Debatte übers Gendern: In der Sackgasse

Erst die Debatte ums richtige Gendern bringt das Gendern in Verruf. Denn der Diskurs driftet ins Dogmatische ab und fördert so Verbote.

Armin Laschet und Karin Prien

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) will keinen „ideologisch aufgeladenen Kulturkampf“ in der Schule Foto: Annegreth Hilse/reuters

Beim WDR soll auf das Gendern „verzichtet“ werden. Sprechpausen sollen nicht mehr andeuten, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt: Es soll nicht mehr „Musiker- (Pause)-innen“ gesagt werden oder „Komponist-(Pause)-innen, Erzieher-(…)-innen, Politiker-(…)-innen.“ Für den Bayrischen Rundfunk gilt das ebenso.

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Auch an Schulen gibt es neuerdings solche Verbote. In Sachsen und Schleswig-Holstein soll nicht mehr durch Unterstrich, Doppelpunkt oder Sternchen deutlich gemacht werden, dass es zwischen Männern und Frauen fließende Geschlech­ter­iden­titäten gibt. In der Schule gehe es darum, das richtige Erlernen der deutschen Sprache zu ermöglichen, sagt Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien von der CDU, „und nicht darum, einen ideologisch aufgeladenen Kulturkampf in die Klassen zu tragen.“ Ein „Kulturkampf“? – Echt jetzt? Prien gehört übrigens zum Kompetenzteam von Armin Laschet.

Die Verbote sind Reaktionen auf die Debatte ums Gendern, die sich verlaufen hat, und bisweilen darin gipfelte, dass gestritten wurde, wie Gendern am inkludierendsten geht. Mit Doppelpunkt, Unterstrich, dem Sternchen. Zwischenzeitlich wurde zudem das Suffix -x als geschlechtsloses Anhängsel propagiert: Profx, Tänzx, Krankenpflegx. Das Ypsilon wird in Österreich gehandelt: Lesys sind da: Leser und Leserinnen.

Das bisherige groß geschriebene Binnen-I wie etwa in „HeiratsschwindlerInnen“ geht, so die dogmatische Sicht, nicht mehr. Da es für Zweigeschlechtlichkeit stehe. Die ist überholt.

Falsche Kausalität

Die Debatten ums richtige Gendern haben aus dem Blick verloren, dass nicht die richtige Form wichtig ist, sondern dass es die Inhalte sind: Geschlechtergerechtigkeit und Identitätspolitik. Sie spielen all jenen in die Hände, denen das nichts wert ist.

Die AfD etwa nutzt die Debatte ums Gendern für antiegalitäre Propaganda. In ihrem Wahlprogramm spricht sie von „Gender-Ideologie“ und behauptet: Die Gender-Ideologie „will die klassische Familie als Lebensmodell und Rollenbild abschaffen“. Das ist auf bösartige Weise falsch. Niemand, der sich mit Gen­der­gerechtigkeit befasst, will die klassische Familie über den Haufen werfen. Die behauptete Kausalität ist populistisch. Sie macht Meinungen zu Tatsachen. Hannah Arendt hat vor diesem demagogischen Trick sehr gewarnt.

Kein Zweifel, Sprache, dieses dynamische Ding, mit dem Zusammenhänge erklärt und Gefühle benannt werden, bildet Gesellschaft ab. Wer spricht und worüber gesprochen, aber auch geschwiegen wird, setzt Zeichen. Wer spricht, spricht nicht nur über sich, sondern über ein dem Denken zugrunde liegendes Wertesystem. Wer spricht, entscheidet, wer gemeint ist und wer nicht. Ein Beispiel aus dem Alltag? „Das macht man so.“ Noch eins? „Alle Menschen werden Brüder.“ Noch eins? „Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes.“

Sprache ist ein Tarnanzug für gesellschaftliche Hierarchien. Und es ist jetzt müßig, das en détail aufzurollen, aber eines ist klar: Den Frauen hat die Sprache jahrhundertelang nicht gehört. So wenig wie ihnen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Geld, Kunst gehörten. Sie haben, so die jahrhundertelang zementierte Meinung, nichts geschaffen, die Welt nicht weitergebracht, sind für Reproduktion gut und bestenfalls noch für kleinere Haustiere wie Hühner. Sie halten keine Reden, haben nichts zu sagen, gelten aber als geschwätzig. Und wenn es dafür eines Belegs bedarf, soll hier ein Zitat von Rousseau dienen; es ist aus seinem (von Männern) viel gerühmten Werk „Emil oder über die Erziehung“.

Da schreibt er: Es „können kleine Mädchen so rasch und früh angenehm plaudern und Akzente in ihre Rede setzen, ehe sie deren Sinn ganz verstehen. Deshalb haben die Männer auch ihre Freude daran, ihnen so früh zuzuhören, selbst bevor die Mädchen die Gründe ein­sehen.“ Sprechende Frauen sind zu Papageien erzogene Puppen. Spielpuppen der Männer.

Ich habe das Rousseau-Zitat aus dem Buch „Sprachdiebinnen“ der belgischen Juristin und Literaturwissenschaftlerin Claudine Herrmann. Darin analysiert sie, wie Frauen sich die Sprache der Männer stehlen mussten. Sie erklärt den Satz von Rousseau so: Man habe die Frau „auf die Rolle einer Schauspielerin reduziert, die Sätze wiederholt, von denen sie keinen selbst ausgedacht hat. Sie triumphiert im Augenblick ihrer größten Entfremdung.“

Frauen hatten nichts zu sagen, wohl aber wurde über Jahrhunderte alles über sie gesagt. Weil Form den Inhalt spiegelt, galt noch bis zum Anfang der neuen Frauenbewegung der siebziger Jahre (und in der DDR darüber hinaus) als ausgemacht, dass, wer die männliche Form eines Substantivs benutzt, Frauen mitmeint. Schon das Wort „mitmeinen“ ist eine Zumutung. Wurde etwa von „Lehrern“ geredet, sollten sich die Lehrerinnen mitgemeint denken – umgekehrt wäre es ein Affront gewesen.

Mit Beginn der Frauenbewegung wurde die patriarchale Wertesetzung in der Gesellschaft, aber auch der Sprache radikal hinterfragt. Hartnäckig wurde in Texten die weibliche Form mitbenannt. Das wirkte anfangs bemüht, aber nach Jahrzehnten harten Durchhaltens irritiert es inzwischen sehr, wenn eine Frau etwa sagt: „Ich bin Zuschauer.“

Um nicht stetig sowohl die männliche als auch die weibliche Form zu benutzten, wurde das groß geschriebene Bin­nen-I als Abkürzung eingeführt. Anfangs gab es Tamtam, auch in der taz, aber dann lief es meist geräuschlos. Gegendert wurde, wie es passte. Mit neutralen Bezeichnungen: die Singenden. Mit Aufzählungen: Sängerinnen und Sänger. Abgekürzt: SängerInnen. Und am besten alles durcheinander, damit die Texte durchs Gendern nicht stolpernd daherkommen. Ich bin ein Fan davon.

Gut ist, dass eine offene Gesellschaft sich weiterentwickeln kann und immer auch weitere, bisher nicht thematisierte Unterdrückungsstrukturen enttabuisiert. Wie die lange ignorierte Zwischengeschlechtlichkeit, wie Trans- und Intersexualität, wie das dritte Geschlecht.

Weil die Sprache das nicht abbildet, wurde nach einer neuen Abkürzung gesucht. Das Binnen-I galt dafür als untauglich, verbraucht für Männer und Frauen.

In dem Moment aber, in dem vornehmlich nur noch darüber gestritten wurde, welche Abkürzung die richtige ist, geriet die Debatte in eine Sackgasse. Weil Dogmatismus dräute. Weil der Diskurs sich in der Frage verzettelte, ob „*“ oder „_“ oder „:“ oder „x“ oder „y“ die beste Form fürs Diverse ist? Die Inhalte waren ob des Streits nicht mehr erkennbar. Das hat die jetzigen Verbote leicht gemacht.

Das aber, was die Frauenbewegung erreicht hat, wird mit der Suche nach dem neuen Inklusionszeichen auch über Bord geworfen, indem den Feministinnen Betriebsblindheit unterstellt wird. Ihr Binnen-I zementiere die Unterdrückung aller, die sich nicht mit der Zweigeschlechtlichkeit identifizieren. Wer es jetzt benutzt, zeigt, dass ihr oder ihm die Unterdrückung dritter Geschlechter egal ist. Welcher Feminist, welche Feministin will das schon.

Sprache ist wie Wasser

Aber Entwicklung ist nicht möglich, wenn Diskurse, die vorher wichtig waren, nämlich die Ungleichbehandlung von Frauen, unter den Tisch zu fallen drohen. Zumal ein genauer Blick in die Literatur offenlegen könnte, dass manche Feministinnen vor fünfzig Jahren radikaler mit Sprache umgegangen sind, als es der Gendersternchenstreit heute abbildet.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die französische Autorin und Feministin Monique Wittig etwa schockierte, als sie damals sagte: „Lesben sind keine Frauen.“ Was sie meinte: Da das lesbische Begehren dem der heterosexuellen Männer entspricht, weichen Lesben vom tradierten Frauenkonzept ab. Auf einer Linie zwischen Männern und Frauen sind sie ein Stück näher an die Männer gerückt. Wenn eine lesbische Frau „ich“ sagt, müsste konsequenterweise dieses in den Zwischenraum gerückte Ich auch abgebildet werden. Etwa indem man „i/ch“ schriebe. Um so den Bruch deutlich zu machen. Und wer „du“ zu ihr sagt, müsste eigentlich „d/u“ sagen.

Das sind nur kleine Beispiele aus Wittigs Büchern. Mit ihrem Vorgehen gelingt es ihr, den Blick auf das zu lenken, was in der Debatte um inkludierende Sprache meist fehlt: Dass konsequenterweise die ganze Sprache unter die Lupe genommen werden müsste. Das aber wird Sprache nicht mitmachen. Sie ist wie Wasser. Sie nimmt den leichtesten Weg.

Unfair allerdings: dass Monique Wittig so unbekannt ist.

Eine Kollegin sagte: „Ich will genderfluid gendern.“ Richtig so. Sie will die Sprache als Spiegel der Machtverhältnisse entlarven. Was sie nicht will: dass Gendern zur Grundlage für einen neuen Dogmatismus – und damit neue Hierarchien – wird. Wenn so ein genderfluides Laissez-faire in die Debatte ums Gendern zurückkäme, wenn alle genderten, aber so, wie sie es wollen, nicht so, wie sie denken, es tun zu müssen, könnten Genderverbote als das entlarvt werden, was sie sind: obsolet und unwichtig.

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Seit 2002 bei der taz, erst im Lokalteil, jetzt in der Wochentaz. 2005 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für die Reportage „Schön ist das nicht“, 2011 wurde die Reportage „Die Extraklasse“  mehrfach prämiert. 2021 erschien ihr Roman "Brombeerkind" im Ulrike Helmer Verlag. Es ist ein Hoffnungsroman. Mehr unter: www.waltraud-schwab.de . Auch auf Twitter. Und auf Instagram unter: wa_wab.un_art

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