Debütalbum von Popduo Smerz: Klirrend kühl

„Believer“, das Debütalbum des norwegischen Elektronikduos Smerz, wirft mit ungewöhnlichen Mischungen die Imaginationsmaschine an.

Die beiden Smerz-Künstlerinnen von oben fotografiert

Catherina Stoltenberg und Henriette Motzfeldt sind Smerz Foto: Benjamin Barron/Bror August

Skandinavische Trolle tanzen auf den Boxentürmen im Berghain. 50 Cent rappt in einem skandinavischen Konzerthaus zu Klaviergeklimper. Und zwei Frauen spielen Harfe im Raumschiff auf dem Weg zum bewohnbaren Mars. Beim Hören von „Believer“, dem Debütalbum des norwegischen Duos Smerz, kommt die Assoziations- und Imaginierungsmaschinerie richtig ins Rotieren.

Zu Recht, denn die Musikcollage der beiden jungen Künstlerinnen Henriette Motzfeldt und Catherina Stoltenberg liefert eine schlüssige Antwort darauf, wie Pop trotz der vom britischen Musikkritiker Simon Reynolds vor zehn Jahren ausgerufenen Retromania, weiterhin etwas Neues kreieren und nicht nur etwas Altes reproduzieren kann.

Auch Smerz mussten ihren eigenen Stil erst mal finden. Die Kurzversion ihrer Saga: Stoltenberg und Motzfeldt besuchten dieselbe Schule in Norwegen und trafen sich auf der Musikhochschule in Kopenhagen glücklicherweise wieder.

Beide hatten zwar eine Chor-Vergangenheit, aber Instrumente spielen konnten sie nicht. Eine gecrackte Version der Musiksoftware Ableton rettete sie schließlich in einem Kompositions-Seminar, für das alle anderen auf ihren analogen Instrumente daddelten.

Experimente im Schlafzimmer

Die Idee für Smerz formierte sich im Schlafzimmer. Stoltenberg und Motzfeldt experimentierten dort schon eine Weile mit Sounds. Sie bestehen aber darauf, dass sie keine klassischen Bedroom-Produzentinnen der Generation Soundcloud sind, die mit wenig Equipment von zu Hause aus Musik produziert. Ihre Musik ist für alle, nicht nur für eine Internet-Nische.

Der Sound auf ihren ersten beiden EPs klang schon verheißungsvoll, die Beats fußten auf Footwork, man hörte Anleihen vieler angesagter Dancefloorstile, aber alles war wild durcheinandergewürfelt. Ab und an klang sogar der spröde elektronische Popsong durch.

Smerz: „Believer“ (XL/Beggars/Indigo)

Die 16 Songs auf ihrem Debütalbum „Believer“ wirken nun stringenter. Simon Reynolds These, dass Pop ab den nuller Jahren nur noch ein ewiges Durchexerzieren von bereits Dagewesenem wurde, stellen Smerz eine manische Betriebsamkeit entgegen. Sie setzen einzelne Elemente neu zusammen und kombinieren Sounds, so, wie sie bis dato noch nicht kombiniert wurden. Dadurch entstehen interessante neue Wechselwirkungen. Smerz singen und rappen auf Norwegisch und Englisch.

Sie klingen dabei aber nicht so apathisch, wie all die unmenschlich wirkenden Post-Internet-Künstler*innen. Und es hat auch mehr Flow, so, wie es ihn so höchstens mal in New York gab, hörbar bei dem Song „Glassbord“. Der Rapper 50 Cent, sagten Smerz in einem Interview, sei ein großer Einfluss für sie gewesen.

50 Cent und Kammermusik

Und auf „Glassbord“ sind mit etwas Fantasie sogar ähnliche Streicher-Sounds herauszuhören wie auf dem 50-Cent-Hit „What up Gangsta“ von 2003. Außerdem gibt es dekonstruierte Clubmusik, Ambient-Sounds, Trance und Kammermusik. All das verfeinern Smerz schließlich mit norwegischer Folkmusik, die geheimnisvoll klingt und getragen wird von ihren Falsett-Stimmen.

Wenn es überhaupt so etwas gibt wie einen roten Faden in diesem Sammelsurium der Klänge, dann sind es die subtilen Nuancen, die ihr Album zusammenhalten.

Faszinierend ist nun, dass Smerz neueste Produktionstechnik verwenden und in ihren Sound integrieren, um damit auf Musik zurückzugreifen, die schon viel länger existiert als Pop. Der Pool an Möglichkeiten der Rekombination ist längst noch nicht erschöpft. Am besten funktio­nieren die Songs auf „Believer“ dann, wenn Smerz zwei Formen von Musik zusammenführen, die auf ihre Art entmenschlicht klingen.

Klirrende, kalte elektronische Musik auf der einen Seite und mystisch anmutende Folklore auf der anderen. Eines ist mit „Believer“ gewiss, solange dieses Mischen möglich ist, wird die Retromania nicht zum ­Problem.

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