Der Mann aus dem Norden

Der Nigerianer Elnathan John war Anwalt, nun ist er Autor. Und was für einer! Sein erster Roman handelt von der Perspektivlosigkeit junger Männer im islamischen Teil des Landes. Eine Begegnung in seiner neuen Heimatstadt Berlin

Ein politischer Denker und messerscharfer Satiriker: Elnathan John in Berlin Foto: David Oliveira

Von Gesa Steeger

Der Künstler kommt zu spät. Der Kaffee wird kalt. Es stürmt draußen und das weiße Plastikzelt, das den Autoren des Internationalen Literaturfestivals Berlin als Kantine dient, knirscht und wackelt bedrohlich. Mit einem plötzlichen Windstoß weht es Elnathan John herein. Ein großer, kräftiger Mann, der in seinem hellen Sakko und dem blauen Polo-Hemd aussieht, als wäre er auf dem Weg zum nächsten Sektempfang. Große Entschuldigung seitens des Künstlers. Er lässt sich auf einen Holzstuhl nieder, bestellt in der gleichen Bewegung ein Glas Weißwein und dreht sich noch beim Hinsetzen seine erste Zigarette. Der Mann ist schnell.

Gestern Abend hat er nebenan aus seinem neuen Buch vorgelesen. Im obersten Stock der Berliner Festspiele, einem Glaskasten, gefüllt mit Stuhlreihe um Stuhlreihe. Vorne ein erhöhtes Podest. Gut ausgeleuchtet. Imposant. Wohl auch für Elnathan John. Auf Twitter schrieb er nach seinem Auftritt: „Vielen Dank fürs Füllen der @ilb_hall, liebes Berlin. Ich dachte fast, ich wäre am falschen Ort *tränenwegwisch*.“

Es schwingt ein wenig Koketterie mit in diesem Satz. Ein Augenzwinkern. Elnathan John, geboren 1982, ist kein Anfänger, sondern ein gestandener Autor, politischer Denker und messerscharfer Satiriker. Wenn auch in Deutschland nicht bekannt. Bisher. Anders sieht das in seinem Heimatland aus: Nigeria.

Eine seiner ersten Erzählungen wurde für den Caine Prize for African Writing nominiert. Das war im Jahr 2013. Damals arbeitete er noch als Anwalt, sein eigentlicher Beruf. Aber dann, sagt Elnathan John, sei er plötzlich als Schriftsteller wahrgenommen worden und dann, sagt er: „Wurde ich auch einer.“

Er schrieb für Zeitungen, Aufträge sammelten sich, finanzierten Miete und Leben. 2015 erschien sein erster Roman. „Born on a Tues­day“. An einem Dienstag geboren. Gerade auf Deutsch erschienen und am Vorabend Grund seiner Lesung im Glaskasten der Berliner Festspiele. Das Buch schaffte es auf die Shortlist des Nigeria Prize for Literature.

An einem Dienstag geboren. Das ist die Geschichte von Dantala, der auf den Straßen in Nigerias Norden aufwächst. Der niemanden hat und dann doch jemanden findet: in einer Moschee. Was er dort findet, das finden auch Millionen andere Dantalas überall auf der Welt. Zugehörigkeit, Stolz, Religion. Es ist eine Essenz, die Menschen andere töten lässt. „An einem Dienstag geboren“ ist die Geschichte von Boko Haram, vom islamistischen Terror. Von jungen Männern, die sich verlieren. Das große Ganze. Zusammengeschrumpft in einem Mikrokosmos.

Elnathan John: „An einem Dienstag geboren“. Wunderhorn, Heidelberg 2017, 250 Seiten, 24,80 Euro

„Ich bin mehr interessiert am Mikro als am Makro“, sagt John. Es sei so einfach, über Konzepte und Ideen zu sprechen und die Menschen dahinter zu vergessen. Er spricht über die Anhänger der Boko Haram, die im Norden Nigerias einen fundamentalistischen Staat errichten wollen: „Das sind auch Menschen.“ Menschen, die morgens aufwachen und sich einen Kaffee machen. Die eifersüchtig werden und Sex haben wollen. Das hat natürlich Grenzen, sagt John. Besonders wenn diese Menschen andere töten. Und trotzdem: „Menschen sind Menschen und keine geschichtslosen Phänomene.“

„An einem Dienstag geboren“ ist auch ein bisschen die Geschichte von Elnathan John. Auch er wuchs im Norden Nigerias auf, wenn auch in einer streng christlichen Familie. Ein Bekannter Johns aus früheren Tagen ist Dantalas lebendes Vorbild. Die Art von jugendlicher Männlichkeit, die in einem politischen System ohne Aussicht auf Zukunft zur Radikalisierung führen kann, hat Elnathan John ebenfalls selbst erlebt. Bei Nachbarn. Im Umfeld. Fern und nah. „An einem Dienstag geboren“ ist ein politisches Buch. Aber: „Jedes Schreiben ist politisch“, sagt John. „Besonders als Nigerianer, als Afrikaner, als Schwarzer.“ So lange hätten andere ihre Geschichten geschrieben. Weiße. Kolonialisten. Neokolonialisten. Eingeflogen aus europäischen Großstädten.

Elnathan John macht es andersrum. Raus aus der nigerianischen Kleinstadt, rein in den internationalen Literaturbetrieb. Und jetzt eben in den deutschen. „Der deutsche Buchmarkt ist großartig“, sagt John. Das Marketing, der Vertrieb und: „Gibt es in Deutschland nicht einen Festpreis für Bücher?“ Großartig! Undenkbar in Nigeria. Und natürlich sei die Kaufkraft in Deutschland höher. Das heiße aber nicht, dass die Nigerianer nicht lesen würden, schiebt John hinterher. Nur eben nicht unbedingt auf Papier. Sondern online.

„Literatur wird sich verändern müssen“, sagt John. Vielleicht würden Bücher bald nur noch online gelesen. Für John ist das eine Chance. Eine Chance für neue Stimmen. Für die Homosexuellen. Für die Transgender. „Für diejenigen, die in der nigerianischen Gesellschaft offiziell nicht existieren, obwohl die nebenan wohnen.“

Auch John schreibt gerade über seine Nachbarn. Über Berlin und seine Menschen. Die Frau vom Blumenladen, der Mann, der die Obdachlosenzeitung verkauft. Seit 10 Monaten lebt John in Berlin, gemeinsam mit seiner deutschen Frau. Er lerne gerade Deutsch, sagt John. „Die Schule habe ich aber abgebrochen. Ich hasse Schule.“ Er lacht und zündet sich noch eine an. Sein Deutsch ist noch gebrochen. Trotzdem hat er gestern einen Teil seines Buches auf Deutsch vorgetragen.

Seine neue Heimat sei wie eine neue Liebhaberin, sagt John. „Wir lernen uns gerade kennen.“ Ein paar Dates, ein paar Momente, in denen nicht ganz klar ist: Ist das Charakter oder nur ein Ausrutscher?

„Ich bin mehr interessiert am Mikro als am Makro“, sagt Elnathan John. Es geht ihm um Menschen, nicht um Ideen und Konzepte

John erzählt von diesen Momenten. Von einem alten Mann, der sagte: „Ich hasse dich“. Von einer Begegnung am Bahnsteig, die mit einem „Was willst du hier“ anfing und auch endete. „Und das an Tagen, an dem man denkt: Berlin ist so toll.“ Trotzdem sei Berlin seine europäische Lieblingsstadt, sagt John.

Zum Abschluss des Gesprächs kippt Elnathan John den letzten Schluck Weißwein hinunter. Ein anderer Journalist wartet schon an einem anderen Ort. Er hoffe, sagt John zum Abschied, dass seine und auch die Werke anderer afrikanischer Autoren den Blick Europas auf den Kontinent verändern. „Es gibt so viele Panels, in denen alte weiße Experten über Afrika sprechen und weit und breit ist kein Afrikaner zugegen“, sagt John. Ein Prozedere, dass besonders gerne in Deutschland gepflegt werde. „Und niemanden stört es.“

Für Elnathan John eine Frage des Respekts. „Ich finde, Leute sollten für sich selbst sprechen.“