Unerhörtes aus Taiwan

Drei Au­to­rin­nen aus Taiwan zu Gast im Literarischen Colloquium in Berlin. In der jungen Generation wächst die Sorge vor dem aggressiven Festland-China, die Politik hält Einzug in Gedichte

Von Julia Hubernagel

Die Nachrichten, die die Welt dieser Tage aus Taiwan erreichen, sind besorgniserregend. China ließ in den vergangenen Wochen wiederholt Kampfjets über den benachbarten Inselstaat fliegen. Der expansive Druck Chinas hält seit der Unabhängigkeit unvermindert an, so dass sich nach wie vor nur wenige Staaten trauen, das demokratische Taiwan international anzuerkennen. Chinas Führer Xi Jinping rief Taiwan zuletzt zur „friedlichen Wiedervereinigung“ mit Festlandchina auf. Und warnte – ein schlechter Witz – vor Einmischung aus dem Ausland.

Doch in Taiwans Hauptstadt Taipeh ist man keineswegs gewillt, Hongkongs Schicksal zu teilen. Am gestrigen Abend sprachen darüber auch drei taiwanesische Literaten, die im Literarische Colloquium Berlin zu Gast waren. Unter ihnen, Yang Chih-Chieh, ein Dichter, der explizit Zeitpolitisches lyrisch verarbeitet.

In Taiwan würden sich Gedichte fast ausschließlich mit der Innenwelt befassen, sagt Yang Chih-Chieh, simultan übersetzt von Susanne Becker-Gonella in Berlin. Erst seit einigen Jahren sei das anders. Taiwan sei eine junge Gesellschaft, deren junge Bevölkerung sich stark politisch engagiere. Yang Chih-Chieh hat die jüngsten politischen Proteste gegen den expansiven Kurs von Festland-China hautnah miterlebt.

Er berichtete als Journalist von den „Regenschirm-Protesten“ in Hongkong. Und auch von der „Sonnenblumenbewegung“, bei der Demonstrierende 2014 das taiwanische Parlamentsgebäude besetzten, um nicht nur gegen den ihrer Meinung nach zu nachgiebigen Kurs ihrer Regierung gegenüber China zu protestieren. Von diesen Protesttagen erzählt Yang Chih-Chieh in „Ning“: „2014 leuchtete meine Nachttischlampe auf, ich wusste, dass der Mindestlohn steigt. Ich weiß, dass ich einem Eigenheim einen Schritt näher bin. Ich weiß noch, wie die siebzehnjährige Ning die Träger von ihrer Schulter zog. Sie wartete auf mich im schwachen Schein einer neuen Welt“, heißt es in dem leider etwas unpoetisch von dem taiwanischen Kulturministerium übersetzen Gedicht, das die erste deutsche Übersetzung Yang Chih-Chiehs darstellt.

Mit Weng Yu-Hung alias HOM sitzt eine weitere Vertreterin der jungen taiwanischen Generation auf dem Podium. HOM setzt sich für soziale und Gender-Gerechtigkeit ein und verarbeitet diese Themen auch in ihren Comics.

So erzählt sie in „Big City, Little Things“ die Geschichte einer modernen Familie, in der zwei homosexuelle Freunde eine Ehe eingehen, das Kind jedoch zu viert, gemeinsam mit ihren Partnerinnen, großziehen. Taiwan ist das einzige Land Asiens, das 2019 die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete. Trotzdem sei es gesellschaftlich vielerorts immer noch nicht akzeptiert, Sexualität anders zu leben, sagt sie. Trotz reformierter Gesetzgebung in Taiwan.

Von einem ganz anderen Taiwan erzählen kann indes Salizan Takisvilainan, der sich dem Volk der Bunun zurechnet.

Die Bevölkerung des Inselstaats Taiwan hat wie so viele andere Länder auch verschiedene Herkünfte, eine indigene Bevölkerung deren Geschichte bestimmt war von Vertreibung und Zwangsassimilation. Die Bunun haben, so Salizan Takisvilainan, ursprünglich in den Bergen auf 2.000 Meter Höhe gelebt. Sie sind von den japanischen Besatzern jedoch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwangsweise ins Flachland umgesiedelt worden. Ein Mensch wie er habe so den Kontakt zu den Bergen verloren, sagt Takisvilainan. Und ihn erst als junger Erwachsener wiedergefunden. Heute arbeite er selbst als Bergführer und unterstützt taiwanische Au­to­r:in­nen dabei, in ihren ursprünglichen Sprachen zu schreiben.

„Verpackt in Milchpulverdosen / Ein Schritt nach dem anderen / Wir wandeln auf den Spuren unserer Vorfahren / Halsketten für die lusan uvaz / liegen verstreut auf dem Tongku Saveq / Körbe auf dem Rücken / Sammeln entlang des Weges / Yushanji, Mai Dong, Leopardenblumen / Taiwanesische Anoectochilus, grünblättrige Paris, Pflaumenblüten, Chrysanthemen / Federn des Mikadofasans / und erklimmen den Yushan“, bringt Takisvilainan die Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne literarisch zum Ausdruck. Die indigene Minderheit besinne sich wieder auf ihre Traditionen, sagt er. Und zeigt Fotos von einem neuen Dorf, das von Bunun auf 1.000 Meter Höhe gerade erbaut werde.