Unterdrückung zum sandinistischen Jubiläum

Kurz vor dem Jahrestag der Revolution hat Nicaraguas Präsident Ortega mit schwer bewaffneten Polizisten und Paramilitärs die letzte Hochburg der Opposition zurückerobert

Rund 2.000 Mann hat Ortega gegen die Protestierenden zum Einsatz gebracht Foto: Cristobal Venegas/ap

Von Ralf Leonhard, Wien

Das Foto hat Symbolkraft: Etwa zwei Dutzend maskierte Männer in Uniform posieren mit ihren Kalaschnikows und anderen Sturmgewehren vor einem Fahnenmast. Die blau-weiß-blaue Nationalflagge wurde eingeholt und durch das rot-schwarze Banner der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) ersetzt. Die Partei von Präsident Daniel Ortega hat über die Bevölkerung der Stadt Masaya gesiegt.

Zwei Tage bevor am 19. Juli der 39. Jahrestag der sandinistischen Revolution von 1979 begangen wird, blies Ortega zum Sturmangriff auf die Stadt Masaya, Hochburg des Widerstands gegen sein autoritäres Regime. Vor dem Feiertag, an dem an den Sieg über die Diktatorendynastie der Somoza erinnert wird, sollte die Stadt „gereinigt“ werden, „koste es, was es wolle“.

Schon im Morgengrauen begannen um die 2.000 Mann Spezialtruppen, verstärkt durch Einheiten der Nationalpolizei und paramilitärische Verbände Masaya und speziell den indianischen Stadtteil Monimbó zu umstellen. Mit Sonnenaufgang begann die Offensive. „Niemand kommt hier rein, niemand kann raus, auch die Verwundeten nicht“, berichtete ein Einwohner von Monimbó, den die taz am Telefon erreichte. Im Hintergrund waren Schüsse von Kalaschnikows zu hören.

Der Stadtteil Monimbó war durch Dutzende Barrikaden aus Pflastersteinen in eine Trutzburg verwandelt, die monatelang das Zentrum der Proteste gegen Ortega und seine allgemein verhasste Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo gebildet hatte. Jede Barrikade wurde von Männern verteidigt, von denen viele nicht mehr nur Steinschleudern und Feuerwerkskörper gegen die militärische Übermacht in Stellung brachten. Der Einwohner von Monimbó, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will, hat in den vergangenen zwei Wochen eine Militarisierung des Konflikts beobachtet, der vor drei Monaten mit friedlichen Protesten begann, die blutig unterdrückt wurden. Mittlerweile zählt man über 370 Todesopfer und auch der Blutzoll auf Regierungsseite steigt.

Eine Opferbilanz der Rückeroberung von Masaya ist noch nicht möglich. Medien sprechen von mindestens vier Toten. Nach der Einnahme jeder Barrikade ließen die Regierungstrupps die Bagger kommen und begannen in Häuser einzudringen, wo sie junge Männer herausholten. Der Einsatz von Drohnen ermöglichte ihnen, in die Hinterhöfe zu spähen, ob es Männer im wehrfähigen Alter gab. Über das Schicksal der Verschleppten ist nichts bekannt.

Ortega will bis zum Revolutionsjubiläum am Donnerstag sämtliche Barrikaden und Straßensperren im Land beseitigt haben, damit er den Sieg über die „Konterrevolution“ verkünden kann. Alle, die sich an den Protesten beteiligt haben, erwarten hohe Haftstrafen. Am Montag wurden zwei Gesetze durch das von Ortega-Getreuen kontrollierte Parlament gepeitscht, die jeden Protest kriminalisieren. Ein Gummiparagraf droht allen mit 15 bis 20 Jahren Haft, die sich an Demonstrationen beteiligen, bei denen Personen oder Güter zu Schaden kommen.

Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte sieht darin „einen Text, der jene, die friedlich protestieren, als Terroristen abstempeln könnte“ und wurde prompt vom nicaraguanischen Außenminister Denis Moncada in einer energischen Protestnote als „Komplize in Aktionen von Terroristen“ zurechtgewiesen. Nicht nur die UNO und zuletzt auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini haben zum Dialog und zum Ende der Gewalt in Nicaragua aufgerufen. Auch der uruguayische Expräsident José Mujica, der als ehemaliges Mitglied der Tupamaros unverdächtig ist, im Sold Washingtons zu stehen, hat in einer Videobotschaft Klartext gesprochen: „Was einst ein Traum war, ist zu einer Autokratie verkommen, und wer gestern Revolutionär war, hat heute das Gespür verloren, wann der Moment zum Abtreten gekommen ist.“

meinung + diskussion