Diskussion um Merkels Nachfolge: Merz stellt Asylrecht in Frage

Auf einer Regionalkonferenz der CDU geht der Bewerber um den CDU-Parteivorsitz mit einer neuen Forderung in die Anti-Migrations-Offensive.

Friedrich Merz

Bei ihm soll das Asylrecht nicht mal mehr auf einen Bierdeckel passen: Friedrich Merz Foto: reuters

BERLIN taz | Die Bewerber*innen um den CDU-Vorsitz sind sich offenbar einig: Um Stimmen aus der eigenen Partei kämpft man am besten mit rechtem Populismus, und auf dem Rücken von Migrant*innen. Sei es Jens Spahn, der den UN-Migrationspakt noch mal von vorne bis hinten durchdiskutieren will, Annegret Kramp-Karrenbauer, die zum wiederholten Male den Doppelpass in Frage stellt – oder Friedrich Merz, der sagt, man müsse über das Fortbestehen des Grundrechts auf Asyl „offen diskutieren“.

Kramp-Karrenbauer, Spahn und Merz touren derzeit durch Deutschland, um sich auf Regionalkonferenzen der Parteibasis zu stellen. Am Mittwochabend taten sie das im thüringischen Seebach, es war ihr erster Auftritt in einem ostdeutschen Bundesland. Merz hatte dabei erklärt, Deutschland sei das „einzige Land der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung stehen“ habe. Er sei schon lange der Meinung, „dass wir bereit sein müssten, über dieses Asylgrundrecht offen zu reden, ob es in dieser Form fortbestehen kann, wenn wir ernsthaft eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik wollen.“

Eine europäische Lösung sei nicht zu schaffen, wenn man alles gemeinsam vereinbare, es in Deutschland als einzigem Land dann aber zusätzlich noch ein Individualrecht auf Asyl gebe – „darüber dürfen wir uns nun gar keine Illusionen machen.“ Zudem müsse Deutschland klarstellen, dass durch den UN-Migrationspakt keine neuen Asylgründe geschaffen würden, etwa Flucht vor dem Klimawandel. „Das sind Dinge, die wir in Deutschland auch durch die Hintertür nicht akzeptieren können.“ In den vergangenen Wochen hatte sich vor allem Merz' Konkurrent, der Gesundheitsminister Jens Spahn, mit Kritik an dem unverbindlichen Rahmendokument hervorgetan, das die UN-Mitgliedsstaaten im Dezember in Marokko annehmen wollen.

Zuerst hatte die AfD mit einer groß angelegten Kampagne massiv Stimmung gegen den Pakt gemacht. Spahn nutzt diese, um sich zu profilieren und sich von seinen Mitbewerber*innen abzuheben. Von der Regierung und nicht zuletzt der Bundeskanzlerin bekam er Gegenwind; erst im Dienstag hatte Angela Merkel während der Generaldebatte im Bundestag gesagt: „Entweder man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das ist Nationalismus in reinster Form. Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-Win-Situationen akzeptiert.“ Das richtete sich zuerst an die AfD, kann aber genau so auch an Spahn gerichtet verstanden werden.

Inzwischen haben die anderen Bewerber*innen nachgezogen, allen voran Merz, während Kramp-Karrenbauer sich in Seebach eigentlich anderen Themen hatte zuwenden wollen und sich erst auf Nachfrage zum Migrationspakt äußerte. Erst vor knapp einer Woche hatte sie allerdings angekündigt, im Fall ihrer Wahl die Regeln für die doppelte Staatsbürgerschaft überprüfen zu wollen.

Pro und contra „Merkels Flüchtlingspolitik“

Die drei Kandidat*innen führen damit fort, was sich schon lange beobachten lässt: Die AfD treibt die Union vor sich her, vor allem die CSU – und die wiederum macht Druck auf die CDU. Unvergessen ist der Streit zwischen den beiden Schwesterparteien, der die Union in zwei Lager geteilt hat: pro und contra „Merkels Flüchtlingspolitik“.

Dabei hat sich längst gezeigt, dass die Fokussierung auf das Thema Migration am Ende wohl eher der AfD nützt, als enttäuschte Unionswähler*innen von dort zurückzuholen. Verschiedene Umfragen haben aufgezeigt, dass Zuwanderung beziehungsweise deren Begrenzung für die Mehrheit der Menschen keineswegs das wichtigste Thema ist. Dafür drängen Themen, die im politischen Diskurs aber oft vom Streit um die richtiges Migrations- und Asylpolitik überlagert werden – wie soziale Gerechtigkeit, der Kampf gegen Altersarmut oder für gleiche Bildungschancen und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

Merz‘ Äußerungen zum Grundrecht auf Asyl blieben vom Regierungspartner nicht unwidersprochen. „Unser Grundrecht auf Asyl ist eine historische Errungenschaft. Daran gibt es nichts zu rütteln“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) der Rheinischen Post. Dass das Asylrecht dem Europarecht nicht entgehen stehe, sei bereits im Grundgesetz verankert. „Rechtspopulisten hinterher zu laufen“ führe nur zu einer weiteren Spaltung. Der SPD-Vize Ralf Stegner sagte, mit seinen Äußerungen verlasse Merz den „demokratischen Grundkonsens“.

Und auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und CDU-Politikerin Annette Widmann-Mauz mahnte mit Blick auf die deutsche Geschichte, „das Grundrecht auf Asyl nicht in Frage zu stellen“. Eine Begrenzung der Asylzahlen erreiche man nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes, „sondern indem wir Fluchtursachen bekämpfen, gemeinsam mit unseren Partnern an einem solidarischen Asylsystem arbeiten und eine faire Lastenverteilung in Europa vorantreiben“.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hingegen erklärte, Deutschland müsse mit seinen hohen Standards aufpassen, dass nicht „alle nach Deutschland kommen, weil wir die besten Voraussetzungen schaffen.“

Die beiden Mitbewerber*innen reagierten unterschiedlich auf Merz' Vorstoß. Während Spahn erklärte, das Grundgesetz sei eine große Errungenschaft, doch jedes Argument müsse „auf den Tisch“ und das Thema sei aus seiner Sicht eher der Schutz der EU-Außengrenzen als das deutsche Grundgesetz, betonte Kramp-Karrenbauer, eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl halte sie nicht „mit dem Wesenskern der CDU“ für nicht vereinbar.

Die Opposition wies Merz‘ Äußerungen vehement zurück. Der Grüne Innenpolitiker Konstantin von Notz erklärte auf Twitter, der Grundrecht auf Asyl sei eine „Lehre des Grundgesetzes aus den schrecklichen Erfahrungen von Jüdinnen und Juden, die aus Nazi-Deutschland zu fliehen suchten“ und aus der Fluchterfahrung von Millionen Deutschen. „Das mal eben beim Kampf um einen Parteivorsitz abräumen zu wollen spricht Bände.“ Jan Korte, Parlamentsgeschäftsführer der Linken, erklärte, mit der Aussage, das Asylrecht „noch weiter schleifen zu wollen“, trete man für den Parteivorsitz bei der AfD an, „aber nicht bei einer Partei aus dem demokratischen Spektrum“.

Merz selber ruderte am frühen Nachmittag zurück. Er stelle das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht in Frage, schrieb er auf Twitter, „weil wir Politik aus christlicher Verantwortung und vor dem Hintergrund der Geschichte machen“. Man müsse sich aber – „in aller Ruhe und Sachlichkeit“ – damit beschäftigen, wie dieses Grundrecht und ein europäischer Lösungsansatz gemeinsam wirken könnten.

Der UN-Migrationspakt: Der vollständige Vertragstext – kommentiert von ExpertInnen für Migration.

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