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In Nigeria gib es nur wenige Buchhandlungen. Okechukwu Ofili will deshalbmit einer App E-Books populär machen. Sein Verkaufsschlager: Liebesromane

Lomé, Togo: Schüler in einer Grundschule Foto: BSIP/afp

Aus Lagos Katrin Gänsler

Die App lässt sich in wenigen Sekunden auf ein Tablet oder Smartphone laden, sie ist übersichtlich aufgebaut – und sie fällt auf: Sie ist so knallgelb wie die Jacke von Okechukwu Ofili. Der 35-Jährige hat die App Okadabooks entwickelt, und der Name könnte nicht passender gewählt sein.

Okadas sind in Nigeria die schnellen Mopeds, deren Fahrer sich durch jeden Stau schlängeln und die oft wegen schwerer Unfälle in die Schlagzeilen geraten. Bei den Autofahrern gelten sie als lästig und gefährlich. Doch obwohl sie in vielen Innenstädten mittlerweile verboten sind, haben sie einen riesigen Vorteil: Sie sind schnell und ein Zeichen von Kreativität, mit der es gelingt, den chaotischen Alltag zu meistern. So zügig und unkompliziert soll künftig auch E-Books zu den Kunden kommen. Natürlich unfallfrei.

Ofili, eigentlich Ingenieur von Beruf, ist in der 18-Millionen-Einwohner-Stadt Lagos gerade auf dem Weg zu einer der wenigen Buchhandlungen. Quintessence liegt auf Ikoyi, einer Insel in der Lagune von Lagos. Die Buchhandlung verkauft neben Büchern auch Kunstgegenstände und betreibt ein Café.

Das Geschäft liegt abseits von Lärm und ständigen Staus. Hier liest an diesem Nachmittag Toni Kan, der den Beinamen „Bürgermeister von Lagos“ trägt und einen schnellen, energiegeladenen, aber auch wenig schmeichelhaften Roman über Afrikas größte Metropole verfasst hat, der längst auch als E-Book erschienen ist.

Ofili wartet vor der Buchhandlung unter einem großen Baum auf den Beginn der Lesung. Auf der Website von Cassava Republic, einem der bekanntesten nigerianischen Verlage, werden landesweit nur 33 Buchhandlungen aufgelistet. „Und das bei einer Bevölkerung von 190 Millionen. Das ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Ofili.

Taschenbücher aus Europa

In Provinzhauptstädten jenseits von Lagos und in der Hauptstadt Abuja werden Bücher auf Märkten und an Flughäfen verkauft. Dort steht Hitlers „Mein Kampf“ neben Business-Ratgebern, Politiker-Biografien und Büchern christlicher Prediger, die Seelenheil in jeder Lebenslage versprechen. Wer Romane mag, muss oft mit verknitterten, vergilbten und gebrauchten Taschenbüchern aus Europa vorliebnehmen, die umgerechnet zwischen fünf und zehn Euro kosten können.

Wer allerdings in der Kleinstadt oder auf dem Land lebt, hat nicht einmal die Chance auf gebrauchte Bücher. Zum Vergleich: In Deutschland, schätzt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, gibt es rund 6.000 Buchhandlungen.

E-Books könnten heute in Nigeria aber nicht nur wegen der geringen Zahl von Buchhandlungen eine Chance haben, sondern auch weil die Internet-Verbindungen besser und vor allem günstig werden. Mittlerweile kosten zehn Gigabyte Datenvolumen nur noch 5.000 Naira, umgerechnet etwa 12 Euro. Laut nigerianischer Kommunikationskommission leben im Land 91 Millionen potenzielle Internetnutzer. Smartphones und Tablets sind zwar weiterhin ein Markenzeichen der Mittel- und Oberschicht, werden aber immer selbstverständlicher.

Der Verkaufsraum der Buchhandlung Quintessence ist geschmackvoll dekoriert. Die Stühle für die Lesung sind bereits aufgebaut. Herzstück ist der riesige Büchertisch, auf dem neben Werken von Toni Kan, Elnathan John und Chimamanda Ngozi Adichie auch ein dünnes Taschenbuch mit dem Titel „Afro“ liegt. Ein Kinderbuch, quasi die Geschichte von Rapunzel auf Nigerianisch.

Der Autor von „Afro“ ist Okechukwu Ofili selbst. Bekannter ist aber sein erstes Buch „How stupidity saved my life“. Als er 2013 aus den USA zurück nach Nigeria ging, wollte er es in seinem Heimatland veröffentlichen. „Doch das war schwierig. Später bekam ich mein Geld nicht zurück.“ Es war auch die Frustration über diese schlechten Bedingungen für Autoren, die Ofili zum Tüfteln an der App Okadabooks brachte.

Mit einem Klick baut sich App auf. Neben Büchern bekannter nigerianischer Autoren bietet sie viele Downloads mit dem Zusatz 18+ an. Die Cover zieren meist junge, schlanke Frauen, von denen manchmal nur Augen und Mund zu sehen sind. Solche Exemplare lassen sich weder an den Flughäfen noch in den wenigen Buchhandlungen entdecken.

Viele dieser Liebesromane sind auch nicht auf Englisch geschrieben, sondern auf Haussa, der Verkehrssprache im Norden Nigerias. Nach Schätzungen der Ahmadu-Bello-Universität in Zaria gibt es mehr als 120 Millionen Haussa-Sprecher im Norden des Landes. Auch im Nachbarland Niger sprechen etwa zwei Drittel der gut 19 Millionen Einwohner Haussa.

Ofili stammt aus dem Südosten Nigerias und ist Igbo. Zum Norden und zur Kultur und Tradition der Haussa hatte er bis vor wenigen Jahren kaum Kontakt. Umso größer war seine Überraschung, als er feststellte, wie Okadabooks zum Medium für lokale Sprachen wurde.

Als die App vor ein paar Jahren noch völlig unbekannt war, hatte Musa Ajayi sie schon längst für sich entdeckt. Der Obsthändler aus dem Bundesstaat Nasarawa suchte nach einem Vertriebsweg für Haussa-Bücher, da Amazon keine Bücher in dieser Sprache im Kindle-Format anbieten wollte. Tatsächlich finden sich bei Amazon bis heute nur Haussa-Wörterbücher und eine Handvoll Kinderbücher, aber keine Belletristik.

Ofilis Augen leuchten, wenn er an Ajayi denkt. Er ist seine persönliche Erfolgsgeschichte. Ajayi hat in den vergangenen Jahren 20 Bücher hochgeladen, die im Schnitt 100 Naira (26 Cent) kosten. Pro Monat verdient er damit, so Ofili, zwischen 20.000 und 30.000 Naira zusätzlich. In Nigeria liegt der Mindestlohn bei 18.000 Naira. Okadabooks gibt 70 Prozent des Verkaufspreises an den Autor weiter.

Ausgerechnet Nigerias Norden, wo in zwölf Bundesstaaten die Scharia gilt, wo in Sokoto der Sultan, der wichtigste Vertreter der Muslime im Land, seinen Sitz hat und wo eine eigene Polizei für die Einhaltung des islamischen Rechts auf Streife geht, liest also Liebesgeschichten. Okechukwu Ofili kichert ein wenig darüber. Er sieht den Grund dafür in der konservativen Gesellschaft. „Sex ist ein Tabu. Wenn Mütter ihre Töchter aufklären wollten, haben sie darüber geschrieben.“

Die Texte als E-Books zu veröffentlichen, hat in einem solchen Umfeld einen weiteren praktischen Vorteil: Kein Verkäufer oder anderer Kunde im Laden bekommt mit, welches Buch gerade den Besitzer gewechselt hat.

Autor Toni Kan ist mittlerweile längst angekommen zu seiner Lesung, er spricht mit ein paar Besuchern. Die Moderatorin der Lesung steht noch im Stau, was in Lagos niemanden wundert. Es ist Teil des Alltags. Unter den Besuchern sind Autoren, Künstler, Kulturjournalisten. Man kennt sich untereinander. Ofili nutzt den Moment, um neue Kontakte zu knüpfen. Während in Europa und den USA Diskussionen über elektronische Zeitungen und Bücher wieder verebben, muss er in Nigeria noch viel Werbung machen und erst mal erklären, was möglich ist.

Okechukwu Ofili, Gründer von Okadabooks Foto: Katrin Gänsler

Kan liest zwei Passagen aus seinem aktuellen Buch. Gerade hat es eine Rabattaktion mit seinem Verlag Cassava Republic und Okadabooks gegeben, durch die der Download von Kans Buch als E-Book keine zwei Euro gekostet hat. Der Preis für gedruckte Bücher liegt oft zwischen fünf und zehn Euro und ist auch für Lehrer oder Staatsangestellte in mittlerer Position nur selten erschwinglich.

Nach der Lesung, der Diskussion über die weiblichen Charaktere und der ersten Passage aus dem nächsten Buchprojekt setzt sich Kan in einen Sessel neben der Kasse und macht das, was mit einem E-Book nicht möglich ist: Er schlägt ein Buch nach dem anderen auf und signiert. Später sagt er: „Ich persönlich bin eine Papierversion-Person, weshalb mir der Wechsel zu E-Books bisher nicht gelungen ist. Wenn ich das Buch in meinen Händen halte, fühlt es sich wirklicher an.“

Dennoch kann er der Idee des elektronischen Lesens etwas abgewinnen. „Heute sind wir ständig online. Wenn man fragt: Was hast du heute gelesen, dann lautet die Antwort häufig zwar: gar nichts. Dabei konsumieren wir aber andauernd Facebook, Twitter, Instagram und Blogs. Für mich stellt sich allerdings die Frage, wie viel Qualität der Inhalt hat.“

Okechukwu Ofili ist aber zuversichtlich, was die Zukunft von E-Books in Nigeria betrifft. Noch bis vor wenigen Wochen hat die App neben seinem normalen Job betrieben. Zum ersten Mal hat er jetzt Büroräume angemietet und stellt Mitarbeiter ein. „Eine Million Nutzer im Jahr 2018“, sagt er, „das ist mein Ziel.“

So viele Downloads hat die App seit ihrem Bestehen bisher insgesamt zu verzeichnen, steht auf der Website. Doch das Geschäft mit den schnellen Büchern soll professioneller und populärer werden, aber vor allem lukrativ. „Wenn Schriftsteller uns sagen: Wir haben unseren Brotjob aufgegeben und könnten dank Okadabooks vom Schreiben leben, dann weiß ich: Wir haben unser Ziel erreicht.“