Kolumne Heult doch!: Der Toni Kroos in Glitz

Dass das Kind neuerdings besonderes Interesse an den Einkäufen der Eltern zeigt, hängt mit Lücken im Mittelfeld bei der Fußball-Weltmeisterschaft zusammen.

Toni Kroos, hier ohne Glitz Foto: dpa

Mama“, sagt das Kind, als es mich auf der Arbeit anruft. „Gehst du noch einkaufen?“ „Wer will das wissen?“, frage ich leicht irritiert zurück. „Sag Papa, ich denke AUF JEDEN FALL an die Milch.“ “Kaufst du dann auch für mehr als 10 Euro ein?“, erkundigt sich das Kind besorgt. „Hä?“, sage ich.

Das Kind belehrt mich daraufhin, dass man erstens nicht Hä sagen dürfe – jedenfalls dürfe ER das nie … Und dass ich zweitens das Wichtigste offenbar schon wieder vergessen hätte: Er brauche doch noch unbedingt „den Toni Kroos“ und zwar am besten „in Glitz!“ Und weil den „echt alle“ wollen, den Kroos in Glitz, braucht er morgen auf dem Schulhof möglichst viele Manuel Neuers und Mesut Özils – zum Tauschen nämlich. Das Kind kalkuliert am Telefon wild hin und her: Fünf Karten werde ihn die Kroos-Transaktion mindestens kosten. „Mindestens, Mama!“ Wäre also gut, wenn Mama heute möglichst viel Geld im Supermarkt lässt.

Für alle, die noch nicht wissen, worum es hier eigentlich geht: Die Geißel aller Eltern schulpflichtiger Kinder ist zurück an der Kasse einer Supermarktkette – die „original“ und selbstverständlich auch „exklusiven“ DFB-Sammelkarten zur bald in Russland beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft.

Alles auch „in Glitz“

36 Karten sind es, die Mannschaft plus alle Reservespieler plus Trainer plus Maskottchen Paule plus DFB-Logo plus 12. Mann, also die Fankurve, wie mich mein Sohn aufgeklärt hat. Mensch, Mama. Gibt’s alles auch noch mal „in Glitz“, so heißen die Sonderkarten mit Glitzerhintergrund in Schulhofdeutsch. Natürlich sind sie limitiert. Und deshalb echt heiße Ware. Pro 10 Euro „Einkaufswert“ gibt's an der Kasse eine Sammelkarte zur Belohnung für die fleißig einkaufenden Eltern.

Selbstverständlich sind die Kinder, die kleinen Kapitalisten, total angefixt von diesem Raffzahnspiel. Mein Sohn spielt auch wahnsinnig gerne Monopoly, wenn er bei meinen Eltern in den Ferien die Chance dazu hat, und hat mich beim letzten Mal gnadenlos plattgemacht. Nun könnte ich rein theoretisch meinem Sohn die Schlechtigkeiten unserer Konsumgesellschaft am Beispiel der DFB-Sammelkarten erklären: dass der Supermarkt und der DFB bloß mein Geld wollen und sein Taschengeld noch dazu (das Album für die Sammelkarten musste er sich selbst kaufen).

Ich schaff’s aber nicht. Das ist natürlich nicht wahnsinnig konsequent, wenn man dagegen ist und dann doch mitmacht. Also kaufe ich erstens, um mein Gewissen wieder blitzsauber zu shoppen, den teuren Fair­trade-Kaffee (und bekomme dafür, wie praktisch, an der Kasse noch eine DFB-Karte mehr). Und denke zweitens: Dieses Sammelkarten-Geschacher ist vielleicht ein bisschen unsympathisch, aber auch nicht gerade das stumpfste aller Pausenspiele.

Strategien für die Pause

Abends erzählt mir das Kind nun immer ausführlichst seine Strategie für die Tauschmanöver in der nächsten großen Pause. Erst habe ich genickt und nicht zugehört, inzwischen diskutieren wir Wahrscheinlichkeiten und Strategien: Soll er den wertvollen Paule Glitz gegen vier bis fünf normale Karten eintauschen? Immerhin hat er ja, sagt er mit sorgenvollem Blick, im Mittelfeld noch ziemlich Lücken im Sammelalbum.

Aber was weiß denn ich. Ich muss vor allem einkaufen gehen

Ich gebe zu bedenken, dass er das später teuer bezahlen könnte, falls Paule Glitz auf seinem Schulhof eine Rarität bleiben sollte. „Dann kostet dich das vielleicht zehn Karten oder so.“ Glaubt er nicht. Außerdem könne er dann ja notfalls seinem kleinen Bruder die beiden Karten wieder wegnehmen, die er ihm netterweise geschenkt hat: Manuel Neuer und Julian Draxler, die sind offenbar gerade nicht viel Wert. Ich wünsche ihm bei diesem Notfallplan viel Erfolg und verweise auf den Ehrenplatz, den der kleine Bruder den geschenkten Karten inzwischen neben seinem Kopfkissen eingeräumt hat. „Die kriegst du nicht wieder“, sage ich.

Aber was weiß denn ich. Ich muss vor allem einkaufen gehen.

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