Nach Suizid von bedrohter Ärztin: Pandemie der Gewalt

Der Suizid einer Impfärztin in Österreich zeigt: Die Hetze im Netz nimmt immer schlimmere Ausmaße an. Dagegen muss endlich was getan werden.

Kerzen zum Gedenken an eine verstorbene Person.

Kerzen zum Gedenken an die verstorbene Ärztin Lisa-Maria Kellermayr in Wien am 29. Juli Foto: reuters/Dado Ruvic/Illustration/File Photo

Die Welle von rechtem Hass und Gewalt hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Noch sind die genauen Umstände und Ursachen des Suizids der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr nicht bekannt. Fakt ist: Sie wurde seit Monaten bedroht. Erst im Netz und dann ganz real. Von Menschen, die tiefsten Hass entwickelten, weil Kellermayr sich öffentlich zu Impfungen und Coronamaßnahmen bekannte.

Das Entsetzen ist groß. Wieder einmal. Denn so tragisch der Fall der Ärztin auch sein mag – es ist nicht das erste Mal, dass Beschimpfungen, Beleidigungen, Gewaltandrohungen aus der virtuellen Welt in die analoge Welt schwappen. Die Opfer der Hater werden gezwungen, sich zurückzuziehen, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, sich zu verstecken. Viele müssen ihre Jobs aufgeben, ruinieren sich finanziell, tauchen ab in die so­zia­le Isolation.

Nur weil ein rechter Mob, eine Horde von An­hän­ge­r:in­nen verschwörungsmythischer Ideen, nicht in die Schranken gewiesen wird. Es ist die Ignoranz und das Nicht-wahrhaben-Wollen, dass Tweets, Posts eben nicht nur schnell dahingerotzt sind, um das eigene krude Gedankengut in die virtuelle Welt zu ballern. Jeder einzelne Hasspost schmerzt die Adressat:innen.

Weil Masse und Tempo im Netz kein Problem sind, kommen irgendwann diejenigen, die ihre Meinung äußern und für Aufklärung sorgen wollen, an ihre Grenzen. So geschieht es auch jetzt. Etliche Nut­ze­r:in­nen der sozialen Medien schalten ihre Profile ab, manche gehen nur in eine Pause. Ob sie wiederkommen, ist ungewiss. Klar ist aber, dass Austausch, Debatte und auch Streit auf den Plattformen mehr und mehr ausdünnen.

Und es geht um das Gefühl, der gewaltvollen Kritik allein ausgesetzt zu sein. Aufseiten des Gesetzgebers wurden Instrumente geschaffen, um den Hass einzudämmen. Allein durch den Begriff der digitalen Gewalt wurde dem Phänomen mehr Bedeutung zugemessen. Es ist tatsächlich Gewalt, die von dem virtuellen Raum ausgeht. Wie so häufig sind es jedoch die Plattformanbieter, die sich erst nach sehr vielen Hinweisen die Mühe machen, Inhalte zu entfernen.

Und es sind die Strafverfolgungsbehörden, die zwar Hasskriminalität wahrnehmen, aber weder Personal noch Ausrüstung aufstocken. Also wiegen sich die Ab­sen­der:in­nen in Sicherheit. Die Sozial­psychologin Pia Lamberty spricht im Kontext von Corona von einer Pandemie der Gewalt, die in ihrer Bedrohlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Im virtuellen wie analogen Raum. Angesichts der Weltlage, die für die kommenden Monate nichts Gutes verheißt, muss sie endlich ernst genommen werden. Sonst wird die Liste der Opfer immer länger.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

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Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort.

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