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: James Baldwin, schwingend wie ein Gedicht gelesen

Dass das Werk James Baldwins (1924–1987) derzeit eine Renaissance erfährt, liegt nicht nur an seiner wirkmächtigen Sprache und literarischen Qualität. Es geht dabei auch um die zeitlose Relevanz der Themen Rassismus, religiöser Fanatismus und der Forderung für ein gleichberechtigtes Leben aller Menschen, gleich welcher sozialen oder ethnischen Herkunft und sexuellen Ausrichtung.

Baldwin zufolge kann ein Schriftsteller nur glaubwürdig sein, wenn er aus eigener Erfahrung schöpft. So ist auch sein Debütroman „Von dieser Welt“ stark autobiografisch geprägt, Eckdaten seiner eigenen Geschichte und der seiner Familie bilden sein Gerüst. Baldwin versteht es aber, mit der Schilderung alltäglicher Tätigkeiten – das Fegen des Wohnzimmerteppichs ist schweißtreibend, ändert aber nichts an seinem verschmutzten Zustand – durch geschickt gesetzte Querverweise auf größere Zusammenhänge zu verweisen: Schwarze sind zwar nicht mehr versklavt, aber an ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung hat sich nichts geändert.

Der Roman erschien 1953 unter dem Titel „Go tell it on the Mountain“, frühere Übersetzungen orientierten sich daran. Der Titel „Von dieser Welt“ der deutschen Neuübersetzung lenkt vom religiösen Fokus – im Refrain des bekannten Spirituals soll die Geburt Jesu vom Berg in alle Richtungen ausgerufen werden – auf den Kampf der Romanfiguren, ihren Platz in dieser Welt zu finden.

Mit biblischer Sprachintensität erzählt Baldwin die Geschichte von John Grimes, der ein von der Kirche bestimmtes Leben in Harlem führt. Gabriel ist ein begnadeter, aber fanatischer und bigotter Prediger, der seiner Familie jegliche weltliche Regung versagen will, ohne Not auch mit Gewalt. Johns Widerstand gegen den Vater ist „sein Hass und seine Intelligenz“, dennoch hat er am Tag seines 14. Geburtstags ein religiöses Erweckungserlebnis.

Miriam Mandelkow transportiert in ihrer Neuübersetzung die Sprachmelodie und Rhythmik der Originalvorlage, lässt Slang und sprachliche religiöse Manierismen aufeinanderprallen. Der Schauspieler Wanja Mues gibt sich in diesen Rhythmus und liest den Roman schwingend wie einen Canto, wie ein Gedicht. Damit ruft er anfänglich Erstaunen hervor, erzeugt aber schnell einen Sog, der bis zum letzten Wort anhält. Mit viel Feingefühl arbeitet er die Nuancen des Texts heraus, nur der ironische Bruch, den er mit der englischen Aussprache des Namens „Jesus“ hervorruft, trügt das Bild der Lesung.

Baldwin selbst war für kurze Zeit Prediger, wandte sich aber von der Kirche ab. Für ihn zementierte der Glaube an eine von Weißen geprägte Religion und die eskapistische Überzeugung, dass ein besseres Leben nur im Jenseits zu erwarten ist, die Unterdrückung der Schwarzen.

Rassismus ist ein weiteres großes Thema in „Von dieser Welt“. Baldwin schildert rassistische Verbrechen und kritisiert die rassistische Gesellschaftsstruktur. Zwar hatte ihn der Rassismus, mit dem er Tag für Tag konfrontiert war, dazu gebracht, in den späten 40er Jahren ins europäische Exil zu gehen. Dennoch predigte Baldwin nicht Hass, sondern gegenseitigen Respekt. Die Überzeugung, dass alle Menschen gleich sind, und auch gleich zu behandeln, ist in jede Zeile von „In dieser Welt“ eingeschrieben. Baldwin brachte sie mit seinem späteren Ausspruch „I’m not a nigger, I’m a man“ auf den Punkt. Sylvia Prahl

James Baldwin: „Von dieser Welt“. 6 CDs, Laufzeit ca. 8 h, Der Audio Verlag, Berlin, 2018