Jasmin Tabatabai im Interview: „Nicht schön, beschimpft zu werden“

Die Schauspielerin und Sängerin sagt offen ihre Meinung. Auch zum Flughafen Tegel. Schließlich wohnt Jasmin Tabatabai in der Pankower Einflugschneise.

Schauspielerin und Sängerin Jasmin Tabatabai sitzt im Schlosspark in Pankow an einen großen Baum geleht und schaut in den Himmel

„Was das bedeutet, bleibt mysteriös“, sagt Jasmin Tabatabai über eines ihrer neuen Lieder Foto: Stefanie Loos

taz: Frau Tabatabai, was haben Sie denn gegen Rehe?

Jasmin Tabatabai: Ich habe natürlich gar nichts gegen Rehe.

Trotzdem heißt Ihr neues Album „Jagd auf Rehe“. Der Titel ist die Übersetzung von „Shekare Ahoo“, ein altes persisches Volkslied, das Sie singen.

Eben. Aber in dem geht es nicht ums Jagen, sondern um gebrochene Herzen. Du hast mich erlegt mit deinem Blick, heißt es im Text, jetzt gehe ich ins Gebirge und jage Rehe.

Aha.

Ja, was das bedeutet, bleibt mysteriös. Genauso mysteriös wie, wer das überhaupt sagt, ob es ein Mann ist oder eine Frau, denn es gibt kein Geschlecht im Farsi. Aber das hat Tradition in dieser Kultur, es wird vieles nicht ausgesprochen. Und genau dieses Mysteriöse hat mir gefallen, ich fand das Uneindeutige gut. Mir gefällt, dass mich Leute fragen: Was soll das bedeuten?

Mehr bedeutet der Albumtitel nicht?

Nein, da steckt kein Programm dahinter. Programmatisches liegt mir fern. Ich bin niemand, der ein Konzeptalbum machen würde.

Auf dem Album singen Sie extrem unterschiedliches Material. Das geht von Schuberts „Ständchen“ über einen Slam-Poetry-Text oder die Beatles bis zu Reinhard Mey. Warum machen Sie diese Diskrepanz auf?

Das hört sich negativ an, wenn Sie Diskrepanz sagen. Das klingt, als wäre etwas nicht stimmig. Sie könnten auch Vielfalt sagen.

Dann anders: Warum diese Vielfalt?

Es gibt eben unterschiedliche Künstlertypen: Die einen perfektionieren eine Sache und finden sich darin ein Leben lang wieder. Aber bei mir ist es andersherum. Ich springe gern zwischen den Welten herum, egal ob es um Musik geht, um den Beruf oder die beiden Kulturen, in denen ich aufgewachsen bin. Ich kann mir nicht vorstellen, ein Leben lang dieselbe Musik zu machen. Für mich wäre es die Hölle gewesen, wenn ich nach dem großen Erfolg von „Bandits“ die Songs aus dem Film und diese Figur Luna bis ans Lebensende hätte spielen müssen.

Haben Sie „Bandits“ in letzter Zeit noch mal gesehen?

Ja, erst im März bei der Feminist Film Week.

Der Film ist aus dem Jahr 1997.

Ja, aber kein bisschen gealtert. Obwohl sich Frauenbilder und Rollenklischees seitdem radikal verändert haben, sind diese vier Frauenfiguren, diese Archetypen auch heute noch ziemlich modern. Eine Figur wie Luna, die wütende, junge Frau, die flucht und schon mal Leute zusammentritt, die gab es damals nicht im Kino.

Der Film hat Preise gewonnen, aber die Kritiker mochten ihn nicht.

Die männlichen Kritiker. Da waren richtig böse Kritiken dabei. Ich glaube, „Bandits“ hat damals einige überfordert, weil er ein scheinbar harmloser Musikfilm war. Aber beim Publikum, vor allem bei einem jungen Publikum, hat der Film offene Türen eingerannt, einen Nerv getroffen. Ich werde bis heute auf keinen Film so oft angesprochen. Immer wieder treffe ich Frauen, die damals 13 oder 14 Jahren waren und mir sagen: Wegen diesem Film habe ich eine Band gegründet.

Auch Sie hätten sich für eine Karriere als Popstar entscheiden können.

Ich habe mir das damals angeschaut. Nach „Bandits“ war ich tatsächlich in der Situation, dass ich mir die Plattenfirma hätte aussuchen können. Aber mir hat die Branche nicht gefallen. Da gibt es sofort einen ungeheuren Druck. Wenn die Single nicht sofort ein Hit wird, dann darfst du das Album nicht mehr machen. Da darf man sich nicht ausprobieren. Außerdem wollte ich die Schauspielerei nicht aufgeben, aber beides parallel, das wäre zu zeitaufwendig gewesen.

Aber jetzt stemmen Sie doch beides.

Ja, aber die Musik, die ich jetzt mache, ist ja kein Pop. Im Jazz, im Chanson läuft das vollkommen anders – auch das Geschäft. Wir sind keine Pop- oder Rockband, wir gehen nicht dreimal die Woche in den Probenraum und schon gar nicht mehrere Wochen oder Monate am Stück auf Tour. Mein musikalischer Partner, David Klein, kommt aus Basel, der Pianist und der Bassist aus Stuttgart, der Schlagzeuger aus Köln – und seit neun Jahren treffen wir uns fast jedes Wochenende irgendwo zum Konzert – zumindest bis Corona kam.

Sie kommen musikalisch aus einer ganz anderen Ecke, Ihre erste Band hieß Even Cowgirls Get The Blues und spielte Country.

Ja, ich bin Autodidaktin, ich kann musikalisch nicht mithalten mit diesen unglaublich versierten Jazzmusikern. Aber die haben mir nie das Gefühl gegeben, dass das, was ich mache, nicht genügen würde. Deswegen bedeutet Jazz für mich vor allem Freiheit. Ich bin die Stimme, ich bin der rote Faden, die bauen alles um mich herum, die tragen mich wirklich auf Händen. Aber ich weiß halt auch, wo meine Grenzen sind. Ich sage denen nicht, wie sie spielen sollen, und ich mische mich nicht in die Arrangements ein, das würde ich mir niemals anmaßen. Ich könnte vielleicht sogar sagen, ab heute schreibe ich alle Texte selbst. Aber warum sollte ich? Es gibt doch schon so viele wahnsinnig tolle Lieder.

Sie haben immer nur englische Texte geschrieben …

Ja, bis auf eine Ausnahme. Mit Even Cowgirls Get The Blues sind wir mal als Die Schrippen aus Berlin als unsere eigene Vorband aufgetreten. Dafür habe ich alle Texte ins Deutsche übersetzt. Das war also eher satirisch. Ansonsten finde ich es wahnsinnig schwierig, deutsche Texte zu schreiben. Ich bewundere das sehr, wenn das jemand gut kann.

Schauspielerin und Sängerin Jasmin Tabatabai steht im Schlosspark in Pankow und schaut freundlich in die Kamera

„Echter Erfolg ist so selten und so toll, den sollte man genießen“, sagt Tabatabai Foto: Stefanie Loos

Haben Sie auf die Pop-Karriere, die sich nach „Bandits“ angeboten hätte, auch deshalb verzichtet, weil Sie Angst hatten, dass Sie auf ein gewisses Image festgelegt würden?

Erfolg sollte einem keine Angst machen. Echter Erfolg ist so selten und so toll, den sollte man genießen. Nein, ich hatte keine Angst, festgelegt zu werden. Aber ich habe schon auch sehr darauf geachtet, mich um Klischees und Schubladen herumzudrücken. Das hat allerdings schon lange vor „Bandits“ begonnen, weil ich immer dagegen kämpfen musste, die Quotenausländerin zu sein. Schon an der Schauspielschule hat ein Lehrer zu mir gesagt, und das war gar nicht böse gemeint: Jasmin, für dich wird es sehr schwer in Deutschland, Rollen zu kriegen. Und so war es dann ja auch.

Sie haben mal gesagt, Sie waren zu lange die Quotentürkin.

Ja, das war vor allem am Anfang meiner Karriere ein Problem. Ich habe dann zwar nur einmal eine Türkin gespielt, aber ich habe auch zwanzig Jahre gebraucht, um im Mainstream anzukommen und endlich Rollen wie die Mina in „Letzte Spur Berlin“ zu bekommen. Mittlerweile hat sich zum Glück einiges getan, es sind jetzt viel mehr Menschen mit Migrationshintergrund sichtbar. Aber es ist natürlich immer noch kein Abbild der Gesellschaft, das Film und Fernsehen aber sein sollten – finde ich zumindest.

Sie sind generell jemand, der aneckt und sich eine Meinung leistet.

Ja, aber das ist ein Problem, das fast alle Schauspielerinnen und Schauspieler haben: Man will nicht, dass wir groß den Mund aufmachen, wir sollen pflegeleicht sein. Unser Job ist es, eine Rolle zu spielen. Wenn du aus dieser Rolle fällst, dann handelst du dir automatisch Ärger ein. Dass viele darauf keine Lust haben, das kann ich sogar verstehen. Aber ich kenne auch immer mehr Bekannte und Kollegen, die sagen: Ich habe eine gewisse Bekanntheit und dadurch eine gewisse Reichweite, und die werde ich auch nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

„Wenn der Flughafen Tegel wirklich zumacht, bin ich einfach nur erleichtert“

Wie nutzen Sie ihre Reichweite?

Ich bekomme ständig Anfragen, ob ich nicht mein Gesicht für einen guten Zweck hergeben will. Aber ich finde, man sollte sich konzentrieren auf Dinge, hinter denen man auf jeden Fall stehen kann. Ich habe mich immer für Frauenbelange eingesetzt wie für ProQuote Film. Da bin ich überzeugt, dass das eine gute Sache ist und wir gar nicht oft genug darüber reden können, wie viel weniger Geld Frauen bekommen, wie viel weniger Rollen für sie da sind. Und ProQuote hat endlich mal die Fakten geliefert. Dank der Studien, die die in Auftrag gegeben haben, haben wir endlich nicht mehr nur ein doofes Gefühl, sondern gute Argumente.

Hat sich da nicht allerhand getan?

Ja, natürlich hat sich viel getan. Man muss sich ja nur mal Serien wie „Ich heirate eine Familie“ oder „Drei Damen vom Grill“ ansehen: So niedlich diese Serien sind, aber welche Frauen- und Männerbilder da in den siebziger und achtziger Jahren propagiert wurden, das kann man heute kaum noch verstehen. So etwas könnte man nicht mehr drehen, aber auch heute muss man als Frau immer noch darauf achten, dass die Rolle nicht zu passiv angelegt wird. Auch bei „Letzte Spur Berlin“ muss ich aufpassen, dass meine Rolle Mina nicht zur Mutter der Kompanie wird, dass sie nicht nur am Rande steht und sich Sorgen um die Männer machen darf … Es gibt noch viel zu tun.

Vor zwei Jahren bei der Verleihung des Deutschen Schauspielpreises haben Sie noch gesagt, MeToo habe viel verändert in der Filmbranche.

Ach, ob MeToo wirklich etwas verändert hat in der Filmbranche, da bin ich mittlerweile sehr skeptisch. Es ist eine kleine Branche, eine sehr konservative Branche, und das sind ganz alte Strukturen, die MeToo da endlich mal zutage hat treten lassen. Aber MeToo ist in Deutschland viel zu schnell im Sande verlaufen. Zuerst konnte man sich eine Zeit lang kaum retten vor Anfragen, ob man auch mal etwas enthüllen wolle. Aber die Schauspielerinnen, die dann tatsächlich Namen genannt haben wie Jany Tempel, die sind völlig alleingelassen worden. Das Einzige, was MeToo wirklich gebracht hat: Endlich wurde angefangen, über dieses Problem in der Branche zu sprechen. Wegen der Sensationslust redet mittlerweile aber halt niemand mehr offen. Intern aber wird weitergesprochen, da gibt es durchaus einen guten Austausch. Den hat MeToo in Gang gebracht, aber der müsste halt weitergehen. Denn es ändert sich nichts, wenn nicht dafür gekämpft wird. Aber kämpfen kann gefährlich sein für die Karriere.

In einer Grßaufnahne sind die Hände von Jasmin Tabatabei zu sehen

Die Hände der Pankowerin Foto: Stefanie Loos

Gefährlich?

Ja, klar, wenn man den Mund aufmacht, wird man weniger besetzt. Das sagt einem natürlich keiner ins Gesicht, aber Regisseure und Regisseurinnen haben mir erzählt, dass sie mich besetzen wollten – aber die Redaktion dann Nein gesagt hat. Es brauchte dann eine mutige Casterin, eine mutige Redakteurin, damit ich bei „Letzte Spur Berlin“ anfangen konnte – und dann merkt man, dass es dem Publikum völlig egal ist. Ich will mich nicht beklagen, aber es ist nun mal so, dass es vor allem bei Frauen in der Branche nicht gern gesehen wird, wenn sie meinungsstark sind. Aber ich verstehe auch, dass die meisten lieber still bleiben.

Warum?

Weil es anstrengend ist, weil es nicht schön ist, beschimpft zu werden. Wenn ich in einer Talkshow etwas zum Thema Schule und Kinderbetreuung sage, ist im Internet der Teufel los. Ich solle mich raushalten und dorthin zurückgehen, wo ich herkomme. Wenn ich auf Facebook einen Aufruf zur Seenothilfe poste, bekomme ich tonnenweise Hasspost, die übelsten Beschimpfungen. Wenn ich sage „Nazis raus!“, dann geht es richtig ab. Gerade wenn man Migrationshintergrund hat, soll man lieber still sein, heißt es dann.

Ja, aber das ist ein Problem, das fast alle Schauspielerinnen und Schauspieler haben: Man will nicht, dass wir groß den Mund aufmachen, wir sollen pflegeleicht sein. Unser Job ist es, eine Rolle zu spielen

Wie geht es Ihnen damit?

Na, toll finde ich das nicht. Aber soll ich deswegen die Schnauze halten? Wie gesagt: Engagement sollte auch was kosten, sonst ist es nicht glaubwürdig.

Ein Thema, zu dem Sie sich exponiert haben, war die Schließung des Flughafens Tegel.

Ja, da habe ich mich auch nicht unbedingt beliebter gemacht. Ich weiß, dass vor allem die Westberliner an Tegel hängen. Für die hat der Flughafen einen sentimentalen Wert. Das verstehe ich ja auch. Für die Westberliner war Tegel das Tor zur Freiheit.

Für Sie ist er vor allem ein Quell des Lärms, Sie wohnen schon lange in Pankow in der Einflugschneise und haben sich engagiert in der BI „Tegel endlich schließen“.

Ja, und seitdem wegen Corona kaum noch geflogen wird, haben wir hier eine vollkommen andere Lebensqualität. Ich kann zum ersten Mal, seit ich in Pankow lebe, bei offenem Fenster schlafen. Ich kann mich endlich in meinem Garten mit Menschen unterhalten. Fluglärm ist einfach eine Zumutung. Fluglärm ist ja kein buntes Treiben, nicht der Sound eines quirligen Stadtlebens, sondern ein aggressiver, krank machender Krach, der den Leuten zugemutet wird.

Die Bürgerinitiative konnte allerdings nicht verhindern, dass 56 Prozent der BerlinerInnen beim Volksentscheid dafür stimmten, dass TXL offen bleiben soll. Wie haben Sie sich damals gefühlt? Fühlten Sie sich verraten?

Nein, es haben ja über 40 Prozent für die Schließung gestimmt, das ist ja nicht nichts. Den Lärm spüren ja auch nur die Anwohner. Das Problem, und das haben wir immer gesagt, war ja auch nicht Tegel, sondern dass der BER nicht fertig wurde. Die Leute waren einfach sauer über dieses Versagen und haben trotzig gesagt: Dann behalten wir halt Tegel. Und darauf haben sich einige mit populistischen Parolen draufgesetzt. Vor allem die FDP – und das hat mich richtig geärgert. Weil die so getan haben, als gäbe es die Vereinbarungen und Verträge nicht, aufgrund deren Tausende von Menschen mit ihren Familien eine Entscheidung getroffen haben, hierherzuziehen. Denen wurde gesagt: Dann habt ihr euch halt verzockt. Ich zocke nicht, schon gar mit so einer Lebensentscheidung.

Ist es ein Triumph, dass das Ende nun gekommen scheint?

Gar nicht. Wenn Tegel wirklich zumacht, bin ich einfach nur erleichtert.

Werden Sie Tegel auch ein wenig vermissen?

Kein bisschen.

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