Was bisher geschah
: Die Ohrfeige

Gleich in den ersten Tagen der Berlinale wurde klar: Mindestens ein Regisseur ist mit einem Film im Programm vertreten, gegen den es aktuell Anschuldigungen wegen Übergriffen gegenüber einer Schauspielerin gibt. Als Berlinale-Direktor Dieter Kosslick vor einigen Tagen verkündete, dass sich das Thema sexueller Übergriffe und des Machtmissbrauchs in der Filmbranche „über die ganze Berlinale hinzieht“, dürfte das anders gemeint gewesen sein.

Eine südkoreanische Schauspielerin, die anonym bleiben will, erhebt Anschuldigungen gegen den Regisseur Kim Ki-duk wegen mehrerer Vorfälle bei Dreharbeiten zu dessen Film „Moebius“ (2013). Berlinale-Leitung und die Auswahlkommission der Sektion Panorama waren diese Vorwürfe bekannt und haben sich dennoch entschieden, dessen aktuellen Film, „Human, Space, Time and Human“, ins Programm zu nehmen.

Abdriften in Mentalitätgeschichte

Man hätte nun erwarten können, dass es bei der Pressekonferenz zu Kim Ki-duks Film hoch hergehen würde. Weit gefehlt. Nach einigen PR-Belanglosigkeiten als Einstieg, die klar machen, warum man diese Pressekonferenzen am besten als Videostream sieht mit der Möglichkeit vorzuspulen, eröffnet eine Frage der Tagesspiegel-Kollegin Christiane Peitz das Thema der Übergriffe. Die Vorwürfe umfassen eine Ohrfeige, die Kim Ki-duk eingesteht und für die er zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, sowie sexuelle Nötigungen, denen sich die Schauspielerin nach eigener Aussage ausgesetzt sah. Diese Vorwürfe hat ein Gericht in Südkorea aus Mangel an Beweisen fallen gelassen und einen Berufungsantrag der Schauspielerin abgelehnt.

In der Pressekonferenz verweist Kim Ki-duk auf die Frage nach der Ohrfeige dar­auf, dass „das lange her“ sei, das Set damals voller Mitarbeiter gewesen sei, die das – wie er – anders als die Schauspielerin erlebt hätten, er die Ohrfeige bedauere, er das Gerichtsurteil nicht ganz nachvollziehen könne, aber akzeptiere. Eine Handvoll Fragen zur Ohrfeige folgen, keine einzige greift die weitergehenden Vorwürfe auf.

Dann driftet die Pressekonferenz mit einer vulgär-mentalitätsgeschichtlichen Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Gewaltdarstellung in Kim Ki-duks Filmen und der koreanischen Geschichte ins Nirwana von Fragen ab, die meist nur die Fragestellenden selbst interessieren.

Während in den Feuilletons die Debatten über den Umgang mit männlichen Übergriffen und Machtmissbrauch schriller werden, kräht auf einem angeblich politischen Filmfestival kein Hahn danach – nicht in der Festivalleitung, nicht in der Programmauswahl und auch auf einer Pressekonferenz zu einem konkreten Beispiel nur einige wenige. Keine schöne Erkenntnis.

Fabian Tietke