Es macht einfach glücklich

Berührender Gesang und Butter für die Seele in ungemütlichen Zeiten: die US-amerikanische Psychedelic-Folk-Band Grizzly Bear im Huxley’s

In der blauen Phase: Grizzly Bear im Huxley‘s Foto: Roland Owsnitzki

Von Stephanie Grimm

Müde und angegrippt schleppe ich mich zum Konzert. Der Begleitung geht es kaum besser. Trotzdem schön, draußen zu sein. Das Publikum ist freundlich miteinander an diesem Donnerstagabend im ausverkauften Huxley’s. Auf der Bühne stehen schon Liima (Ex-Efterklang mit dem Perkussionisten Tatu Rönkkö), in Berlin beheimatet und gerade mit Grizzly Bear in Europa unterwegs. Sänger Casper Clausen trägt ein weißes Gewand, das aus der Ferne aussieht wie ein Imker- oder Astronautenanzug und sich als elaborierter Fashion-Statement-Parka entpuppt. Dazu gibt es bisweilen Synthiepop mit Achtziger-Appeal – das demnächst erscheinende Album „1982“ wurde vom Grizzly-Bassisten Chris Taylor koproduziert. Dank Rönkkös wilder Rhythmik baut sich nie zu viel Pathos auf, bei allem isländisch anmutenden Bombast, der im Sound der dänisch-finnischen Combo steckt.

Als dann endlich Grizzly Bear auf die Bühne gehen, fällt auf, was für ein toller Raum das Huxley’s ist – ein Rock-Venue mit Fenstern! –, bevor man über die Dauer des Konzerts im schlichten, aber effektiven Bühnenbild versinkt: links und rechts leicht versetzte, toll aussehende Vorhänge aus einer Art zusammengeknülltem Tüll. Je nach Beleuchtung wirkt das wahlweise wie der Eingang zu einer urschlammigen Höhle, wie ein wohliger Kokon, in den die Sonne hereinblinzelt oder wie ein psychoaktives Kaleidoskop. Die perfekte Umsetzung für den Sound dieser aus dem Brooklyner Eklektizismus der nuller Jahre hervorgegangen Psychelic-Folk-Band.

Mittlerweile sind sie zu drei Vierteln an die Westküste umgesiedelt, und ihr Sound wirkt an dem Abend gleißender, heller, aber auch ein bisschen brutaler als bei früheren Konzerten, trotz des nach wie vor berührenden Harmoniegesangs von Sänger Ed Droste und dem Gitarristen Dan Rossen. Die Zeiten sind ungemütlich, daran kommt auch diese Band nicht vorbei.

Beats wie Peitschenhiebe eröffnen den Abend. Grizzly Bear müssen nicht geizen. Gleich zum Einstieg gibt es mit dem wehmütigen „Four Cypresses“ den vielleicht stärksten Song ihres tollen neuen Album „Painted Ruins“ – jedenfalls aber den, bei dem sie mit der Refrainzeile „It’s chaos, but it works“ ausnahmsweise mal einen Slogan geliefert haben, der hängen bleibt. Sonst bleiben sie ja gerne abstrakt, in ihrer komplexen Musikalität wie auch auf Textebene.

Es folgt eine Mischung aus alten und neuen Songs, mit der sie ihr Publikum glücklich und es sich trotzdem nicht bequem machen. Offensichtliche Knaller wie „Yet Again“ und die ekstatische Zugabe „Sun in Your Eyes“, beides vom Vorgängeralbum „Shields“, stehen neben Songs wie dem elegischen „Shift“, das aus der Zeit stammt, als Grizzly Bear noch ein Soloprojekt des Sängers Ed Droste war.

Sogar die sonst allgegenwärtigen Handydisplays bleiben in den Taschen

Die vier Musiker und Aaron Arntz, ihr fünftes Mitglied für die Tour, strahlen unaufdringliche Selbstsicherheit aus oder haben vielleicht einfach nur das nötige Vertrauen, dass das Publikum auch bei sich langsam entwickelnden Songs dabeibleibt. Schließlich sind die bei Grizzly Bear eher die Regel als die Ausnahme. Ein effektives Gegengift zu grassierenden Aufmerksamkeitsökonomie. Es funktioniert. Sogar die sonst allgegenwärtigen Handydisplays bleiben in den Taschen.

Es macht einfach glücklich, Grizzly Bear, die ihr demokratisches Bandverständnis schon dadurch vermitteln, dass sie nebeneinander aufgereiht zwischen all dem Tüll stehen, beim Musikmachen zuzugucken. Besonders der Schlagzeuger Chris Bear strahlt eine elegante Lässigkeit, richtiggehend Sprezzatura aus. Erfreulicherweise wirkt auch die Band recht glücklich, man hatte sich ja schon Sorgen um ihren Fortbestand gemacht. Die letzte Tour und Platte hatte sie dem Vernehmen nach nachhaltig erschöpft.

Droste jedenfalls scheint sich wohler denn je in seiner Haut zu fühlen und flirtet in niedlichem Deutsch mit dem Publikum. Taylor wird kurz ganz gerührt und sagt, dass er nirgendwo so viele enge Freunde habe wie in Berlin. Auch in den Songs steckt große Emotionalität, ganz ohne Pomp. Die Begleitung nennt das alles im Anschluss „Butter für die Seele“. Und die Grippesymp­tome sind bei uns beiden auch verflogen.