Hans-Georg Maaßens Weltsicht: Eine eindeutige Erzählung

Der Ex-Verfassungsschutzchef Maaßen möchte für die CDU in den Bundestag. Doch wie weit rechts steht dieser Mann? Ein Text von ihm liefert Antworten.

Maaßen sitzt in einem leeren Saal auf einem Stuhl

Von 2012 bis 2018 war Maaßen Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Foto: imago

Seit Hans-Georg Maaßen von der CDU in Südthüringen zum Direktkandidaten für den Bundestag nominiert worden ist, wird heftig über den ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz debattiert. Wie weit rechts steht der Mann? Und: Ist er noch tragbar für die CDU? Von „Irrsinn“ sprach Marco Wanderwitz, CDU-Mann aus Sachsen und Ostbeauftragter der Bundesregierung. Serap Güler, CDU-Staatssekretätin in NRW, fragte die Parteifreunde im Osten: „Wie kann man so irre sein und die christdemokratischen Werte mal eben über Bord schmeißen?“ Parteichef Armin Laschet aber will keine Probleme sehen. Dabei muss man nur einen einzigen Text von Maaßen lesen, um wahrzunehmen, wie weit nach rechts er abgedriftet ist.

„Aufstieg und Fall des Postnationalismus“ ist ein kurzer Aufsatz, den Maaßen gemeinsam mit Johannes Eisleben verfasst hat. Bei diesem Namen, der auf vielen neurechten Kanälen zu finden ist, handelt es sich vermutlich um ein Pseudonym. Der Text ist Anfang des Jahres bei Cato erschienen, einem Zweimonatsmagazin, das unter dem Dach der Jungen Freiheit erscheint. Ursprünglich wurde der Text vergangenes Jahr auf Englisch bei Telos publiziert, einem Journal der Alt-Right-Bewegung.

Die taz hat zwei Kenner der neurechten Ideologie und Bewegung gebeten, den Text zu analysieren: „Das ist Neue Rechte pur“, sagt der Historiker Volker Weiß, der seit vielen Jahren Geschichte und Gegenwart der rechtsextremen Bewegung in Deutschland erforscht und mit „Die autoritäre Revolte“ ein Standardwerk verfasst hat. „Hier finden sich Kernelemente des intellektuellen Rechtsextremismus“, urteilt auch Matthias Quent, Professor an der Hochschule Magdeburg und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Der Rechtsextremismusexperte sagt: „Das ist ein krasser Text für einen Mann, der einmal Chef des Verfassungsschutzes war.“

Kurz gefasst malen Maaßen und sein Co-Autor das Bild vom gesellschaftlichen Niedergang, der auf einen Kampf zwischen der autochthonen Unterschicht und Einwanderungsclans hinausläuft. Dabei klingt Angstlust vor einem Bürgerkrieg durch. Denn wohl nur durch einen großen Rumms kann aus Sicht der Autoren das Bürgertum aus seiner Erstarrung erweckt, eine totalitäre Gesellschaft verhindert werden. Maaßen klinge wie der Steve Bannon von Thüringen, hat die Süddeutsche Zeitung jüngst geschrieben. Man kann aber auch einen Vergleich mit Götz Kubitschek ziehen, dem neurechten Kleinverleger, der im sachsen-anhaltinischen Schnellroda das Institut für Staatspolitik betreibt.

Kapitalismuskritik von rechts

Maaßens Text beginnt mit dem wirtschaftlichen Abstieg und dem „kulturellen Niedergang“ des Westens und einer „Vermögenskonzentration auf eine kleine Elite“. Die Ursachen dafür: die Abschaffung des Goldstandards und vor allem die Globalisierung.

„Das ist eine klassische Kapitalismuskritik von rechts“, sagt Historiker Weiß. Natürlich sei Kritik an der Schere zwischen Arm und Reich und auch an der Konzentration von Vermögen richtig. Maaßen aber personalisiere Strukturfragen und blende jenseits der Globalisierung alle anderen Gründe für soziale Ungleichheit aus. Er unterschlage, dass es diese bereits zu Zeiten des klassischen Nationalstaats gegeben habe.

Dann ist der Text schnell bei der „massiven Migration“, dem aus Sicht der Autoren zweiten großen Problem. Diese habe zu „Parallelgesellschaften“, zu Kriminalität und der Überforderung der Sozialsysteme geführt – die „Zersetzung“ der Gesellschaft drohe. Die Strategie dahinter: Die „Auflösung familiärer und lokaler Zusammenhalte“, die „Entwurzelung“ von Menschen und die Zerstörung von „Traditionen und Nationalkulturen“. So würden die Menschen zu einer „anonymen, atomisierten Masse, die leicht zu kontrollieren und zu manipulieren“ sei.

Dahinter stecken für Maaßen & Co zwei Lager, die man sich bislang eher als Gegner vorgestellt hat: Die „sozialistischen und die globalistischen Kräfte“, mal auch „Pseudolinke“ und „Globalisten“ genannt. Diese hätten sich verbündet. Ihr Ziel: die Verwandlung einer einstmals freien Gesellschaft in ein „undemokratisches, totalitäres, supranationales“ Regime.

Das Narrativ des „kulturellen Niedergangs“

Die „Wirtschaftsglobalisten“ wollen so Eigentum und Profite „zunehmend auf einige tausend Familien konzentrieren, die sich daranmachen, bald alles zu besitzen“. Die Linken dagegen ihre „politischen Erlösungshoffnungen“ umsetzen: mit „Identitätspolitik und Minderheitenrechten“, einer „politischen Säuberung der Sprache“, der „Abschaffung des Rechts auf freie Meinungsäußerung“, „Klimaschutz“ und „noch mehr Migration“. Und natürlich, so raunt der Text, vollziehe sich der Prozess „orchestriert“ und „weitgehend im Verborgenen“ und sei den meisten Bürgern „kaum bewusst“. Als ob nicht jeder Akt der Liberalisierung breit diskutiert würde.

Quent verweist hier auf das Narrativ vom „kulturellen Niedergang“: „Das ist der ideologische Ankerpunkt, auf dem sich intellektuelle Rechte immer wieder bezieht. Eine Gesellschaft im Kontext von Globalisierung, Migration, Emanzipation und besonders von Liberalismus, also mit Minderheitenrechten und Demokratieprinzipien, die muss in dieser Perspektive eine Gesellschaft im Niedergang sein.“ Demokratiegefährdung durch Pluralismus, das sei Maaßens These, sagt auch Volker Weiß. Das aber sei, gelinde gesagt, ein schwieriger Demokratiebegriff. „Zur Demokratie gehören zwingend der Schutz von Minderheiten und Pluralismus.“

Das Schlagwort vom kulturellen Niedergang sei auch die zentrale Stimmungslage, die konservative Revolutionäre wie Ernst Jünger, Carl Schmitt und Oswald Spengler während der Weimarer Republik beschrieben hätten, führt Quent aus. „Sie haben als antidemokratische Intellektuelle der nationalsozialistischen Bewegung den Weg bereitet.“ Und Quent führt noch einen anderen Vergleich an: zu den Schriftsätzen des norwegischen Rechtsextremisten An­dres Breivik, der 2011 77 Menschen tötete. „Die Stoßrichtung des Textes erinnert an die Rechtfertigungsnarrative für Gewalt als notwendiges Mittel zu Rettung vor dem vermeintlich drohenden Zerfall in rechtsextremen und rechtsterroristischen Schriften.“ Auch Breivik und andere Attentäter hätten aus einer solchen kulturpessimistischen Ideologie heraus gehandelt.

Beide Wissenschaftler problematisieren das angebliche Bündnis von Linken und Wirtschaftseliten, wie es in dem Text ausgeführt wird. „Als Historiker springt einen diese Vorstellung von den vereinten ‚sozialistischen und globalistischen Kräfte‘ geradezu an“, sagt Weiß. „Diese Vorstellung ‚der roten und der goldenen Internationale‘ gab es im 19. Jahrhundert schon.“ Das sei ganz klar ein Diskurs der Antisemiten. „Das ist die Erzählung von wurzellosen, in der Diaspora lebenden jüdischen Kräften, die angeblich sowohl hinter dem Kapitalismus als auch hinter dem Bolschewismus stecken und für die Auflösung von Volk und Nation verantwortlich seien“, sagt auch Quent. „Damit werden alte Bilder bedient, die Kernelemente des intellektuellen Rechtsextremismus und auch des völkischen Antisemitismus sind.“

Dog Whistle Politics

Ist Maaßen also ein Antisemit? Das sei nicht die entscheidende Frage, sagt Quent. „Ich kann nicht in den Kopf von Herrn Maaßen schauen. Aber dieser Text steht in der ideengeschichtlichen Tradition antisemitischer Weltbilder.“ Deshalb sei es so wichtig, das Gesamtnarrativ des Textes einzuordnen. Auffällig sei auch, dass Maaßen an vielen Stellen Dog Whistle Politics verwende, also eine Sprache, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden werden kann – und mit der der Autor sich nicht festlegen muss. Die Vermögenskonzentration bei „einer „kleinen Elite“ oder „einigen tausend Familien“, auch die „Globalisten“ und die „neue Weltordnung“ – all das werde im rechtsextremen Milieu als chiffrierter völkischer Antisemitismus gelesen, könne man eben aber auch anders verstehen.

Im Text folgt das, was Quent „eine klare Feindmarkierung“ nennt. Die Gesellschaft wird in zwei Gruppen aufgespalten. Auf der einen Seite die Guten, das sind „normale, regional verwurzelte Menschen“ mit Traditionen, die zur Jagd gehen und Fleisch essen. Auf der anderen Seite die „Feinde“. Früher, so Maaßen, hätte man die „Feinde unserer Gesellschaftsordnung“ noch als „Revolutionäre“ erkannt. Heute seien sie „Geisteswissenschaftler, Journalisten, Berufspolitiker, EU- und UN-Bürokraten, Befürworter der ökonomischen Globalisierung sowie Manager multinationaler Konzerne und deren Dienstleister“. Damit erklärt er einen großen Teil der Bevölkerung zu Feinden der Demokratie.

„Das ist typisch rechtspopulistische Rhetorik“, sagt Historiker Weiß. „Auf der einen Seite stehen die Normalen, Geerdeten – und alles andere ist links-grün versifft. Das wird auch bei der AfD gerne genutzt und sie wirbt ja jetzt auch mit diesem ‚Normalen‘.“ Die radikal rechte Partei zieht mit dem Slogan „Deutschland. Aber normal“ in den Bundestagswahlkampf. „Hans-Georg Maaßen ist schlicht und ergreifend Teil des neurechten Milieus, da würde ich ihn inzwischen klar einordnen“, sagt Weiß zum Abschluss. „Wenn man sich vorstellt, dass er Verfassungsschutzpräsident geworden ist, um nach dem NSU aufzuräumen – das hätte nicht passieren dürfen.“

Der Cato-Text endet mit: „Wir gehen interessanten Zeiten entgegen.“ Auch das Geraune, natürlich. Aber es gilt wohl auch für die CDU, die sich mit Maaßen ein Riesenproblem ins Haus geholt hat. Mit Wegducken wird Parteichef Laschet auf die Dauer nicht durchkommen. Wer solche Texte schreibt, sollte für eine konservative Partei nicht in den Bundestag einziehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.