Duisburger Filmwoche: Andere Blicke auf die Welt

Die Duisburger Filmwoche lief notgedrungen online. Zu sehen gab es unterschätzte Dokumentarfilms und kluge Ausflüge an die Ränder der Gesellschaft.

Im altmodischen Ambiente richtet sich ein alter Mann vor dem Spiegel seinen Krawattenknoten

Kurt Girk in „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel Foto: Vento Film

Konzentriert sitzt der grauhaarige Mann an einem Schreibtisch, der rechts mit Buntstiftkisten bedeckt ist. An der Wand vor ihm hängen Bilder, gerahmt, die mit Buntstiftschraffuren bedeckt sind. Auf manchen liegt über den Schraffurflächen ein Netz von Linien, die dem Gewebe zusätzliche Struktur geben. Über dem Kopf des Zeichners hängt ein Namensschild an der Wand: Adolf Beutler. In der Zeichnung auf dem Schreibtisch fügt Beutler gerade umbrafarbene Linien in ein Gewirr von roten und violetten Linien ein.

Sabine Herpichs Film „Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist“ zeigt die Arbeit einer Reihe von Künstler:innen. Suzy van Zehlendorf eignet sich Werke der Kunstgeschichte ebenso wie Fotos aus Boulevardzeitungen an und ersetzt die Köpfe der Menschen durch Hähne. „Kunst heißt der Hahn“, wie van Zehlendorf treffend zusammenfasst. Gedreht wurde der Film überwiegend in den Ateliers der privat betriebenen Kunstwerkstatt Mosaik in Berlin-Spandau, die Räume für Künstler:innen mit Behinderung bietet.

Sabine Herpichs Film hat auf der 44. Duisburger Filmwoche, die am Sonntag zu Ende ging, den 3sat-Dokumentarfilmpreis gewonnen, einen der beiden Hauptpreise des Festivals. Der zweite Hauptpreis ging an Patric Chihas „If It Were Love“, der die Arbeit rund um das Rave-Stück „Crowd“ der französischen Theatermacherin und Choreografin Gisèle Vienne begleitet hat.

Auch die Duisburger Filmwoche blieb dieses Jahr nicht verschont: Das Festivalkonzept schien coronatauglich, die Kataloge waren gedruckt. Zwischen Duisburg und Berlin-Neukölln ein Wettkampf bei den steigenden Fallzahlen. Statt eines Festivals am Ort mit Satelliten in Hamburg, München, Köln, Berlin, Zürich und Wien fand man sich dann doch leider in diesem Jahr nur vor den heimischen Rechnern ein.

Glücksspiel und Revierkämpfe

Zur Eröffnung lief der österreichische Dokumentarfilm „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel, der wie Sabine Herpichs Film auf der diesjährigen Berlinale Premiere feierte. Covi und Frimmel porträtieren in ihrem Film zwei Lokalgrößen der kleinteiligen Wiener Unterwelt der 1960er Jahre. Alois Schmutzer, der „Stoßkönig“, und Kurt Girk, der „Frank Sinatra von Ottakring“ wirken unscheinbar, wenn sie in Kaffeehäusern von vergangenen Zeiten berichten. Das teils von blutigen Revierkämpfen begleitete Geschäft mit dem Glücksspiel war eine Weile einträglich, endete für einige der damaligen Protagonisten aber auch tödlich.

Zugleich wird in den Erzählungen der älteren Herren ein Österreich der Polizeiwillkür sichtbar. Wie so viele Filme des Dokumentarfilmer-Duos Covi/Frimmel ist auch „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ ein kluger Ausflug an die Ränder der Gesellschaft, von wo aus andere Blicke auf die Welt möglich werden. Covi/Frimmels Filme gehören – womöglich gerade wegen ihrer Zugänglichkeit – zu den unterschätzten Perlen des europäischen Dokumentarfilms.

Bei Jan Soldat ist es schwer geworden, mit dessen immer schneller werdender Filmproduktion mitzuhalten. 18 Filme weist seine Website für dieses Jahr aus und noch ist es ja nicht um. Die Filme von Jan Soldat leisten seit Jahren Pionierarbeit, eröffnen Perspektiven, die es ohne sie nicht gäbe.

Zeigen ohne zu werten

Zu „Wohnhaft Erdgeschoss“ vermerkt der Programmtext der Filmwoche: „Heiko sitzt nackt am Schreibtisch. Vor ihm Tabak und Tastatur, hinter ihm Raumsprays. Heiko pisst.“ Wie immer geht es bei Soldat um Männer und ihre Sexualität, um Vorlieben, die irritieren können, aber zugleich zeichnen Soldats Filme stets Biografien nach. Auch „Wohnhaft Erdgeschoss“ vereint beide Facetten.

Pünktlich zur Duisburger Filmwoche wurde die Website mit den Protokollen der Diskussionen neu aufgesetzt. Unter protokult.de können 43 der 44 Festivaljahrgänge durchstöbert werden.

Die Kraft von Soldats Filmen besteht in der Intimität, die sie zwischen Filmemacher und Protagonist erzeugen. Seine Porträts zeigen ohne zu werten. „Wohnhaft Erdgeschoss“ wurde auf der Filmwoche mit dem Preis der Stadt Duisburg ausgezeichnet.

In diesem Jahr fanden sich im Wettbewerb der Duisburger Filmwoche vergleichsweise viele schon bekannte Filme. Neben den Übernahmen von der Berlinale sogar zwei Filme, die schon regulär in den deutschen Kinos liefen. Carmen Losmanns „Oeconomia“ und Aysun Bademsoys „Spuren – Die Opfer des NSU“. Bademsoy sucht Freude und Angehörige von drei NSU-Opfern auf und zeigt deren Umgang mit den Morden und dem Verlust. Drei Momentaufnahmen der Trauer, ein Panorama der Enttäuschung. Das Versagen der deutschen Behörden bei den Ermittlungen zum NSU, die Beschuldigungen der Familien der Opfer haben tiefe Spuren hinterlassen.

In normalen Jahren lebt die Duisburger Filmwoche vom Austausch. Es läuft jeweils nur ein Film und nach der Vorstellung wechseln alle in den stets gut gekühlten Diskussionsraum. Der Diskussionsraum war dieses Jahr bei den meisten vermutlich wärmer, wer sitzt schon gut gekühlt daheim vor dem Rechner. Das wäre aber auch schon der einzige Vorteil dieser notgedrungen online gegangenen Ausgabe der Duisburger Filmwoche.

Pünktlich zur Duisburger Filmwoche wurde die Website mit den Protokollen der Diskussionen neu aufgesetzt. Unter protokult.de können 43 der 44 Festivaljahrgänge durchstöbert werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.