Vier Fragen, vier Autoren

Prinzessin Esther Kamatari
: „Europa ist wie ein Liebhaber“

Esther Kamatari, geboren 1951 in Burundi, lebt heute in Paris, Frankreich Foto: privat

Was lesen Sie gerade?

Ich bin gerade dabei, „Kleines Land“ von Gaël Faye mit großer Freude bereits zum zweiten Mal zu lesen.

In welcher Sprache schreiben Sie? In welcher Sprache träumen Sie?

Ich schreibe auf Französisch und ich träume mal auf Fran­zösisch und mal auf Kirundi, aber auf jeden Fall immer in Farbe.

Was bedeutet Europa für Sie?

Europa ist für mich wie ein Liebhaber, mit dem ich wunderschöne Kinder kriege und den ich in meinen Träumen die Schönheit meiner Mutter und meines Heimatlandes entdecken lasse.

Wo haben Sie Ihren Arbeitsplatz?

Mein Schreibtisch steht an einem Fenster, von dem aus man auf eine Straßenecke blickt und von dem aus ich die Wolken am Himmel entlangziehen sehe.

Sonwabiso Ngcowa
: „Meine Träume spielen sich auf isiXhosa ab“

Sonwabiso Ngcowa, geboren 1984, lebt in Kapstadt, Südafrika Foto: privat

Was lesen Sie gerade?

Ich lese derzeit „The Hidden Star“ von Kabelo Sello Duiker, der in dem Township Soweto in Johannesburg geboren wurde. Es ist ein faszinierender Jugendroman, der Fantasie und Realität zusammenbringt. Ich habe die Hälfte des Buches gelesen. Davor habe ich noch einmal „Die Farbe Lila“ von Alice Walker gelesen.

In welcher Sprache schreiben Sie? In welcher Sprache träumen Sie?

Meine ersten Kurzgeschichten, die auch veröffentlicht wurden, habe ich auf Englisch geschrieben, wie auch meinen ersten Roman. Das zweite Buch mit Kurzgeschichten war hingegen auf isiXhosa verfasst, das dritte dann wieder auf Englisch. Ich schreibe also überwiegend auf Englisch. Verlage sind in Südafrika zurückhaltend, wenn es darum geht, Arbeiten in anderen heimischen und offiziellen Landessprachen zu veröffentlichen. Meine Träume spielen sich hauptsächlich auf isiXhosa ab, aber ich hatte auch schon einige Träume in englischer Sprache.

Was bedeutet Europa für Sie?

Ich denke, es ist sehr komplex, die Bedeutung Europas zu reflektieren. Als Afrikaner, der über die Kolonialisierung nachdenkt, wie kann man da objektiv bleiben? Als Europäer, der über die Kolonialisierung nachdenkt, wie kann man da objektiv bleiben? Die Frage ist für unsere Zeit sehr relevant.

Meine Ansichten über Europa haben sich verändert. Es gab Zeiten, da sah ich Europa als Inbegriff davon, sich um die eigene Bevölkerung zu kümmern. Diese Sicht war zu einem großen Teil vom Fernsehen beeinflusst. Doch bevor mir überhaupt ein Fernsehgerät zur Verfügung stand, habe ich die Nachfahren der Europäer in Afrika gesehen. Sie waren nicht arm, sondern wohlhabend und besaßen eine großen Teil des Landes. Es schien, als sei das Leben all dieser Menschen „im Lot“. Ich war jung. Ich dachte, in Europa seien alle reich. Und ich dachte, das Wort Europa bedeute, alles richtig zu machen.

Dann begann ich durch akademische Lektüre, Dokumentationen und Seminare Europa besser kennenzulernen. Ich begann zu verstehen, dass meine Ansichten nicht richtig waren. Ich lernte, dass es in Europa tatsächlich Ungleichheiten gibt. Ich lernte von der Kolonialisierung. Ich lernte von der Gewalt, mit der Afrikaner von ihrem Weg abgebracht wurden. Wenn frühere Europäer nur für gewaltlose Begegnungen gesorgt hätten und die Menschen als Gleichgestellte behandelt hätten, dann wäre Europa ein Ort geblieben, wo zumindest versucht wird, „das Richtige“ zu tun. Europa wäre ein Vorbild für Afrika gewesen und Afrika ein Vorbild für Europa.

Die Kolonialgeschichte ist etwas, das wir gespürt haben und immer noch spüren. Die Gewalt macht einen wütend. Einige Länder in Europa sind aktiv geworden, Fehler aus der Vergangenheit wiedergutzumachen. Da applaudiere ich. Ich bin gleichermaßen in Deutschland und die Niederlande verliebt. Dies sind die einzigen beiden Orte, die ich in Europa besucht habe. Deshalb bleiben meine Gefühle über den Kontinent gemischt. Ich weiß, dass unabhängige Menschen in Europa ihren eigenen Kopf haben, und habe einige tolle Freunde gefunden. Das sind Menschen, die an einem Übergang stehen. Hinter ihnen liegt die koloniale Vergangenheit, vor ihnen ein Projekt, koloniale Interessen zu überwinden. Und die anderen Denker in Europa, was wird ihre Rolle darin sein, Afrikas Bedürfnisse vom Kolonialismus zu befreien?

Die Kolonialisierung sorgte zum Beispiel dafür, afrikanische Formen des Erkenntnisgewinns abzuschaffen. Welche Rolle spielt Europa darin, diese Entwicklung wieder umzukehren?

Europa hat also keine vollkommen gute oder vollkommen schlechte Bedeutung für mich. Und die Verantwortung dafür, wo sich Südafrika und der Rest des Kontinents heute befindet, liegt nicht vollständig bei Europa.

Wo haben Sie Ihren Arbeitsplatz?

Der Großteil meiner veröffentlichten Arbeiten sind in dem Township Masiphumelele in Kapstadt entstanden. Ich schrieb lange Zeit in einer kleinen Hütte, in der ich keinen Schreibtisch hatte, sondern nur eine Kiste und einen kleinen Holzstuhl. Derzeit habe ich eine kleine Wohnung in Kalk Bay gemietet. Das ist ein Fischerdorf nahe Kapstadt.

Amma Darko
: „Eine Idee trifft mich, ich schreibe“

Amma Darko, geboren 1956, lebt in Accra, Ghana Foto: Bugs Steffen

Was lesen Sie gerade?

Ich lese gerade fünf Bücher parallel, alle von jungen, ghanaischen Autoren. Eher aus Pflichtbewusstsein als aus Vergnügen, auch wenn einige wirklich unterhaltsam sind. Ich kann nicht mehr über sie verraten, weil ich sie für den Ghanaischen Literaturpreis bewerte, der im November verliehen wird. Kategorie: Bester junger Autor 2017.

In welcher Sprache schreiben Sie? In welcher Sprache träumen Sie?

Ich träume in „Ghanlisch“. Das ist eine Bezeichnung für „Ghanaisches-Englisch“. Meine Erzählungen sind englisch, wenn ich ins Ghanlisch abdrifte, korrigiert mich mein Lektor. Aber in den Dialogen, bei denen ein Charakter oder der Protagonist im wirklichen Leben eher Ghanlisch sprechen würde, wende ich es auch an. In diesem Fall kann der Lektor nichts sagen. Die Kombination aus formalem Englisch in der Erzählung und einem Sprachenmix in den Dialogen, wo es angebracht ist, bereichert meine Arbeit und unterscheidet mich von anderen Autoren.

Was bedeutet Europa für Sie?

Ich war schon in vielen europäischen Ländern und habe viele wundervolle Menschen kennengelernt. Meine emotionale Brille, mit der ich auf Europa blicke, ist Deutschland. Neben Ghana ist Deutschland meine andere räumliche Komfortzone.

Wo haben Sie Ihren Arbeitsplatz?

Zu Hause habe ich mir ein kleines Büro eingerichtet. Aber auch eine Ecke des Esstisches erfüllt diesen Zweck manchmal sehr gut. Oder ein Haufen Kissen hinter meinem Rücken, während meine Oberschenkel als Tisch dienen. Ich schreibe praktisch immer und überall. Fast zu jeder Zeit habe ich einen kleinen Notizblock und einen Stift bei mir. Eine Idee trifft mich, ich schreibe. Wenn ich eine Idee nicht in diesem Moment einfange, selbst wenn ich gar keinen unmittelbaren Nutzen für sie habe, verliere ich sie für immer. Ich könnte die Idee auch später wieder aufgreifen, wenn ich sie wirklich brauche. Aber sie wird nie wieder in der Form sein, in der sie mir zum ersten Mal in den Kopf kam.

Bontle Senne
: „Es gibt tiefe Löcher von Hass und Intoleranz in Europa“

Bontle Senne, geboren 1987, lebt in Johannesburg, Südafrika Foto: privat

Was lesen Sie gerade?

Ich habe gerade Naomi Aldermans „The Power“ gelesen, was ich sehr genossen habe. Nun lese ich „The Law of Tall Girls“ von Joanne McGregor und höre Petina Gappahs „The Book of Memory“ als Hörbuch.

In welcher Sprache schreiben Sie? In welcher Sprache träumen Sie?

Ich schreibe und träume auf Englisch. Ich würde es lieben, in einer heimischen afrikanischen Sprache schreiben zu können. Aber ich wurde in einer Zeit geboren, als das als nicht wichtig angesehen wurde. Ein Bildungssystem, welches Englisch über alle anderen Sprachen stellt, trägt nicht dazu bei, einen breiten Wortschatz in der eigenen, heimischen Sprache zu entwickeln. Dieser wäre aber nötig, um in der eigenen Sprache schrei­ben und veröffentlichen zu können.

Was bedeutet Europa für Sie?

Die Kolonialgeschichte Afrikas hat zur Folge, dass Europa sowohl ein sehr bekannter als auch ein total fremder Ort ist. Hier in Südafrika wurde so viel Architektur und räumliche Planung in Europa und insbesondere in Großbritannien entworfen. Ich erlebe oft ein Déjà-vu, wenn ich durch die Straßen Londons laufe. Es war aufregend, durch Westeuropa zu reisen und all die fremden Dinge zu entdecken, wie das Fahrradfahren in belebten Stadtzentren oder nachts allein durch die Straßen zu gehen. In diesen Tagen bin ich vorsichtiger. Es gibt tiefe Löcher von Hass, Protek­tio­nismus und Intoleranz in Europa, die durch soziale Netzwerke viel leichter zu erkennen und zu vermeiden sind. Es fühlt sich an, als seien diese Entwicklungen im Aufwind. Es fühlt sich so an, als habe Europa Ausländern wirklich nicht mehr viel zu bieten. Asien und Südamerika erscheinen mir derweil einladender und sicherer als Reiseziele.

Wo haben Sie Ihren Arbeitsplatz?

Ich arbeite als Managementberaterin und verbringe eine beträchtlichen Teil meiner Zeit in Hotelzimmern. Als Resultat habe ich die sehr schlechte Angewohnheit entwickelt, im Bett zu schreiben. Sogar wenn im Hotelzimmer ein Schreibtisch steht, arbeite ich im Bett. Alles, was ich brauche, ist ein Laptop und ein gebundenes Buch, worauf ich ihn stellen kann. Dann kann es losgehen.