Bis zuletzt eine freudige Feministin

Politisches Bewusstsein, Stil und Selbstironie: Die französische Filmemacherin Agnès Varda ist tot

Foto: Agnès Varda im Februar auf der Berlinale bei der Vorführung ihres letzten Films „Varda par Agnès“ Foto: reuters

Von Jenni Zylka

Ein wenig gerührt wirkte sie, als sie im Februar auf die Bühne des Berlinale-Palasts gebeten wurde, kurz vor der Vorführung ihres autobiografischen Dokumentarfilms „Varda par Agnès“. Ein wenig gerührt, wegen des soeben erhaltenen Ehrenpreises inklusive warmherziger Laudatio – dennoch gelassen, selbstbewusst und bestimmt. Agnès Varda, die am Freitag im Alter von 90 Jahren starb, war eine Regisseurin, die ihre präzise Sprache mit einer gleichsam präzisen politischen Aussage verband, um konsequentes Autorenkino zu produzieren. „Meine Filme haben nie Geld eingespielt“, hatte sie kurz vorher auf einer Pressekonferenz konstatiert, „nur 'Vogelfrei’ hatte ein bisschen Erfolg – aber ich bin stolz, dass er überall bekannt ist.“

„Vogelfrei“ von 1985 erzählt in Rückblenden die Geschichte einer jungen Frau, gespielt von der damals 17-jährigen Sandrine Bonnaire, die als Landstreicherin durch das winterliche Südfrankreich zieht und die Unabhängigkeit von einem Wohnsitz, einem Menschen oder einem Broterweb über alles stellt. Mona erfriert – und nimmt dabei ihr Motiv wie ein Geheimnis mit ins Grab. Varda war es nicht darum gegangen, ihre Protagonistin zu erklären, sondern um die Schaffung eines schroffen, im Gegensatz zu üblichen Kinofiguren stehenden weiblichen Charakters.

Der filmische Rahmen war ebenso ungewöhnlich: Mit Kamerafahrten in festgelegten Abständen entwickelt „Vogelfrei“ einen eigenen, subtilen, enigmatischen Rhythmus – der das Werk auch über die feministische Aussage und Bonnaires feines Spiel hinaus zu einem Erlebnis macht. In „Varda par Agnès“ erklärt Varda diese formale Struktur, während sie dabei auf einem Kamerawagen sitzt, der durch ein Feld fährt; die charakteristische Bobfrisur schützt sie mit einem durchsichtigen Regenschirm vor der Nässe – Varda besaß nicht nur ein politisches Bewusstsein, sondern auch Stil und Selbstironie.

Varda wurde 1928 in Belgien geboren und wuchs, nachdem die Familie 1940 nach Frankreich geflüchtet war, an der Mittelmeerküste auf. In Paris studierte sie unter anderem an der Sorbonne und wandte sich nach einer Foto­graf*innenlehre dem Film zu. Ihren ersten drehte sie 1954, und definierte mit „La Pointe-Courte“ die Nouvelle Vague: In schwarz-weißen, stilisierten Szenen erzählt sie von der Entfremdung eines Ehepaares, das eine Urlaubsreise in die Heimat des Mannes macht. Die Kamera übernimmt, wie in all ihren Werken, eine aktive, erzählerische Funktion – auch im 1961 entstandenen „Cléo – Mittwoch zwischen 5 und 7“ ist die Kamera eine verlässliche Kommentatorin von gesellschaftlichen und Gender-Zwängen.

„Ich bin immer noch eine freudige Feministin“, sagte sie jüngst und kombinierte ihre Zufriedenheit darüber, dass mehr Frauen in Cannes zu sehen seien, mit der Kritik am System: „Auf der Straße protestieren ist wichtiger, als mit einem schönen Kleid auf einer Showtreppe zu stehen.“ Varda drehte 27 Filme, ihr letzter wurde von ihrer Tochter, der Kostümbildnerin Rosalie Varda, produziert, ihr aus der Verbindung mit dem Schauspieler Jacques Demy stammender Sohn Mathieu ist Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Für ein „Frau Varda, wie haben Sie das gemacht?“-Buch ist es leider zu spät. Man hätte daraus garantiert etwas oder vielleicht alles lernen können.