Naturschutz in Bayern: Wie die CSU den Flächenfraß anheizt

In Bayern scheiterte ein Volksbegehren, das den Flächenverbrauch bremsen wollte. Die CSU wird das Thema im Wahlkampf nicht los.

Zwei Bäume auf einem Acker

Potenzielles Gewerbegebiet: Ein Acker in Bayern Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Es ist noch vor 10 Uhr, als Ludwig Hartmann die schwere bronzene Tür zum Gerichtsgebäude einen Spalt öffnet und seine Hand ans Ohr legt. Das Bild findet kurz darauf via Twitter den Weg in die Welt. „Spannender Tag heute“, schreibt der Fraktionschef der Grünen im bayerischen Landtag dazu. „Ich hab schon mal reingehorcht ins Gericht, konnte aber keine Tendenz zum Urteil über unser Volksbegehren vernehmen.“

Und doch: Auch wenn Hartmann keine Voraussage treffen wollte, ob der Bayerische Verfassungsgerichtshof das von ihm initiierte Volksbegehren zur Eindämmung der Betonflut zulassen würde oder nicht – in dieser Heftigkeit muss das Urteil dann auch ihn überrascht haben. Es ist 10.30 Uhr, als die drei Richterinnen und fünf Richter in ihren blauen Roben den kleinen, schmucklosen Saal betreten. Peter Küspert, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, verliest das Urteil: Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens, das den Flächenverbrauch ab 2020 auf durchschnittlich 5 Hektar pro Tag begrenzen wollte, seien nicht gegeben. Bisher ist es mehr als das Doppelte.

Der Grund: Der Gesetzgeber, in diesem Fall also das Volk, sei verpflichtet, die „wesentlichen Bestimmungen einer Sachmaterie selbst zu regeln“. In dem Gesetzentwurf fehlten aber Vorgaben, wie das 5-Hektar-Ziel zu erreichen sei. Im Einzelnen beanstandet das Verfassungsgericht die Beeinträchtigung der kommunalen Planungshoheit und meldet Zweifel an, ob die Wähler überhaupt die Auswirkungen des Gesetzentwurfes hätten überblicken und die Vor- und Nachteile abwägen können. Küspert betont jedoch, man habe nicht die umweltpolitische Sinnhaftigkeit des Volksbegehrens geprüft. Zwölf Minuten dauert das Ganze, das Gericht zieht sich zurück.

Beim Flächenfraß in Bayern geht es etwa um Orte wie Praßreut. Eine winzige Ansiedlung im tiefen Bayerischen Wald mit einer Durchgangsstraße und drei Dutzend Häusern. Mit der Ruhe ist es allerdings seit einigen Monaten vorbei in dem Dorf im Landkreis Freyung-Grafenau, der Teil des Naturparks Bayerischer Wald ist. Denn in Praßreut wurde ein Gewerbegebiet auf die Wiese gestellt: Tag für Tag kommen Schlepper und bringen Leasingautos auf das 3,2 Hektar große, aus dem Boden gestampfte Gelände. Im vergangenen Jahr war da noch Weideland, jetzt werden auf dem Logistikzentrum Gebrauchtwagen zwischengelagert, repariert, umgebaut – 850 Parkplätze sind vorhanden. „Heimatzerstörung“, schimpften die Bewohner unlängst im Fernsehen, „unser Dorf wurde kaputtgemacht.“ Das Gelände ist fast so groß wie der eigentliche Ort Praßreut.

Aus Natur wird Beton

Es ist ein Beispiel von vielen für das, was als Flächenverbrauch, oder pointierter: Flächenfraß, bezeichnet wird. Aus Natur wird Beton – Gewerbegebiete, Wohnsiedlungen, Infrastruktur wie etwa Straßen.

Das Problem ist einfach: „Unsere Flächen sind endlich“, schreibt die Aktion Fläche, ein vom Umweltbundesamt initiiertes Portal. Das Interesse für das nun vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof einkassierte Volksbegehren „Damit Bayern Heimat bleibt – Betonflut eindämmen“ war enorm: 48.000 Bürger haben sich in die Listen eingetragen, lediglich 25.000 wären notwendig gewesen. Getragen wird das Bündnis von einer Vielzahl von Parteien und Organisationen, etwa den Grünen, der ÖDP, dem Bund Naturschutz (BN) oder der Katholischen Landvolkbewegung.

Andreas Hild, TU München

„Einfamilien­häuser sind die wahrscheinlich unökologischste Wohnform“

Niederbayern mit dem Bayerischen Wald im Osten des Freistaates ist ein gutes Beispiel dafür, wie Flächenfraß um sich greift. Zentrale Nord-Süd-Achse ist die vielbefahrene A 3 zwischen Deggendorf und Passau. Ein Gewerbegebiet reiht sich dort an das nächste, sie sind an jeder Auf- und Ausfahrt der Autobahn angesiedelt. In Hengersberg gibt es eines, im darauffolgenden Iggensbach soll eines entstehen, es folgt Garham mit zwei Bauabschnitten und danach Rathsmannsdorf. Gegen Letzteres hatte der Bund Naturschutz bis aufs Äußerste gekämpft. Für das Gewerbegebiet wurden 19 Hektar Natur gerodet – 27 Fußballfelder. Biotope, Kiefernwald und Heidekraut seien dem zum Opfer gefallen, klagte die BN-Frau Helgard Gillitzer. Doch sie verlor vor Gericht.

Die Kommunen wollen Gewerbesteuern einnehmen und Arbeitsplätze schaffen. In Iggensbach wünschte sich der Bürgermeister Wolfgang Haider von der Unabhängigen Bürgerliste vor einiger Zeit im Gespräch mit der taz „schöne, kleine Handwerksbetriebe“. Die Gemeinde müsse schließlich die Straßen sanieren und Kindergärten unterhalten. Kritiker hingegen vermuten, dass am Ende die Logistikbranche einsteigt. Dann werden Lkw-Höfe, Warenumschlagplätze, Logistikzentren errichtet. Viele Gewerbeflächen stehen halb leer, die Konkurrenz der Gemeinden untereinander wird als „Kannibalisierung“ kritisiert. Es gibt Vorschläge, dass die Gewerbesteuer anders verteilt werden sollte, damit Kommunen gemeinsam Flächen anbieten und sich die Einnahmen dann teilen.

„Bayern verliert sein Gesicht“

Die bayerische Staatsregierung leistet mit der kürzlichen Änderung des Landesentwicklungsplanes dem Flächenfraß sogar Vorschub, meinen Naturschützer: Bisher durfte ein Gewerbegebiet nur an ein anderes Gebiet neu gebaut werden. Jetzt wurde dieses sogenannte Anbindegebot gelockert, Markus Söder war der zuständige Heimatminister: Ist eine Autobahnausfahrt da, darf nun auch auf der grünen Wiese gebaut werden.

Insgesamt geht die Neubebauung von Flächen in Bayern und in Gesamtdeutschland zurück. Wurden im Jahr 2004 bundesweit 480 Quadratkilometer zugebaut, so waren es 2015 noch 222. In Bayern werden weiterhin 13 Hektar am Tag verbraucht, das sind 47 Quadratkilometer jährlich und entspricht der Größe des Ammersees. Die Initiatoren des Volksbegehrens warnten: „Bayern verliert sein Gesicht.“ Ihr Vorschlag mit maximal 5 Hektar pro Tag entspricht dem Ziel der Bundesregierung, die den Flächenfraß auf 30 Hektar in Deutschland drosseln will.

Zum Landschaftsverbrauch kommt es nicht nur wegen der vielen Gewerbegebiete, sondern auch wegen des Wohnungsbaus. Im Münchner Norden etwa zeichnet sich ein Großkonflikt wegen eines geplanten neuen Wohnquartiers ab. Die einheimische Bevölkerung will das verhindern, weil sie die Zerstörung der Natur in ihrer Umgebung fürchtet. Auch das klassische Einfamilienhaus mit Garten – weiterhin der Traum vieler Bürger – steht als Flächenfresser am Pranger. Der Architektur-Professor Andreas Hild von der TU München meint: „Einfamilienhäuser sind die wahrscheinlich unökologischste Wohnform.“

Die regierende CSU lehnt das Volksbegehren ab, da es ihrer Ansicht nach eine Bevormundung der Kommunen ist und unzulässig in deren Planungsrechte eingreift. Dass das Thema der Bevölkerung aber unter den Nägeln brennt, haben auch die Christsozialen erkannt. Sie planen deshalb, Anreize zum Flächensparen zu geben: Gemeinden, die wenig verbauen, sollen ein Gütesiegel „flächenbewusste Kommune“ erhalten. Auch sind 125 Millionen Euro für Gemeinden vorgesehen, die aus Beton wieder Natur machen oder brachliegende Teile der Ortskerne erneuern, damit der Trend raus auf die grüne Wiese gestoppt wird.

„Schwerer Schlag“

Kurz nach dem Gerichtsentscheid spricht der Grüne Ludwig Hartmann von einem „schweren Schlag“ und einem „schwarzen Tag für den Naturschutz in Bayern“. Besonders ärgerlich sei, dass das Gericht mit seinem Urteil die Messlatte für weitere Volksbegehren besonders hoch gehängt habe. „Aber das hält uns nicht auf in unserem Kampf.“ Schließlich habe das Gericht die Türe ja nicht komplett zugeschlagen. Ein neues Volksbegehren sei eine Option, das müsse man aber mit den Bündnispartnern besprechen. Das Thema werde nun aber definitiv erst recht den Wahlkampf mit bestimmen. Einer der Partner steht auf dem Gang des Gerichts neben ihm: Richard Mergner, der Vorsitzende des Bunds Naturschutz. „Diejenigen, die jetzt frohlocken, werden sich täuschen“, prophezeit er. Sein Lösungsansatz ist klar: „Bayern hat im Bereich Umwelt- und Naturschutz eine bessere Landtagsmehrheit verdient.“

Unten auf der Straße haben sich da bereits Mitstreiter von den verschiedensten Bündnispartnern versammelt, sie haben ein Transparent entrollt, halten Schilder in die Höhe. „Wir kämpfen weiter“, ist zu lesen.

Noch bevor die jetzige christsoziale Landtagsmehrheit ihren Triumph feiern kann, hat sich aber bereits die übrige Opposition an der Niederlage der Grünen gelabt. „Die Bündnisgrünen haben mit ihrem untauglichen Gesetzentwurf der wichtigen Sache der Bekämpfung des Flächenverbrauchs keinen Gefallen getan“, urteilt etwa SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. Und auch Michael Piazolo von den Freien Wählern freut sich. „Uns ist besonders wichtig, dass Planungshoheit und Selbstverwaltungsrecht der Kommunen gewahrt bleiben.“

Das aus 40 Verbänden und Gruppierungen bestehende Bündnis gegen die Betonflut will nicht aufgeben. Eine Option sei ein erneutes Volksbegehren mit einem detaillierteren Text. Unterschriften könnten dafür womöglich schon vor der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober gesammelt werden.

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