Judenhass auf Berliner Demonstrationen: Der Hass verbindet

Antisemiten rufen auf deutschen Straßen zur Gewalt gegen Juden auf. Und der Staat? Reagiert nicht oder erst spät. Er scheint nichts dazuzulernen.

Auseinandersetzung zweier Personen inmitten anderer Personen mit Plakaten

Ein Anmelder des Protestzugs bedrängt auf dem Kottbusser Damm in Berlin einen Journalisten Foto: Florian Boillot

Mal wieder kam es bei propalästinensischen Demonstrationen am Wochenende zu antisemitischen Vorfällen. Diesmal in Berlin, Dortmund und Hannover. Zu den Demonstrationen aufgerufen hatte das Bündnis „Palästina spricht“. Am erbärmlichsten: die Reaktion der Berliner Polizei am Samstag. Rund 500 Teil­neh­me­r:in­nen zogen durch Berlin-Kreuzberg und Neukölln. Kleine Kinder riefen vom Straßenrand „Free Palastine“ oder schlossen sich spontan dem Demozug an.

Vom Lautsprecherwagen wurde zum gewaltsamen Aufstand aufgerufen. „Intifada bis zum Sieg“, hörte man auf den Straßen. Neben Fahnen der PFLP-nahen Gruppe Samidoun, die seit vergangenem März in Israel als Terrororganisation eingestuft wird, marschierten munter Genossinnen und Genossen der Linksjugend solid. Wie der Tagesspiegel berichtete, befand sich im Protestzug auch eine Gruppe Jugendlicher aus der arabischen Community, „die immer wieder Parolen der Terrororganisation Hamas anstimmten“.

Seinen aggressiven Höhepunkt fand die Demonstration am Hermannplatz, wo Journalisten durch Demoteilnehmer angegriffen wurden. Demonstranten hatten Bild-Reporter Peter Wilke offenbar erkannt, wie er gegenüber der Welt schildert, ihn bedrängt und eingekesselt. Erst spät, nachdem Wilke einen Kollegen per Handy um Hilfe gebeten hatte, wurde er von der Polizei aus der johlenden Menge herausbegleitet. Auf einem Video des Vereins democ ist zu sehen, wie der Reporter als „dreckiger Jude“ und „Scheißjude“ beleidigt wird.

Ein anderer Journalist soll auf Wunsch des Veranstalters durch die Polizei von der Demonstration verwiesen worden sein. Das berichtete Jörg Reichel, Geschäftsführer der Deutschen Journalisten-Union (DJU) von Verdi Berlin-Brandenburg, der taz. Ein Video von democ zeigt auch diese Szene.

Was für ein Armutszeugnis für die Berliner Beamten. Eine Polizei, die solche Demonstrationen regelmäßig begleitet, sollte in der Lage sein, antisemitische Ausrufe zu erkennen, Betroffene von Beleidigungen und Gewalt unverzüglich zu schützen und die freie Berichterstattung von Pres­se­ver­tre­te­r:in­nen sicherzustellen. Nun ja, vielleicht waren die Ausrufe „Scheißjude“ und „dreckiger Jude“ einfach noch nicht deutlich genug.

Diese Vorfälle illustrieren, wie schwer sich viele damit tun, Antisemitismus als solchen zu erkennen. Für die meisten ist Antisemitismus nämlich mit Gaskammern verbunden. Bevor ein Jude also nicht tot ist, fällt es schwer, den Antisemitismus auch wirklich als solchen zu identifizieren. Die Demoveranstalter des Bündnisses „Palästina spricht“ konnten sich nicht mal dazu durchringen, das Wort Antisemitismus auszuschreiben. In einer Stellungnahme vom Montag spricht es von „rassistischen Sprüchen“ – und meint die Rufe „dreckiger Jude“ und „Scheißjude“. Damit entlarvt es sich selbst: Es labelt Antisemitismus als Rassismus und macht ihn so unsichtbar, nicht existent.

Drohrufe von Beamten toleriert

Als im vergangenen Mai der vierte Gazakrieg tobte, brüllten Demonstranten, junge Männer, die Türkei- und Palästinaflaggen schwenkten, vor einer Synagoge in Gelsenkirchen im Chor „Scheißjuden, Scheißjuden …“. Niemand stoppte sie. Die Polizei war viel zu spät vor Ort und sah sich bei ihrer Ankunft in der Unterzahl. Medien berichteten zwar über den Vorfall, doch ließen sie zunächst aus, dass er sich vor einer Synagoge ereignet hatte.

Auch in anderen Städten kam es damals zu aggressiven Auseinandersetzungen auf antiisraelischen Demonstrationen. Es flogen Steine auf Synagogen, auf Beamte, auf Jour­na­lis­t:in­nen. In zahlreichen deutschen Städten wurden Drohaufrufe, wie der arabische Schlachtruf „Khaybar, Khaybar, ya yahud, Falestin raah Tauod!“, also „Juden, erinnert euch an Khaybar, Palästina kommt zurück“, skandiert und von den Beamten toleriert. In Gelsenkirchen ermittelte die Polizei später zwar und brachte Anklagen gegen zahlreiche Teilnehmer der Kundgebung wegen antisemitischer Propagandadelikte auf den Weg. In den meisten anderen Fällen wurden die Täter allerdings nie zur Verantwortung gezogen.

Was hinterlässt das für ein Gefühl bei Jüdinnen und Juden? Auf deutschen Straßen wurde ihre Vernichtung gefordert und der deutsche Staat schaute zu. Es bleibt der Eindruck, dass ihn der Antisemitismus unberührt ließ. Viele Jüdinnen und Juden sprechen heute noch über die Proteste im Mai als traumatische Tage.

Täter klar benennen

Warum hat der Staat fast ein Jahr später kaum dazugelernt? Bundesinnenministerin Nancy Fae­ser war am Sonntag nach den Ausschreitungen nicht mal in der Lage, die Tätergruppe klar zu benennen. Stattdessen arbeitete sie mit allgemeinen Formulierungen: Man dürfe sich nicht an antisemitische Beschimpfungen gewöhnen, „egal von wo und von wem sie kommen“, schrieb sie auf Twitter. Damit hat sie­ ­natürlich recht. Doch angesichts der jüngsten Vorkommnisse macht sie es sich zu einfach.

Angebracht wäre eine ehrliche Analyse dessen, welche ideologisch durchaus unterschiedlichen Gruppen sich auf diesen Protesten zusammengeschlossen haben. Denn etwas verbindet eine linksextreme palästinensische Terrorgruppe, Islamisten, Nationalisten, antiimperialistische deutsche Linke und andere Teilnehmer der Demonstrationen: Ihr Hass auf Israel und nicht selten eben auch ihr Hass auf Juden.

Nur wer Täter klar benennt, kann aktiv gegen sie vorgehen. Solange das nicht in den Köpfen der Verantwortlichen ankommt, bleibt es dabei, dass solche Texte mit einem „Mal wieder“ beginnen.

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