Angebliches Missverständnis

Die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai nimmt in einem Interview mit der französischen „L’Equipe“ ihre Anschuldigungen gegen einen Politiker zurück. Ob das viel zu bedeuten hat, bleibt unklar

„Wir trafen uns mit Peng Shuai“. Cover der französischen Sport­zeitung „L’Equipe“ Foto: screenshot

Aus Peking Fabian Kretschmer

Die jüngsten Aussagen der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai erinnern stark an eine Szene des Slapstick-Klassikers „die nackte Kanone“. Darin beobachtet eine schaulustige Meute ein brennendes Haus, dessen Ziegeldach in Dutzenden Explosionen in die Luft fliegt. Doch Polizeiinspektor Frank Drebin, gespielt von Leslie Nielsen, stellt sich nur winkend vor den Mob und ruft mit bierernster Miene: „Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!“

Genau diese Botschaft versucht nun auch die chinesische Athletin zu vermitteln. In einem Interview mit der französischen Sportzeitschrift L’Equipe spricht sie erstmals seit Beginn der Causa mit einem unabhängigen Medium. Doch ihre Aussagen wirken mehr als befremdlich: Peng Shuai behauptet, dass sie niemals Missbrauchsvorwürfe erhoben habe und es sich bloß um ein „Missverständnis“ gehandelt habe. Mehr noch: Ihr zensiertes Posting habe sie höchst selbst gelöscht und verschwunden sei sie ebenfalls nicht. „Warum diese Besorgnis?“, fragt die 35-Jährige.

Die Antwort dazu ist selbstredend: Denn im November hat die Sportlerin in einem Posting auf der Online-Plattform Weibo ausführlich über ihre Affäre mit Zhang Gaoli, ehemaliger Vize-Premier des Landes, berichtet. „Du hast mit mir gespielt, und als du mich nicht mehr wolltest, hast du mich weggeworfen“, schrieb Peng unter anderem.

Der Online-Beitrag ließ tief blicken in eine moralisch verkommene Welt, in der ein älterer, hochrangiger Politkader eine junge Athletin manipuliert und als Mätresse hält. Strafrechtlich relevant hingegen ist allerdings nur ein einziger Satz, den einige Medien als Vergewaltigungsvorwurf übersetzt haben. Tatsächlich, so bemängeln Kritiker, seien die Nuancen in der Debatte etwas untergegangen: Ob Peng Shuais Aussagen richtig heißen müssten, sie sei zum Sex „gedrängt“ oder „gezwungen“ worden, ist selbst unter Muttersprachlern umstritten.

Fakt ist: Peng Shuai war wochenlang nicht kontaktierbar, selbst der Damentennisverband WTA kam nicht an die Athletin heran. Später inszenierten chinesische Staatsmedien rund um Peng Shuai eine leicht durchschaubare Propagandakampagne, die von gestellten Screenshots über fingierte E-Mails bis hin zu einem inszenierten „Spontan-Interview“ reichten.

Der jetzige Artikel im L’Equipe hat am Wissensstand in der Kontroverse im Grunde gar nichts geändert. Selbst das französische Magazin selbst zweifelt die Aussagekraft des Interviews an – zu Recht: Die Fragen musste der Reporter schließlich im Vorhinein einreichen, zudem wurde Peng Shuai von einem chinesischen Offiziellen begleitet. Wang Kan, Stabschef des Nationalen Olympischen Komitees Chinas, hat Pengs Antworten auch „übersetzt“. Dabei reicht ein Blick ins Archiv auf Youtube als Beweis, dass die Chinesin sehr wohl fließend Englisch spricht.

Um den Fall besser zu verstehen, sollte man unbedingt wissen, dass Pekings Sicherheitsapparat über eine lange Tradition verfügt, unliebsame Personen zu Geständnissen zwingt und diese im Staatsfernsehen ausstrahlt. Einer von ihnen ist der schwedische Menschenrechtsaktivist Peter Dahlin, der nach 23 Tagen im Gefängnis ein schriftliches Schuldeingeständnis vor laufender Kamera vorlesen musste.

Peng Shuai wurde von einem Übersetzer begleitet. Dabei spricht sie gutes Englisch

Dahlin selbst wertet den Fall Peng Shuai als Farce, wie er zynisch auf Twitter kommentiert: „Natürlich spricht Peng Shuai vollkommen frei – so frei wie ich damals, als ich mich entschuldigt habe, die ‚Gefühle des chinesischen Volks‘ verletzt zu ­haben.“

Doch streng genommen lässt die Faktenlage nicht den Rückschluss zu, dass die chinesische Tennisspielerin ihre Aussagen unter Zwang tätigt. Fakt ist nämlich auch, dass Peng Shuai als Patriotin gilt, die sich in ihren Postings auf Weibo in der Vergangenheit immer wieder stolz über die Regierung geäußert hat. Von daher wäre durchaus denkbar, dass sie nun den von ihr entfachten Imageschaden Chinas abwenden möchte.

Doch all das ist reine Spekulation. Der Fall lässt sich zusammenfassen: Wir wissen es schlicht nicht.

Entsprechend sollte sich auch IOC-Chef Thomas Bach, der Peng Shuai ebenfalls am Samstag getroffen hat, mit seinen Interpretationen über den Fall zurückhalten. Der deutsche Sportfunktionär hat schließlich beim kritischen Umgang mit dem chinesischen Staat in den vergangenen Jahren sämtliche Glaubwürdigkeit verloren. Und schon im letzten Jahr behauptete Bach nach einem hochkontrollierten Videogespräch mit Peng Shuai vorschnell, alles sei in Ordnung. Ob sich der 68-Jährige damals absichtlich zum Helfer des chinesischen Propagandaapparats gemacht hat? Zumindest hätte er es besser wissen müssen.