Die Schönheitskönigin

Ingo Rose und Barbara Sichtermann machen die Leser*innen ihrer Helena-Rubinstein-Biografie mit einer selbstständigen, unabhängigen Frau bekannt

Helena Rubinstein Foto: imago

Von Brigitte Werneburg

Schwer zu glauben bei der Rolle, die die Kosmetikindustrie im heutigen Wirtschaftsgeschehen einnimmt: Die industrielle Herstellung von Schönheit durch Hautpflegeprodukte und dekoratives Make-up gibt es gerade mal rund hundert Jahre. Eine Pio­nierin auf diesem Feld, die zuletzt etwas in Vergessenheit geratene Helena Rubinstein, hat derzeit wieder Konjunktur.

Da war die Ausstellung im Jüdischen Museum in Paris im letzten Jahr. Und nun legen Barbara Sichtermann und Ingo Rose im deutschsprachigen Raum eine elegant und flüssig geschriebene Biografie vor. Ihre Geschichte beginnt mit der furchtlosen, risikofreudigen Nestflüchterin, die sich – kaum der heimatlichen Enge entkommen – als erfinderische Intelligenz erweist, als kühne Visionärin und last not least als gewiefte Geschäftsfrau, große Kunstsammlerin und Wohltäterin in Kunst und Wissenschaft.

Unwillig zu heiraten, weicht die 1870 im jüdischen Kazimierz-Viertel in Krakau als älteste von acht Schwestern geborene Chaja Rubinstein dem familiären Druck aus, indem sie erst zu Verwandten nach Wien und dann nach Australien zieht. In die Passagierliste des Schiffs, das sie nach Down Under bringt, schreibt sie sich als Helena Rubinstein ein und macht sich gleich noch vier Jahre jünger. Der Mut und der Wille, ihre Geschichte selbst zu schreiben, zeichnete sie schon immer aus.

In Australien an- und um der dortigen Verwandtschaft und deren Heiratskandidaten zu entkommen, flüchtet sie ins Labor, das sie sich eingerichtet hat, nachdem die wundersame Vermehrung der zwölf Creme­tiegel, mit denen sie an Land ging, dann doch an ihr Ende gekommen ist. Doch sie sieht ihre Aufgabe nicht allein in der Entwicklung von Hautpflegeprodukten, sondern ebenso sehr in der Beratung, auch zur richtigen Ernährung, zu Sport und Entspannung.

1902 eröffnet in Melbourne ihr Maison de Beauté Valaze. Der Schönheitssalon ist ein Hit und Rubinstein verdient in wenigen Monaten ein Vermögen. Nun geht es darum, in London zu reüssieren, in Paris und 1914, kriegsbeding, im neuen Domizil New York. Sie baut ein Imperium auf, heiratet doch noch, bekommt zwei Söhne, wird geschieden und heiratet erneut.

Von Misia Sert, einer wichtigen Figur der Pariser Salons, beraten, verkehrt sie in der sogenannt besten Gesellschaft, sammelt afrikanische Kunst, bevor noch Picasso und Co. sie in den Blick nahmen, und kleidet sich bei Schiaparelli und Chanel ein, später ist sie eine frühe Bewunderin von Yves Saint Laurent.

Kurz, ihr Urteil hat Gewicht in Kunst und Mode. Auch die Welt der Wissenschaft kennt Helena Rubinstein, nicht nur als Unternehmerin, sondern als Mäzenin, die an der Universität von Massachusetts einen Chemie-Lehrstuhl einrichtet.

Sichtermann und Rose kommen auf Rubinsteins herrischen Charakter genauso zur Sprache wie auf ihre nie nachlassende Hingabe an ihre Kundinnen und deren Wohlbefinden. Worin auch ihr Erfolg gründete. Als sie 1965 mit 95 Jahren starb, beschäftigte sie rund 30.000 Mitarbeiter in 100 Salons in 14 Ländern. Bis heute fördert die Helena Rubinstein Foundation, in der sie ihre karitativen Aktivitäten bündelte, vorzugsweise die Wissenschaft.

Ingo Rose, Barbara Sichtermann: „Augen, die im Dunkeln Leuchten. Helena Rubinstein. Eine Biografie“. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2020, 320 Seiten, 24 Euro