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Theresa Mays neuer Brexit-Plan: Jetzt soll Jeremy Corbyn ran

Das Gesprächsangebot der britischen Premierministerin an die Opposition soll die EU dazu bringen, den Brexit erneut zu verschieben. Bei der Labour-Basis stößt das auf eine Mischung von Zuversicht und Misstrauen

Bitte staatsmännisch gucken: Oppositionsführer Jeremy Corbyn schmökert vor den Kameras in seinem Büro im Brexit-­Abkommen, Dienstagabend Foto: Stefan Rousseau/ap

Aus London Daniel Zylbersztajn

Ist Jeremy Corbyn die Lösung für Theresa Mays Brexit-Dilemma? Er sei sehr froh, die Premierministerin zu treffen, und er wolle keine Bedingungen stellen – mit diesen Worten begrüßte der britische Oppositionsführer am Dienstagabend das Angebot der Premierministerin, in Gesprächen den gordischen Brexit­knoten zu lösen. Am Mittwoch ging es in der wöchentlichen Gegenüberstellung der beiden Parteichefs im Unterhaus sanfter zu als sonst: Corbyn und May brüllten etwas leiser als üblich, und Corbyn widmete dem Brexit keine einzige Frage, sondern sprach soziale Probleme an, wie die wachsende Kinder- und Rentnerarmut unter den Tories.

Diese Worte zielten auf die eigene Partei. Sie sollten klarstellen, dass Gespräche zwischen May und Corbyn zum Brexit keineswegs Kompromisse in anderen Politikfeldern bedeuten.

Theresa May hat den Rahmen der Gespräche, die am Mittwochnachmittag ­beginnen sollten, eng gesteckt. Das zwischen Großbritannien und der EU verhandelte Austrittsabkommen, dessen dreimaliges Scheitern im Unterhaus jetzt den Dialog mit der Opposition nötig macht, stehe nicht zur Diskussion, sagte sie am Dienstagabend nach einer ganztägigen Kabinettssitzung. Es gehe allein um einen Konsens zu den zukünftigen Beziehungen, der im Parlament eine Mehrheit finden könnte, wofür May dann bei der EU eine abermalige kurze Verschiebung des Brexits beantragen will – sonst droht der No-Deal-Austritt am 12. April.

Labour könnte nun versuchen, den barrierefeien Zugang zu EU-Märkten nach dem Brexit auszuweiten – ein „weicher Brexit“. Corbyn sprach zusätzlich Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz an. Im Parlament bekräftige May, sie sei sich mit Corbyn über vieles einig: Beide wollten einen No Deal ­vermeiden, Arbeitsplätze schützen und die Freizügigkeit beenden.

Bei der Labour-Basis wird nun abgewartet. Andy Harrop, Generalsekräter des Labour-Thinktanks „Fabian Society“, sprach gegenüber der taz von einer guten Nachricht, sofern May einen weichen Brexit gegenüber einem harten Austritt vorziehe. Sollte May einer Zollunion und einer Integration in den Binnenmarkt, ja vielleicht sogar einem bestätigenden Referendum zustimmen, dann sollte Corbyn seine Unterstützung nicht verweigern. Dennoch sei das Misstrauen gegenüber May bei Labour hoch. Und er warnt: Sollte May bald abdanken, wie versprochen, „könnte die neue Führung der Tories alles, worüber man sich einig war, einfach ignorieren“.

Neal Lawson, Vorsitzender der proeuropäischen Gruppe „Compass“, glaubt, dass eine Einigung auf einen „weichen Brexit“ der Stimmung Großbritanniens als Ganzes nahekomme. „All das hätte bereits vor drei Jahren geschehen müssen, inklusive einer Diskussion über die sozioökonomischen Gründe für den Brexit“, sagt er zu den Gesprächen. Sollte Corbyn es jedoch nicht schaffen, ein zweites Referendum zu garantieren, drohe eine Labour-Spaltung, denn die Mehrheit der Mitgliedschaft fordere dies.

Der Akademikerverband „Scien­tists for Labour“ spricht von einem „zynischen Versuch“ Mays, an der Macht zu bleiben. Die Lösung seien Neuwahlen und ein zweites Referendum. Der Pro-Brexit-Flügel von Labour wiederum warnt aus anderen Gründen davor, sich auf May einzulassen: „Sie versucht nur, die eigene Schuld auf Labour zu schieben. Jeremy sollte einen Misstrauensantrag stellen, die Regierung stürzen und dann mit einer Labourregierung das Referendumsergebnis umsetzen“, glaubt Brendon Chilton von der linken Brexit-Kampagne „Labour Leave“. Bei Neuwahlen dürfe Labour nicht für die EU eintreten: „Mit einer proeuropäischen Position kann Labour in London viele Stimmen gewinnen, nicht jedoch in Orten wie Dudley oder Mansfield.“

In Blythe, nördlich von Newcastle, in einer Grenzregion zu Schottland, würde Labour bei einem Pro-EU-Wahlkampf Mitglieder verlieren, versichert auch David Mallon, 20, der hier beim letzten Wahlkampf geholfen hatte. „Das Schlimmste, was Corbyn und May machen könnten, wäre ein zweites Referendum. Das würde als Verrat am ersten Referendum gesehen werden.“ Aus solchen Kommentaren wird klar, weshalb Corbyn sich so bemühte, am Mittwoch soziale Themen zu betonen, bevor er sich mit May zusammensetzte. Sollte es tatsächlich zu einem gemeinsamen Brexit-Plan von Labour und Tories kommen, werden abgehängte Regionen Zusicherungen brauchen, dass Labour sie nicht vergessen hat.