Darf dennWohnraumWare
sein?

Das Thema Mieten bewegt Berlin. Heute beginnt die Unterschriftensamm-
lung zum Enteignungs-Volksbegehren, zum zweiten Mal zieht die „Mieten-
wahnsinn“-Demo durch die Stadt. Die Kernfrage: Sollen gewinnorientierte Unternehmen überhaupt für die Wohnraumversorgung zuständig sein?

Hai! Sagten um die 25.000 MieterInnen bei der ersten „Mietenwahnsinn“ -Demo im April 2018 Foto: Fritz Engel/Zenit

Von Malene Gürgen

Am Thema Mietenpolitik kommt in Berlin niemand mehr vorbei. An diesem Wochenende gilt das ganz besonders: 25.000 Menschen kamen 2018 zur Mietenwahnsinn-Demo, an diesem Samstag könnten es bei der zweiten Ausgabe noch mehr werden. 269 Initiativen aus ganz Deutschland unterstützen den Aufruf. Los geht's in Berlin um 12 Uhr am Alexanderplatz.

Auch jenseits der Demo dreht sich alles um Mieten: Seit Wochen wird über das Volksbegehren zur Enteignung von Wohnungskonzernen hitzig diskutiert – obwohl die Unterschriftensammlung erst mit der Demo beginnt. Wenn die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag vergangene Woche dazu keine Entscheidung getroffen haben oder die Grünen dieses Wochenende gar nicht erst darüber reden wollen, ist allein das schon eine Nachricht. Auch für die besonders kritisierte Deutsche Wohnen ist Ignorieren keine Option mehr: Bisher äußerte sich das Unternehmen nicht zur Enteignungsfrage. Jetzt gibt der Vorstandsvorsitzende persönlich Interviews dazu.

Klar: In der Mietenbewegung tummeln sich findige Leute. Da ist viel richtig gemacht worden, wenn es darum geht, Protestformen zu entwickeln, Botschaften zu setzen, Konflikte zuzuspitzen. Mieterin zu sein ist nicht mit Scham behaftet, das macht es einfacher, sich zu organisieren – anders als etwa bei Arbeitslosen oder Menschen ohne Wohnung. Und es ist ein Konflikt, bei dem die Rollenverteilung klar scheint: auf der einen Seite die herausmodernisierte Großmutter, auf der anderen der skrupellose Immobilienkonzern.

Doch eigentlich geht es bei dem Konflikt gar nicht nur um die Frage, wie skrupellos ein Unternehmen ist, wie böse ein Konzernchef. Genau das macht ihn so interessant. Denn der Widerspruch, der hinter dieser Auseinandersetzung steht, ist nicht nur ein moralischer, sondern ein grundsätzlicher: Man darf mit Fug und Recht fragen, ob Unternehmen, die dazu da sind, Gewinne zu erwirtschaften, überhaupt für die Wohnraumversorgung der Bevölkerung zuständig sein sollten.

Darin liegt das radikale Potenzial der Mietenfrage: Es geht darum, wie soziale Infrastruktur, wie die Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt werden kann. Und bei einer Situation wie der auf dem Berliner Immobilienmarkt gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass private Unternehmen mit Gewinnabsichten dafür nicht die richtigen sind. Selbst dann nicht, wenn sie sich nicht an besonders krassen Geschäftspraktiken beteiligen: Die Zeiten, in denen in Berlin massiv mit Leerstand spekuliert wurde, sind längst vorbei. Und Unternehmen wie die Deutsche Wohnen setzen nicht nur auf Altbauten in beliebten Innenstadtkiezen, die zu astronomischen Preisen vermietet werden können. Sie haben das Potenzial erkannt, das in Berlin selbst in Plattenbausiedlungen der Randbezirke zu finden ist. Also wird dort gekauft, saniert und verteuert, wo die wohnen, die besonders wenig Geld haben.

Doch das Recht auf angemessenen Wohnraum gilt auch und insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen. Und wenn die Logik des Wohnungsmarkts dazu führt, dass die Mieten schneller steigen als die Löhne, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder verabschiedet man sich endgültig von der Vorstellung einer sozial durchmischten Stadt – im Zentrum leben dann künftig die Reichen, in der Peripherie die Besserverdienenden, für alle anderen ist kein Platz. Oder es muss an dieser Logik etwas geändert werden.

Der Mietenspiegel ist als Regulierungsinstrument absurd, die Mietpreisbremse greift nicht, die Unternehmen fühlen sich zu nichts verpflichtet. Kein Wunder, dass der Druck in Berlin von der Straße kommt. Gerade läuft dabei alles auf die ganz grundsätzliche Frage hinaus: Warum sollte Wohnraum ­eigentlich eine Ware sein?

Spiel mit den Immobilienhaien: das taz-Immo-Quartett 44/45