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: Eskalation der Gewalt, Muster erfüllt

„Bring Me Home“ (Südkorea 2019, Regie: Seung-woo Kim). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.

Als der Film beginnt, sind schon fünf, sechs Jahre seit dem großen Unglück vergangen: Ein Kind ist verschwunden, niemand weiß, was mit ihm geschah. Der Vater, er war Lehrer, fährt seit Jahren durchs Land, geht allen Hinweisen nach, sucht auf eigene Faust, in einer dicken Kladde sind die Orte verzeichnet, an ­denen er den Sohn gesucht hat, aber nicht fand. Die Mutter arbeitet in einer Klinik, wird für ihre Professionalität bewundert, in Wahrheit ist sie am Ende, kommt nur über die Runden dank Ketamin. Der Sohn ist wieder da, spielt in der Wohnung, aber nur in ihrer drogeninduzierten Fantasie. Sie kommt nicht los, vom Kind, vom Verlust.

Der Vater will nun wieder einen Job als Lehrer antreten, da kommt ein weiterer Hinweis, einer wie Tausende schon davor, er will ihm nachgehen, ist abgelenkt bei der Autofahrt, von links rast etwas heran, das Auto überschlägt sich, der Vater ist tot. Ein Schock. Für die Mutter, aber auch für die Erzählung: Der Mann wird aus dem Leben gerissen, der Film aus dem Modus seines ruhigen realistischen Erzählens. Er verlässt dann die Großstadt, entwickelt sich nach und nach in Richtung Melodram oder Western, landet in der Provinz, in einem Küstenort, an dem sich die Geschehnisse zu überschlagen beginnen.

Es ist lange unklar, was für eine Sorte Film „Bring Me Home“ eigentlich ist. Es handelt sich um das Debüt des Regisseurs und Drehbuchautors Seung-woo Kim, ein unbeschriebenes Blatt, das gibt keinen Hinweis auf Genre oder Machart. Die Hauptdarstellerin, Lee Yeong-ae, allerdings ist ein Star, außerhalb Koreas berühmt vor allem für ihre Hauptrolle in Park Chan-wooks Film mit dem sprechenden Titel „Lady Vengeance“ von 2005. Sie spielte darin eine Frau, die zu Unrecht ins Gefängnis versteckt wird, ihr Kind dabei verliert und zu einem von Park genüsslich ausgemalten brutalen Rachefeldzug aufbricht. In Korea selbst ist Lee Yeong-ae mindestens so berühmt als Star von Fernsehserien, spielte zuletzt im achtteiligen Historiendrama „Saimdang“, das von einer (real existierenden) berühmten Künstlerin, Kalligrafin und Dichterin aus dem 16. Jahrhundert erzählt.

Für „Bring Me Home“ kehrt Lee nach vierzehn Jahren ins Kino zurück. Nach und nach wird klar, wie sehr die Figur ins Verhältnis zu Lees Lady Vengeance gesetzt ist. Die Mutter gerät nach einem Hinweis, für den sie viel Geld gezahlt hat, an einen sehr abgelegenen Ort an der Küste. Einst florierte hier der Fischfang, davon kann nun kaum einer mehr leben, ein wenig Geld bringen Touristen. Eine üble Clique hat sich hier zusammengetan. Von moralischen Fragen wenig berührt hält sie zwei Kinder als eine Art Arbeitssklaven. Einer der Männer vergewaltigt den Jungen, von dem die Mutter, die dem anonymen Hinweis an diesen finsteren Ort gefolgt ist, nun glaubt, er sei ihr Sohn. Die Ähnlichkeit deutet darauf hin, auch ein Brandmal am Rücken.

Der Film trägt in der Schilderung dieser Hillbilly-Clique dick auf, rutscht von der realistischen Milieuschilderung in ein Klischee, das sich dann zum Melodram mit recht roher Gewalt aufmischen lässt. Das ist gut gemacht und sowieso super gespielt, etwas unwohl werden kann einem angesichts der Eskalation aber auch. Untypisch fürs neuere koreanische Kino ist das nicht, aber womöglich ist das das Problem. Der Regiedebütant folgt vertrauten Mustern, im Rahmen des Films tut er das durchaus effektiv. Aber wie das mit Genreklischees so ist: Man wird den Eindruck nicht los, er hätte ein Thema und einen Plot gesucht, um das Muster zu erfüllen. Gerecht wird er dem bitteren Schicksal der Mutter so nicht. Im Detail macht der Film alles richtig, nur in seinen äs­thetischen Grundentscheidungen hat er ein Problem. Ekkehard Knörer