Gruselige Statisten

„Auslöschung. Ein Zerfall“ nach Thomas Bernhard am Deutschen Theater Berlin

Manfred Zapatka und Bernd Moss als Vater und Sohn in „Auslöschung. Ein Zerfall“ am Deutschen Theater Berlin Foto: Thomas Aurin

Von Katrin Bettina Müller

Ein Wettbewerb der Überbietung in gegenseitiger Verachtung: Das ist die Familie von Franz Josef Murau. Sie kommt aus dem letzten Prosawerk von Thomas Bernhard, „Auslöschung. Ein Zerfall“, geschrieben 1986, und marschiert jetzt über die Bühne des Deutschen Theaters in Berlin, inszeniert von Karin Henkel. Sohn Franz ist die Hauptfigur. Er muss in das verhasste Dorf seiner Kindheit – schon mit vier wollte er von dort wegrennen. Man musste ihn anbinden, erzählt er jetzt vor der Tür des Hauses, das er lange nicht betreten kann – weil die Eltern beide bei einem Autounfall ums Leben kamen. Das hindert sie aber nicht, in dem toten Wald herumzulaufen, der im Bühnenbild von Thilo Reuter den Gutshof der Muraus und den Ort von Franzens Kindheit darstellt: Der Vater (Manfred Zapatka) in Naziuniform, die Mutter (Almut Zilcher) im weißen Kleid und mit zerschmettertem Gesicht.

Die Mutter klagt, was sonst. Wie widerwärtig ihr der Vater immer war. Wie er ständig sagte: „Ende gut, alles gut.“ Wie widerlich das Kinderkriegen. Franz, der Sohn, so was von überflüssig. Und dann, hat sie sich auch das Ende ganz anders vorgestellt. Fühlt sich betrogen um ihre schönsten Jahre, die sie leben wollte, nach dem Tod des Vaters. Alles, was an mütterlichen Gefühlen gemeinhin so unterstellt wird, wischt dieser Monolog beiseite. Es liegt eine gewisse Freude in seiner Boshaftigkeit und Gemeinheit; der Eifer, mit dem sich Almut Zilchers Figur in ihren Ekel stürzt ist ja eine durchaus zähe Lebensenergie. Für eine solche Figurentypologie ist Thomas Bernhard bekannt, beliebt und berüchtigt.

Wer Bernhard erwartet, bekommt ihn auch an diesem Abend. Die meiste Zeit ist es Franz, der abrechnet, mit der Familie und ihrer ungebrochenen Bindung an die schwarzbraune Vergangenheit. Waren nicht Sturmbannführer und Gauleiter in jenem Gewächshaus versteckt, wo jetzt die Eltern aufgebahrt sind? Kommen diese Lemuren auch zur Beerdigung wieder? Ja, gegen Ende tauchen sie auf, gruselig kostümierte Statisten, die ein Fahrstuhl aus dem Waldboden nach oben schiebt.

Scheitern als Running Gag

Franz’Erzählung ist auch eine der gescheiterten Selbstmorde. Franz wird auf der Bühne neben Bernd Moss auch von Daniel Zillmann und Linn Reuse gespielt, die ihn als Kind verkörpert, den ewigen Bettnässer, den überall Ausgestoßenen. Der sich im See zu ertränken versucht oder zu erhängen in der Schuhkammer des Internats. Der das Scheitern der Versuche aber selbst zu einem Running Gag seiner Verliererbiografie stilisiert.

In der Inszenierung von Karin Henkel ist eigentlich alles da, was einen guten Theaterabend ausmacht. Biografische Selbstzerstörung vor der historischen Folie verleugneter Verbrechen. Ein scharfer, pointenreicher Text. Viele von Bosheit gewürzte Gefühle. Gute Schauspieler. Ein sprechendes Bühnenbild.

Alles da, was einen guten Theaterabend ausmacht, und doch ist es wie ein Stochern in kalter Asche

Und doch ist das ganze Unternehmen wie ein Stochern in kalter Asche. Der ganze Aufwand des Hasses, zwischen Franz und seinen Schwestern, zwischen den Geschwistern und den Eltern, er flattert irgendwie an einem vorbei. „Auslöschung. Ein Zerfall“ gehört zu den Stücken, deren Premiere pandemiebedingt mehrfach verschoben wurde.

Möglicherweise ist dabei eine Energie erkaltet, die eine Frage nach der Notwendigkeit dieses Stückes jetzt gar nicht erst hätte aufkommen lassen. Jetzt aber ist sie da und man fühlt sich ein wenig wie in einem Museum der Geschichte. Tatsächlich ist so das Schlussbild angelegt, die Schau­spie­le­r:in­nen sind erstarrt wie Wachsfiguren. Eine Besuchergruppe läuft mit Audioguides und Taschenlampen zwischen ihnen herum. Geht sie diese Geschichte noch was an?

Was macht diese Abkühlung aus? Spielt es dafür eine Rolle, dass die monumentale Abrechnung mit der Gesellschaft der Nachkriegszeit, die in dem Text an vielen Stellen aufblitzt, am Ende immer aufgeführt zu worden sein scheint, um das Unglücklichsein von Franz, der Unglücklichsein nun mal zu seinem Spezialgeschäft gemacht hat, zu grundieren? Ist sich die Inszenierung zu selbstgewiss, wenn sie mit Franz von der Kontinuität des rechten völkischen Gedankenguts redet, dann werde das als kritische Haltung auch der Gegenwart gegenüber schon genügen? Etwas von beidem spielt wohl eine Rolle.