Verdrängung von Obdachlosen: Wo Berlin am kältesten ist

Eine Jury hat Berlins obdachlosenfeindlichsten Ort gekürt: Es ist der Hansaplatz, an dem An­woh­ne­r*in­nen und Gewerbetreibende mit verdrängen.

Eisenstreben über einem Lüftungsschacht verhindern das Sitzen darauf

Auf diesem Lüftungsschacht am Alex konnte man mal sitzen und liegen. Eisenstreben verhindern das nun Foto: Gangway

BERLIN taz | Wer obdachlos ist, ist oft ganz besonders auf gesellschaftliche Solidarität angewiesen. Im Umkehrschluss ist es teils eben auch die Stadtgesellschaft, die obdachlose Menschen aus dem öffentlichen Raum ausschließt. Darauf hinzuweisen war ein Anliegen der Jury, die am Sonntagabend im dortigen Grips Theater den Hansaplatz zu Berlins obdachlosenfeindlichstem Ort gekürt und mit der „Goldenen Keule“ ausgezeichnet hat. „Hier sind Privat- und Geschäftsleute die treibende Kraft, von denen die Verdrängung ausgeht“, sagte ein Mitglied aus der mehrheitlich mit Obdachlosen besetzten Jury. „Die Bevölkerung ringsum spielt eine Rolle. Das wollten wir zeigen.“

Am Hansaplatz bekam etwa ein öffentlicher Parkplatz unter freiem Himmel eine Höhenbegrenzung von 1,80 Metern. Sodass just der Kleinlaster der Berliner Obdachlosenhilfe dort nicht mehr halten durfte. Die Obdachlosenhilfe hatte dort regelmäßig Essen ausgegeben. Das wiederum war An­woh­ne­r*in­nen und Gewerbetreibenden ein Dorn im Auge, erzählt Andreas Abel vom Verein Gangway, der Straßensozialarbeit betreibt und den Preis initiiert hatte. Außerdem gilt am Hansaplatz eine Platzordnung, die es verbietet, dort zu betteln, zu nächtigen oder Alkohol zu konsumieren, anfänglich war auch der „unnötige Aufenthalt“ verboten.

„All das sind Dinge, die das Bezirksamt im öffentlichen Raum gar nicht verbieten kann, weil es keine gesetzliche Grundlage dafür gibt“, sagte Abel. Nach Protesten wurde die Platzordnung angepasst und gelte nun nur noch im privaten Raum auf dem Platz. Allerdings sei nicht zu erkennen, wo der überhaupt anfange.

Spitz zulaufende Eisendächer auf Betonpollern verhindern, dass man darauf sitzen kann

Am Ostbahnhof ist Sitzen nicht erwünscht Foto: Gangway

Früher sei der U-Bahnhof mal ein Kältebahnhof gewesen, Obdachlose konnten dort übernachten. Auf Betreiben des Bürgervereins Hansaviertel sei er zum Kulturbahnhof erklärt worden und seitdem nachts geschlossen. Betreiber von Supermärkten hätten überlegt, nichts mehr an Obdachlose zu verkaufen und von ihnen kein Pfand mehr anzunehmen. Über Nacht verschwanden zwei denkmalgeschützte Parkbänke. „Dazu hat der sonst so engagierte Bürgerverein kein Wort verloren“, sagte Abel.

Keine Sitzplätze am Ostbahnhof

Es war ein knappes Rennen, verdient hätten die „Goldene Keule“ laut Jury auch die anderen Orte. An zweiter Stelle der Ostbahnhof, an dem Bahn und Bezirk nach und nach fast alle Sitzgelegenheiten abgebaut hätten. „Drei Sitzplätze gibt es dort noch – in einem Buswartehäuschen“, berichtete Daniela Radlbeck vom Paritätischen. Ein anderes Wartehäuschen sei abgebaut worden, eine begrenzende Mauer durch Betonpoller mit spitzen Metalldächern ersetzt. Bänke waren verschwunden.

Nominiert war außerdem der Alexanderplatz, an dem ebenfalls der Aufenthalt verhindert oder ungemütlich gemacht werde und ein seit mehr als zehn Jahren leerstehendes ehemalige Schwesternwohnheim in der Habersaathstraße. Eine Gruppe von obdachlosen Menschen und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen hatte das Gebäude mit etwa 80 eigentlich bezugsfertigen Wohnungen im Oktober 2020 besetzt, auch um mitten in der Coronapandemie Schutzräume zu ermöglichen. Der Senat ließ das Gebäude nach wenigen Stunden räumen.

„Wir würden die Goldene Keule gern hier in der Mitte auf dem Hansaplatz aufstellen und werden das auch beim Bezirksamt beantragen“, sagte Andreas Abel nach der Verleihung. „Ich denke, das wird das ablehnen. Aber dann stellen wir sie beim Grips ins Fenster, da ist die Keule auch für alle sichtbar.“

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