Steuerpolitik im TV-Triell: Ein Herz für Reiche

Armin Laschet behauptet, dass der Soli für Wohlhabende verfassungswidrig sei. Das ist falsch. Doch im TV-Triell wird diese Fehldeutung als Fakt verkauft.

Armin Laschet auf dem Bildschirm während des Triells

Armin Laschet auf dem Bildschirm während des Triells – sein Verhältnis zur Realität ist eher locker Foto: Michael Kappeler/dpa

Beim Triell ist Moderatorin Pinar Atalay ein grober Schnitzer unterlaufen. Atalay ist eigentlich eine gut informierte TV-Journalistin, aber an einer Stelle war sie nicht faktensicher. Als es um die Steuern ging, stellte sie Unionskandidaten Laschet keine echte Frage – sondern betete einfach nach, was CDU und FDP gern permanent behaupten. Atalay unterstellte, dass der „Soli“ sowieso abgeschafft werden muss, weil er verfassungswidrig sei. Das ist falsch.

Richtig ist: Die FDP hat beim Bundesverfassungsgericht eine Klage eingereicht, um den Soli zu kippen. Aber eine Entscheidung steht noch aus – und es wäre höchst erstaunlich, wenn die Verfassungsrichter den Soli beanstanden würden. Er ist nämlich eine normale Steuer, und es wäre ein schwerer Eingriff in die Hoheitsrechte des Parlaments, wenn die Richter den Soli verbannen ­würden.

Das Thema ist so brisant, weil der Soli nur noch von den Reichen gezahlt wird, denn für die unteren 90 Prozent der Steuerzahler wurde er bereits abgeschafft. Falls der Soli komplett entfällt, würden also nur die Wohlhabenden beschenkt, die dann im Jahr rund 10 Milliarden Euro bei den Steuern sparen könnten.

Der Solidaritätszuschlag ist eine komplizierte Konstruktion und hat eine wechselvolle Geschichte. Dieses Durcheinander nutzen Union und FDP, um die Wähler zu verwirren. Daher ist eine Rückschau unumgänglich.

Nur Reiche zahlen noch den Soli

Der Soli wurde erstmals im Juli 1991 eingeführt und war damals auf ein Jahr befristet. Die Zulage betrug 7,5 Prozent der gezahlten Einkommen- und Körperschaftsteuer, und dieses Geld sollte unter anderem den Golfkrieg finanzieren. Aber auch Kosten der deutschen Einheit und Hilfen für Osteuropa sollten aus dem Zusatztopf gedeckt werden.

Wie geplant lief dieser Soli am 1. Juli 1992 aus, doch ab 1995 wurde er erneut eingeführt. Wieder lag der Satz bei 7,5 Prozent, aber diesmal sollten die Gelder allein der deutschen Einheit dienen. 1998 sank der Soli dann auf 5,5 Prozent, und bei dieser Höhe ist es seither geblieben.

Der Soli ist eine normale Steuer. Und über Steuern entscheidet das Parlament, kein Verfassungsgericht

Jahrzehntelang bewegte sich beim Soli dann nichts mehr – bis die Große Koalition beschloss, die unteren 90 Prozent der Steuerzahler ab Januar 2021 vom Soli zu befreien. Dieses Datum ist übrigens kein Zufall. Denn im September 2021 stehen bekanntlich Bundestagswahlen an, so dass sich danach eine neue Regierung mit dem ungelösten Problem herumschlagen darf, wie sich die Einnahmeausfälle kompensieren lassen. Die breite Bevölkerung hat nämlich bisher jährlich etwa 10 Milliarden Euro zum Soli beigesteuert. Dieses Geld fehlt jetzt, und eine seriöse Gegen­finanzierung gibt es nicht.

Es wäre also Wahnsinn, das Finanzloch noch zu vergrößern, indem der Soli auch für die Reichen entfällt. Zudem wäre politisch gar nicht zu vermitteln, warum die Wohlhabenden noch weiter beschenkt werden müssen, denn sie wurden schon äußerst üppig bedient.

Entlastungen für Reiche sind unpopulär

Ein paar Beispiele: In den vergangenen zwanzig Jahren wurde der Spitzensatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt; die Körperschaftsteuer für Unternehmen fiel auf 15 Prozent; auf Zinsen und Dividenden muss nur noch eine Abgeltungsteuer von 25 Prozent gezahlt werden; und die Erbschaftsteuer wurde so reformiert, dass Firmenerben meist gar nichts abführen müssen, selbst wenn sie milliardenschwere Unternehmen übernehmen.

Die Reichen wurden umfangreich bedacht – obwohl sie sowieso ständig reicher werden. Vom Wachstum der vergangenen zwanzig Jahre haben vor allem die Wohlhabenden profitiert. Seit der Jahrtausendwende sind die realen Einkommen des reichsten Zehntels um 25 Prozent gestiegen, während die Durchschnittsverdiener nur auf ein Plus von etwa 12 Prozent kamen. Das ärmste Zehntel hat sogar verloren: Sie erhalten jetzt 2 Prozent weniger als vor zwanzig Jahren.

Laschet weiß, dass es unpopulär ist, die Reichen mit weiteren Steuergeschenken zu beglücken. Daher versuchte er zunächst, sich einfach durchzumogeln. Besonders krass war es im ARD-Sommerinterview, wo er behauptete, dass im Unionsprogramm „keine einzige Steuerentlastung“ drinstehen würde.

Das war blanker Unsinn: In dem Text ist genau nachzulesen, wie die Union die Reichen beschenken will. Unter anderem ist dort explizit erwähnt, dass der Soli komplett gestrichen werden soll. Diese Präzision ist schon deswegen bemerkenswert, weil das Unionsprogramm ansonsten 140 Seiten lang vage schwafelt, um bloß keine WählerInnen zu verschrecken.

Laschet gibt sich als Verfassungsrichter

Inzwischen hat auch Laschet verstanden, dass er mit reinen Lügen nicht weiterkommt – deshalb tut er neuerdings so, als er wäre er nicht nur Unionskanzlerkandidat, sondern auch Verfassungsrichter.

Bei jeder Gelegenheit behauptet er jetzt, dass der Soli mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sei. Denn der Soli wurde eingeführt, um die deutsche Einheit zu finanzieren – aber seit 2019 ist der Solidarpakt ausgelaufen, der den Osten mit Zusatzmilliarden versorgt hat. „Wenn man einen Zuschlag macht und der Zweck fällt weg, wird das Verfassungsgericht das nicht dulden“, erzählte Laschet dem Fernsehvolk beim Triell.

Das mag logisch klingen, ist aber falsch. Der Solidarzuschlag wurde zwar mit der Einheit begründet, doch die Einnahmen waren nie zweckgebunden. Die Steuergelder flossen einfach in den Bundeshaushalt. Der Soli ist also eine normale Steuer, über die allein das Parlament entscheidet. Diese Auffassung vertritt übrigens auch das Bundesverfassungsgericht, das bereits zwei Klagen gegen den Soli abgewiesen hat.

Laschets Verhältnis zur Realität ist ja eher locker. Bei ihm ist alles vereinbar: kostspieliger Klimaschutz, die Schwarze Null und Steuersenkungen für Reiche. Also findet er nichts dabei, die Verfassung neu zu interpretieren. Das steht Laschet frei. Gefährlich wird es, wenn ModeratorInnen seine wilden Behauptungen als Fakt verkaufen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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