Queere Netflix-Serie „She-Ra“: Utopische Dystopie

Schwule Väter, fluide Gender: Das Netflix-Remake der 80er-Zeichentrickserie „She-Ra“ zeigt, wie innovative queere Popkultur aussehen kann.

3 mystische Figuren aus der Netflix-Zeichentrick-Serie „She-Ra“

Selten war der Kampf gegen Gut und Böse so divers: Still aus der Netflix-Serie „She-Ra“ Foto: Netflix

Wer als queere Person und Kind der 90er aufgewachsen ist, für den gehören TV-Serien wie „Xena“ und „Buffy“ zum Kanon. Die Intensität und Komplexität, mit der hier Beziehungen starker Frauen zueinander erzählt wurden, galt lange Zeit als beispielhaft – und ist in Teilen auch heute noch unerreicht.

Die Repräsentation von Queerness und lesbischer Liebe machte diese Serien nicht nur in der LGBTQI*-Community zum Langzeiterfolg. Dennoch hatten sie stets etwas Uneingelöstes, etwas, das auf dem Boden des Cutting-Rooms landete, das Studiobosse verhinderten, das nie vollständig erzählt werden durfte, zumindest nicht in seiner vollen Stärke: queere und lesbische Liebe.

Nicht nebenher oder kodifiziert, sondern als Kern der Geschichte. Die Neuauflage der 80er-Zeichentrickserie „She-Ra“ hat diese Lücke gefüllt. Und macht Hoffnung auf mehr Fernsehen dieser Art.

2015 beauftrage der Streamingsender Netflix die queere, nonbinäre Zeichnerin Noelle Stevenson mit einem Revival der Kultserie. Stevenson hatte zuvor mit der queeren Comicbuchreihe „Lumberjanes“ Preise gewonnen. Mit ihrem Debut-Comic „Nimona“, einer Fantasy-Parodie über eine schlagfertige Teenagerin, wurde sie unter Indie-Graphicnovel-Fans zum Geheimtipp.

Dann kam „She-Ra“. Netflix hatte es zunächst auf nur eine Staffel des Retro-Hits abgesehen, Stevenson jedoch pitchte gleich fünf Staffeln und 52 Folgen mit actionreichem Plot – und bekam den Zuschlag. Die Serie ging im deutschsprachigen Raum zunächst leider unter, während sie international immer beliebter wurde. Doch auch in Deutschland führte Netflix sie zwischenzeitlich unter „meistgesehen“.

Was ist gut und was ist böse?

Es geht um das Findelkind Adora, das auf dem Planeten Etheria bei der Magierin Shadow Weaver und den Hordes aufwächst, einer militärisch organisierten Gruppe, die vom Tyrannen Hordak kontrolliert wird. Adora wird trainiert, um die Rebellion zu zerschlagen: den Widerstand der Prinzessinnen Etherias.

Doch das Bild wandelt sich, als Adora mit ihrer engsten Freundin Catra auf einen unerlaubten Ausflug aufbricht und ein mysteriöses Schwert findet. Es lässt sie zu She-Ra werden, einer mystischen Heldin, die die Balance Etherias wiederherstellen soll.

Fortan kämpft sie mit den Prinzessinnen gegen die Hordes – und damit auch gegen alte Freunde. Ein schmerzhafter Loslösungsprozess beginnt für Adora und Catra, die einst die engsten Bezugspersonen füreinander waren, in einem Umfeld, das von Gewalt und seelischem Missbrauch geprägt war. In ihrer Enttäuschung und in ihrem Schmerz entwickelt sich Catra zur Antiheldin der Serie.

Was ist gut, was ist böse, wer steht auf der richtigen und wer auf der falschen Seiten? Nichts ist eindeutig in der Welt von Etheria. Der Plot wird zunehmend komplex und so manches entwickelt sich ganz anders als zunächst angenommen.

Mitte der 80er Jahre als Spin-off der Serie „He-Man and the Masters of the Universe“ entstanden, hat sich die Serie mittlerweile von ihrem Alter Ego emanzipiert. „She-Ra“ ist heute ein eigenständiger Kosmos, der keine Männer mehr braucht, die als Helden vorangehen.

Nie dagewesene Geschichten

Noelle Stevensons Neuauflage ist mehr als nur eine Hommage für Fans aus alten Zeiten. Sie hebt „She-Ra“ ins neue Jahrtausend. Komplexe Psychogramme sind so selbstverständlich wie die Diversität, mit der sie Etheria zeichnet: queere Charaktere, lesbische Liebe, schwule Väter, Frauensolidarität, sensible Männer, eine Vielfalt an Körperformen.

Sie wirft auch ein Schlaglicht darauf, was mit Menschen passiert, die mit Liebe und Zutrauen gefördert und großgezogen werden und was im Gegenzug jemand zu meistern hat, der von klein auf abgewertet wird. Ein Spannungsverhältnis, das die beiden Hauptfiguren der Serie, Adora und Catra, entzweit – jedenfalls vorerst.

„She-Ra“ scheut sich nicht vor düsteren Themen und ambivalenten Held*innen, schafft aber mit Humor und Slapstick auch eine Balance. Die Tiefe und psychologische Einsicht, mit der Stevenson die Serie gestaltet, machen sie nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern erst recht für Erwachsene zum Erlebnis.

Noelle Stevenson hat mit „She-Ra“ die Grenzen des Erzählbaren endlich dahin verschoben, wo viele Kids der 90er sie schon vor Jahrzehnten haben wollten. Das zeigt, was passiert, wenn queere und genderdiverse Menschen selbst an den Schalthebeln der Popkultur sitzen: Es entstehen nie dagewesene Geschichten und ein authentischeres Bild der Welt.

Selbst im Zeichentrick – denn die Echtheit der Figuren und die Bedeutung der Geschichte transportieren sich fast losgelöst von ihrer Form. Es fühlt sich echt an. Wesentlich echter als vieles, was wir in den letzten 30 Jahren zu sehen bekommen haben.

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