Kommentar Antisemitismus in Frankreich: Nicht entschuldbar

Der neue Antisemitismus ist nicht harmloser als der alte. Ihn zu bekämpfen, kann der Integration des Islam nur nützen.

Männer verbrennen eine selbstgemalte Israelfahne

Der neue Antisemitismus wird oft mit „Israelkritik“ umschrieben Foto: dpa

Jedes rassistische Verbrechen stellt das optimistische Bild eines harmonischen Zusammenlebens infrage. Es ist unüberhörbar in den offiziellen Stellungnahmen in Frankreich nach einem mutmaßlich antisemitischen Anschlag oder Mord, wie peinlich es den politisch Verantwortlichen ist, solche möglichen Tatmotive einräumen zu müssen. Als ob der Antisemitismus bloß ein ärgerliches Gespenst aus der Geschichte wäre! Gerade einem Land wie Frankreich, das durch eine beflissene staatliche Kollaboration an der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg mitbeteiligt war, ist es tatsächlich nicht möglich, heute über ein antisemitisches Verbrechen zu reden, ohne gleichzeitig an die Geschichte zu denken.

Umso fahrlässiger klammert man dann gern den aktuellen Bezug zur Gegenwart aus. Ist der „neue Antisemitismus“ in den gemischten Wohnsiedlungen mit vorwiegend Familien aus muslimischen Ländern etwa entschuldbar, weil die anti­jüdischen Klischees dort so „traditionell“ sind wie früher und (zum Teil heute noch) die Ressentiments von Christen, die während Jahrhunderten die Juden für die Kreuzigung des Heilands verantwortlich machten? Der „neue Antisemitismus“ ist nicht besser oder harmloser als der alte aus der Zeit der Dreyfus-Affäre oder der Schoah.

Die Politiker, die Medien und die ganze Gesellschaft schauen desinteressiert oder betreten weg, wenn eindeutig pejorative Bezeichnungen oder „Witze“ in den Jargon der jungen Generation Eingang finden. Banal sind diese jedoch nicht. Das müsste man spätestens seit dem Prozess gegen die „Gang der Barbaren“ begreifen. Für die jungen Mitglieder dieser kriminellen Bande war es nicht nur ausgemachte Sache, dass Juden reich und darum ideale Opfer seien, sie fanden es geradezu legitim, aus solchen Motiven den jungen Ilan Halimi zu entführen und zu Tode zu quälen.

Auch wenn die mutmaßlichen Täter auch im Fall der Tötung von Mireille Knoll junge Muslime sind, hat das nichts mit einem vermeintlich schwelenden Religionskrieg zu tun, sondern mit einer sträflichen Untätigkeit angesichts politisch oder religiös verbrämten rassistischen Dummheiten.

Nicht zu zögerlich sein

Der gemeinsame Kampf gegen den speziell aggressiven Antisemitismus radikaler Islamisten hingegen kann der Integration des Islam in der Französischen Republik nur förderlich sein. Frankreich hat dafür eine besonders ausgefeilte Gesetzgebung, um Anstiftung zu Rassismus und Antisemitismus oder Hasspropaganda wie die Leugnung oder Rechtfertigung der Judenverfolgung zu ahnden. Dieses Arsenal wird aber nur ­zögerlich eingesetzt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.