Der Nasen-und-Ohren-Zwinger

„Worlding it Otherwise or Else“ eröffnet im Berliner Bärenzwinger eine Ausstellungsreihe, die sich mit Fiktion als einer Kulturtechnik auseinandersetzt, die das Imaginieren und Simulieren alternativer Wirklichkeiten ermöglicht

Ausstellungsansicht von Worlding it Otherwise or Else“ Foto: Marlene Burz

Von Mira Nagel

In aufrechter Haltung thront die silberne Gliederpuppe auf der rostigen Vorhangstange. In der rechten Hand hält sie einen triefenden Pinsel, dessen dicke, grüne Farbe jeden Moment auf den aufblickenden Betrachter zu tropfen droht. Ein aufgespannter Fotoschirm schützt das balancierende Malerutensil vor dem grellen Scheinwerferlicht.

Mit der Ausstellungseröffnung von „Worlding it Otherwise or Else“ startet der Berliner Bärenzwinger in das neue Ausstellungsprogramm „Fictional Odyssee“. Die Fiktion als Kulturtechnik – ein Thema, das sich durch das Ausstellungsjahr 2019 ziehen wird.

Marie-Christin Lender und Christoph Weickenmeier, die JungkuratorInnen der Ausstellung „Worlding it Otherwise or Else“, interessiert an der ersten Ausstellung dieser Reihe der Arbeitsprozess, der den künstlerischen Arbeiten zugrunde liegt. Welche Gesetze, Narrative, Regeln erschaffen KünstlerInnen, auf deren Grundlage sie – um ganz nah am Begriff „Worlding“ zu bleiben – jeweils eigene Welten konstruieren? Die vier Künstlerinnen Beth Collar, Stephanie Comilang, Magdalena Los und Anna M. Szaflarski bieten mit ihren Exponaten Beispiele dafür, wie auf der Basis von realen Produktions­bedingungen wie Raum und Material jeweils eigene Erzählungen entwickelt werden können.

Die räumlichen Bedingungen des Bärenzwingers, einst Heimat des Berliner Wappentiers, haben alle vier Künstlerinnen spielerisch in ihre Arbeiten einbezogen. Ein Greenscreen hinter der schweren, vergitterten Zwingertür, eine Videoinstallation im gefrorenen Wasserbassin im Außenbereich sind Beispiele dafür, wie die Installationen in die Räumlichkeiten integriert werden.

In der Mitte des Bärenzwingers steht ein Holzmodell desselben, das die Autorin und Künstlerin Anna M. Szaflaski gebaut hat. Die gestaffelte Anordnung von bunt bemalten Holzplatten erinnert an die Miniaturpuppentheater des 19. Jahrhunderts. Jedoch wird diese kindliche Assoziation durch ausgesägte und bemalte Organteile gebrochen. Eine Nase, Ohren, zwei Augen geistern in einem Anklang an den Surrealismus durch den Miniaturzwinger.

Eine andere Art des „Worlding“, das sich weitaus deutlicher auf die Genese eines Kunstwerkes bezieht, lässt sich an den Arbeiten von Magdalena Los beobachten. Die polnische Künstlerin stellt die Objekte in den Mittelpunkt, die normalerweise als Hilfsmittel für künstlerische Erzählungen dienen und nun, durch die ästhetische Verfremdung der Künstlerin, selbst zum Material des Werkes werden, wie die anfangs bereits erwähnte, mit Zellophanpapier umwickelte Gliederpuppe oder der in Kuhfell-Optik gerahmte Greenscreen.

Dabei spielt die Künstlerin insbesondere mit den technischen Hilfsmitteln, die es in Zeiten der Digitalisierung einem jeden ermöglichen, vom Sofa aus schöpferisch tätig zu sein: An den eisernen Gitterstäben des Zwingers installierte die Künstlerin kleine Stative, die normalerweise ein Smartphone halten. Hier allerdings umklammern die Stative laminierte Zeichnungen, die die Künstlerin auf einem Smartphone skizziert hat.

Nicht einfach nur mit den Räumlichkeiten, sondern auch mit der Geschichte des Hauses setzt sich Stephanie Comilang in ihren Arbeiten auseinander. So zeigt die Künstlerin in ihrer zweikanaligen Videoinstallation den Ort aus der Perspektive des letzten Braunbären, der den ­Bärenzwinger bewohnte. Sowohl visuell, indem die Kamera die Perspektive des trottenden Bären übernimmt, als auch durch die lebhafte Stimme einer Frau, die über das Leben dieses Bären reflektiert. Die Intention der Künstlerin ist es, dem Betrachter durch die Videoinstallation eine Welt zugänglich zu machen, die nicht die der ­Künstlerin, sondern die des Bären ist.

Auch bei Beth Collar, der vierten Künstlerin im Bunde, findet über die Videoinstallation eine Auseinandersetzung mit Zeitlichkeit statt. Wenn auch völlig losgelöst von der Geschichte des Ortes. Unveröffentlichtes Videomaterial aus dem Jahr 2012 fungiert als symbolisches und tatsächliches Portal zu einer anderen Zeit. Gleichzeitig scheint die durch das Video vermittelte Zeit nicht lokalisierbar – die Künstlerin durchschreitet in mittelalterlicher Kostümierung die Hügellandschaft von Dartmoor, England, während sie gleichzeitig moderne, alltägliche Tätigkeiten verfolgt. Durch dieses Paradox vermittelt die Szenerie eine eigentümliche Zeit­ent­hobenheit.

Bis 28. April, Bärenzwinger, Im Köllnischen Park, Mitte, Di.–So. 12–18 Uhr