pop, der Branchen-Player von XL-Recordings-Chef Richard Russell bis Beyoncé zu Fans des Duos machte: Wehklage hallte da im kargen Resonanzraum urbanen Electro-Souls wider; unter englisch- und französischsprachige Lyrics mischten sich A-cappella-Chants auf Yoruba, einer westafrikanischen Sprache, die einst durch den Sklavenhandel im 18. Jahrhundert ihren Weg nach Lateinamerika fand.

In Interviews erzählten die Schwestern, dass sie an „Orishas“ glauben, Götter der afrokubanischen Santería-Religion, und widmeten ihre Konzerte der verstorbenen Schwester. Noch dazu sind sie Zwillinge, charismatisch und reizvoll in ihrer Unterschiedlichkeit: Alles, was Lisa-Kaindé zu sagen hat, platzt mit Hochdruck aus ihr heraus. Ihre Schwester Naomi hingegen, im Gespräch eher abwesend, besitzt eine stille Autorität, die man nicht in Frage zu stellen wagt.

Die Versatzstücke der Ibeyi-Erzählung – Familienbande, Zwillingsmagie, irgendwas mit Geistern – passten gut zum europäischen Verständnis von „Weltmusik“. „Ein fauler Begriff“, sagt Naomi in einer ihrer wenigen Wortmeldungen, und Lisa-Kaindé ergänzt: „Die Leute labeln unseren Sound als Weltmusik, weil ihnen nichts anderes einfällt.“

Der Unterschied zwischen „gut gemeint“ und „gut“, kaum ein Begriff zeigt ihn so deutlich wie die Genrebezeichnung Weltmusik. Aus dem Willen, Sichtbarkeit zu schaffen für Klänge jenseits angloamerikanischer Gitarrenmusik, entstand eine Kategorie des ewig Anderen. Ein simples Konzept, das KünstlerInnen von Puerto Rico bis Pakistan zu unterdrückten, aber allzeit munter trommelnden Stimmungskanonen verklärt. Diese Logik strapazieren die polyglotten Díaz-Schwestern. Weder Yoruba-Spirituals noch Dubstep müssen sie sich borgen; beides ist ihnen eigen. In jedem Interview wolle man wissen, wie sie nun ticken, kubanisch oder französisch, sagt Lisa-Kaindé. Blöde Frage. „Unsere Familie wollte nie, dass wir uns entscheiden müssen.“ Und das tun Ibeyi bis heute nicht.

Wie Wasser-farben fließen auf „Ash“ kühler Electropop, Jazz-Segmente, (bulgarische!) Chorgesänge, strenge Percussions und Samples ineinander

Wie Wasserfarben fließen auf „Ash“ kühler Electropop, der vor allem Lisa-Kaindés Stimme viel Raum überlässt, Jazz-Segmente, (bulgarische!) Chorgesänge, strenge Percussions und Samples ineinander; die peruanische Kistentrommel Cajón spielt Rhythmusexpertin Naomi ebenso selbstverständlich, wie sie Stolper- und Knisterbeats programmiert. Nach „Culture-Clash“ zwischen Stammesliedern und Musik für Szenebars klingt das nie. Nach organischem Pop, der einen durch flirrende Nächte trägt, in jedem Moment.

Ihrem stilbewussten Minimalismus bleiben Ibeyi treu, tönen dabei aber trotziger und kraftvoller als auf dem von Trauerarbeit dominierten Debüt – vor allem im Song „Deathless“, den Tenorsaxofonist Kamasi Washington zur stolzen Kopf-hoch-Hymne antreibt. Die Energie einer Nina Simone, die Ibeyi seit jeher als Inspiration nennen, durchdringt auch Momente der Ruhe.

Familienerbe und Neuanfang, drüben und hier, innen und außen: All das verwebt sich endgültig und untrennbar in „Transmission/Michaelion“, dem Herzstück des Albums. Mantraartig verkünden Naomi und Lisa-Kaindé den Übergang ins Jenseits; die Mutter der Zwillinge rezitiert aus den Tagebüchern von Frida Kahlo, bevor der Song – getrieben von Beats wie warmen Regentropfen – purer Pop werden darf. Mit ihrem ersten Album hätten Ibeyi ihre Familiengeschichte vorgestellt; „nun wollen wir einfach von uns erzählen“, sagt Lisa-Kaindé. Politisch ist das nicht. Ein kleines Politikum vielleicht schon.

Ibeyi: „Ash“ (XL Recordings)