Lichtvolle Erinnerungen

Die Ausstellung „Back to the Future“ im C/O Berlin zeigt, wie variabel das Medium der Fotografie heute ist. Besonders die Werke einer Pionierin der Fotografie aus dem 19. Jahrhundert, die es neu zu entdecken gilt, bestechen in ihrer Schlichtheit

Anna Atkins, Laurencia pinnatifida 1841–1853 Foto: C/O Berlin

Von Lorina Speder

Wenige Jahre nachdem Louis Daguerre 1837 das fotografische Verfahren entwickelte, entdecke auch Anna Atkins das Licht als Übermittler von Formen. Die englische Botanikerin und Illustratorin fertigte 1843 ohne Kamera, aber mithilfe von Sonnenlicht, das erste Fotobuch der Welt an. Dafür legte sie Pflanzen wie Seetang auf lichtempfindliches Papier, das sie zuvor mit Eisensalzen einrieb. Nach der Sonnenbestrahlung und dem Eintauchen in Wasser färbte sich die Fläche um die Pflanze blau.

Der weiße Negativ-Abdruck einer zartgliedrigen Großalge ist das erste Bild in der Ausstellung „Back to the Future“ bei C/O Berlin, die zuvor im Amsterdamer Foam-Fotografiemuseum gezeigt wurde. Allein wegen der Werke von Atkins lohnt sich ein Besuch. Ihre Pflanzenabbildungen bestechen durch ihre blau-weiße Schlichtheit.

Obwohl Atkins als Wissenschaftlerin mithilfe ihrer Fotogramme lediglich eine Dokumentation anfertigen wollte, muss man die Ästhetik ihrer Abbildungen bewundern. Den weißen Pflanzenumriss in der Mitte des blau gefärbten Papiers ergänzte sie lediglich mit einer handgeschriebenen Beschriftung. Die Engländerin hatte mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit, ohne es zu wollen, Fotografiegeschichte geschrieben. Und das weit vor Kollegen wie Karl Blossfeldt, der während der Weimarer Republik mit seinen sachlichen, schwarz-weißen Pflanzenstudien bekannt wurde. Auch seine Werke sieht man in der Ausstellung.

Wie es der ambivalente Titel der Schau andeutet, sieht man zwischen traditionell entwickelten Fotografien viele Experimente, die Möglichkeiten des Mediums zu testen. Viele zeitgenössische Fotografen nehmen dabei Atkins als Ausgangspunkt ihres Beitrags, wie etwa Sam Falls. Er legte wie die Engländerin Pflanzen auf Leinwände, aber überließ sie nicht der Sonneneinstrahlung, sondern der Witterung der Natur und bestreute die Konstruktion zusätzlich mit Farbpigmenten. Die explosiven Farben um Falls ’ Abdrücke sind durch Wind und Wetter angeregt und kontrastieren die simplen und ruhigen Originale Atkins’, die sich weiter durch die Ausstellung schlängeln.

Der Schweizer Künstler Douglas Mandry fertigte wie Atkins Negative von tropischen Pflanzen an, wobei er statt Sonnenlicht die UV-Licht Bestrahlung eines Solariums nutzte. Der Titel seiner Serie „Five Minutes to the Sun“ nennt denn auch gleich die Belichtungszeit. Neben diesem ironischen Beitrag findet man in der Ausstellung viele Beiträge von Künstlern wie Spyros Hadjidjanos, die digital arbeiten. In seinem Fall sind 3-D-Drucke von Pflanzen nach Blossfeldts Vorlage das Ergebnis.

Allein wegen der Werke von Anna Atkins lohnt sich ein Besuch

Alan Butler hingegen versuchte sich an der Ästhetik von Atkins. Nur entnahm er die Pflanzenbilder nun Videospielen. Er kopierte dafür einzelne virtuelle Pflanzen vom Bildschirm und übertrug sie mittels Positivfilm und Sonnenlicht auf Papier. In seinen Bildern erkennt man die Details der digitalen Pflanzen deshalb gestochen scharf. Doch an den Blättern am Stängel der Dahlie fehlt die Lebendigkeit. Anstatt sich sachte der Schwerkraft zu beugen, stehen die Blätter ab und sehen wie angesteckt aus. Das Digitale, egal wie man es manuell bearbeitet, ist nicht imstande, die Natürlichkeit von Atkins’ Fotogrammen zu kreieren.

Ein besonders schöner, weil simpler Beitrag sind die Pflanzenstudien von Eva-Fiore Kovacovsky, deren Mittelname im Italienischen „Blume“ heißt. Im Gegensatz zu den digitalen Arbeiten arbeitete sie manuell und kreierte durch die Technik des Naturselbstdrucks eine Auswahl von gepressten Pflanzen auf farbigem Papier. Ihre Arbeit besticht durch die wirksame Anordnung, in der sie eine Pflanze von mehreren Seiten auf einem Blatt zeigt.

Dieses Aufnehmen und bedachte Weiterführen von Atkins Dokumentationen wirkt weitaus stärker als die Beiträge, in denen digital gearbeitet wird. Obwohl dort die aktuellen Techniken des Mediums der Fotografie ausgereizt werden, weiß man nicht genau, warum dies geschieht. Gerade weil man den Vergleich zur Inspirationsquelle in der Ausstellung vor sich hat, lässt sich der Mehrwert der neuen Technologien nur schwer erkennen. Obwohl das Medium der Fotografie in den ersten Jahrzehnten auch kritisch betrachtet wurde, findet man in den handgemachten Dokumentationen von Atkins oder Blossfeldt eine eigene, persönliche Ästhetik, die durch die digitale Bearbeitung verlorengeht. Damit demonstrieren die historischen Beiträge auch, wie in Zeiten zwanghaften Wegfilterns aller Makel die Natürlichkeit in Vergessenheit gerät.

Bis 2. Dezember, C/O Berlin, Hardenbergstr.22–24, tägl. 11–20 Uhr