Mögliches Motiv für Attentat: Mord wegen Sekte?

Die Partei und Familie des ermordeten Ex-Premiers Abe soll Verbindungen zur koreanischen Moon-Sekte gehabt haben. Japanische Medien vernebeln das.

Foto von Shinzō Abe in einem Bilderahmen, der in weißen Blumen steckt.

Foto des ermordeten Ex-Premiers Shinzō Abe in der Zentrale der LDP Foto: Kim Kyung-Hoon/Reuters

TOKIO taz | Tausende Bürger, Beamte und Politiker haben am Dienstag Tokios Straßen gesäumt und dem ermordeten Ex-Regierungschef Shinzō Abe die letzte Ehre erwiesen, als der Wagen mit seinem Leichnam durch das Regierungsviertel Nagatacho fuhr. Zuvor hatten die Witwe Akie, Angehörige, Premier Fumio Kishida und führende Politiker der Regierungspartei LDP an einer Beerdigungszeremonie im Zojo-Tempel teilgenommen.

Doch wartet die Öffentlichkeit weiter auf eine Erklärung der Ermittler zu den Motiven für das Attentat am vergangenen Freitag. Aus der Polizei sickerte nur durch, der 41-jährige mutmaßliche Attentäter Tetsuya Yamagami wollte zunächst den Führer einer „religiösen Gruppe“ töten, die er gehasst habe. Dann habe er Abe wegen dessen „Verbindung“ zu dieser Gruppe als Opfer ausgewählt.

Laut dem Magazin Gendai Business war die Mutter von Yamagami nach dem Tod des Vaters der Gruppe beigetreten und hatte ihr fast 50 Millionen Yen gespendet (heutiger Wert: 360.000 Euro). Dafür verkaufte sie Haus und Grund der Familie. Yamagami musste sein Studium abbrechen, weil die Mutter die Uni-Gebühren nicht mehr zahlen konnte.

Doch den Namen der Gruppe verschwiegen Japans große Zeitungen und TV-Sender drei Tage lang, während Twitter-User längst auf die koreanische Vereinigungskirche deuteten, die durch ihre Massenhochzeiten bekannt ist.

Sekte bestätigt Mitgliedschaft der Mutter des Attentäters

Erst als der Japan-Chef der nach ihrem Gründer benannten Moon-Sekte, Tomihiro Tanaka, bestätigte, dass die Mutter des mutmaßlichen Täters seit 1998 Mitglied sei, nannten die Mainstream-Medien auch ihren Namen.

Die Mutter habe 2002 Privatinsolvenz angemeldet, berichtete Tanaka. Abe sei kein Mitglied gewesen, aber habe die Friedensanstrengungen der Kirche unterstützt.

Über die Gründe für die selbst auferlegte Nachrichtensperre wird heftig spekuliert. Auf Twitter hieß es zunächst, die Behörden fürchteten pogromartige Übergriffe gegen Japaner koreanischer Abstammung.

Plausibler erscheint, dass die Medien das Ansehen des Ermordeten schützen wollen: Denn dass Abe ausgerechnet eine koreanische Sekte mit zweifelhaften Geschäftspraktiken unterstützte, passt so gar nicht zu seinem Image des strammen Nationalisten. Dabei ist diese Beziehung ein offenes Geheimnis.

Abe redete auf Verantaltung der Witwe des Sektengründers

Das Magazin Nikkan Gendai berichtete im September 2019, 6 der 13 neuen LDP-Minister des vierten Abe-Kabinetts stünden der Sekte nahe. Vor einem Jahr redete Abe auf einer Veranstaltung der Witwe des Sektengründers Sun Myung Moon.

Dagegen protestierten japanische Anwälte, die Moon-Opfer mit einer Gesamtschadenssumme von 900 Millionen Euro vertreten. Die Sekte habe viele Familien und das Leben vieler Bürger zerstört, indem sie ihren Mitgliedern überteuerte Siegel und Vasen zum Kauf aufdrängte, erklärten die Anwälte.

Laut dem US-Politologen Richard Samuels hatte Abes Großvater Nobusuke Kishi, der von 1957 bis 1960 Premier war, dem Sektengründer wegen der gemeinsamen antikommunistischen Haltung in den 60er Jahren den Weg in Japan geebnet und ihm persönlich ein Grundstück für seine Japan-Zentrale verkauft.

Geschäft auf Gegenseitigkeit

Abes Vater Shintarō, der LDP-Generalsekretär und Außenminister war, sowie sein Sohn Shinzō hielten danach Kontakt zur Sekte. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die heute 600.000 Mitglieder in Japan zählende Sekte darf dort ungehindert missionieren und aggressiv Spenden eintreiben.

„Dafür helfen ihre Mitglieder kostenlos im Wahlkampf und geben Abgeordneten der Abe-Partei ihre Stimme“, sagt der Politologe Jeffrey Hall von der Kanda University for International Studies.

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