Kommentar von Rudolf Balmer zu den Parlamentswahlen in Frankreich
: Frankreichs Linke gestärkt, Regierung wird rechter

Emmanuel Macron muss wenige Wochen nach seiner Wiederwahl als Präsident eine demütigende Niederlage einstecken. Wer wird in den kommenden Jahren in Frankreich regieren? Die Frage ist offen nach den Parlamentswahlen. Das erst gerade neugebildete Ministerkabinett von Élisabeth Borne hat keine handlungsfähige Mehrheit mehr. Die Allianz von Präsident Emmanuel Macron hat nicht einmal genug Sitze zur Bildung einer Minderheitsregierung, die sich mit Absprachen und Kompromissen von Fall zu Fall durchwursteln könnte.

Am Wahlabend herrschte die Befürchtung, dass mit diesen Wahlen Frankreich gänzlich regierungsunfähig geworden sei – es läuft auf Verhandlungen für eine Koalitionsregierung zu. Was in den französischen Nachbarländern mit diversen Koalitionen seit Langem an der Tagesordnung ist, gab es aber seit mehr als 60 Jahren nicht mehr in Frankreich. Der gleichzeitige Erfolg der linken und rechten Oppositionsparteien, die die Zahl ihrer Sitze im Vergleich zu 2017 je rund verzehnfacht haben – in Frankreich gilt das Mehrheitswahlrecht, je­de*r Abgeordnete muss seinen Wahlkreis gewinnen –, verspricht äußerst lebhafte Debatten in der zukünftigen Nationalversammlung.

Der Ausgang der Wahlen ist in dieser Hinsicht ein Sieg für die parlamentarische Demokratie. Die Nationalversammlung wird sich nicht mehr darauf beschränken, die Regierungsvorlagen durchzuwinken, wie dies im französischen Präsidialsystem, das seit Charles de Gaulles Zeiten existiert, meistens die Regel war. Die Bür­ge­r*in­nen haben mit ihrem Votum dem Präsidenten und seiner Alleinherrschaft ihr Misstrauen ausgesprochen.

Da aber weder die linke noch die rechte Opposition eine Mehrheit bekommt, zeichnet sich auch kein Machtwechsel ab. Macrons bisherige Allianz muss Koalitionspartner finden. Die Konsequenz daraus wird eine behelfsmäßige Erweiterung der schon bisher breiten Mitte um Macrons Bewegung En marche sein. Und da sich dazu kaum andere zusätzliche Kräfte anbieten als die Konservativen, wird Macrons „Mitte“ nach dieser dritten Wahlrunde fast zwangsläufig nach rechts rutschen.

Das paradoxe Ergebnis der spektakulären Sitzgewinne der linken Wahlunion NUPES von Jean-Luc Mélenchon wird darum sein, dass die Regierungspolitik, statt sozialer und ökologischer zu werden, in die Gegenrichtung gleitet. Was dies konkret bedeutet, wird sich in der Debatte über die von Macron gewollte Rentenreform zeigen. Die nächste Runde wird dann – wie Macron eigentlich aus der Erfahrung mit der Gelbwesten-Bewegung wissen müsste – erneut auf die Straße verlagert werden.

wahl in frankreich