Roman „Ewig Sommer“: Das Feuer rückt näher

Franziska Gänslers Romandebüt „Ewig Sommer“ erzählt vor dem Hintergrund der Klimakrise von der folgenreichen Begegnung zweier Frauen.

Durch einen Vorhang sieht man draußen schmenhaft Häuser und einen See

In Franziska Gänslers Roman „Ewig Sommer“ droht nicht allein die sengende Sonne draußen Foto: Massimo Giovannini/plainpicture

Im fiktiven Bad Heim, Schauplatz des Debütromans der 1987 in Augsburg geborenen Autorin Franziska Gänsler, brennt der Wald, die Hitze ist unerträglich und die Tou­ris­t*in­nen bleiben dem einst beliebten Kurort schon länger fern. Kürzlich noch hätte man wohl formuliert, der Roman spiele in einer nahen Zukunft – mittlerweile lassen die in der Sächsischen Schweiz ausgebrochenen Brände die Zukunft des Tourismus dort ungewiss erscheinen.

„Ewig Sommer“ könnte so gesehen aktueller nicht sein und die Klimakrise ist eines seiner zentralen Themen. Jedoch ist dieses beeindruckende Debüt viel mehr als ein Roman über die drohende Klimakatastrophe.

„Apps, die ständig aktualisiert wurden, die Warnungen schickten, die zu beobachten ein normaler Teil der täglichen Abläufe geworden war. Gelb hieß Vorsicht, Orange hieß Lockdown, Rot Evakuierung. So waren die Sommer hier, zwischen Gelb und Orange. Masken, Wind, Asche.“ Doch dieser Sommer endet nicht, es ist bereits Oktober.

Iris, die Ich-Erzählerin, Mitte dreißig, harrt aus im vom Großvater übernommenen Hotel. Klammert sich wider besseres Wissen an die Hoffnung auf eine Restnormalität, fixiert auf das „Instandhalten meiner kleinen Welt“.

Franziska Gänsler: „Ewig Sommer“. Kein & Aber, Zürich 2022. 206 Seiten, 23 Euro

In einer klaren, unaufgeregten Sprache schildert Gänsler einen veränderten Alltag, die darin liegende Dramatik offenbart sich beiläufig in der Allgegenwart von Regeln, so notwendig wie selbstverständlich gewordenen Verhaltensmaßnahmen.

Rätselhafte Frau

Vor diesem Hintergrund entfaltet die Autorin kammerspielartig die facettenreiche Begegnung zweier sich fremder Frauen, Schauplatz ist meist das leere Hotel. Dori betritt es eines Tages mit ihrer vierjährigen Tochter Ilya und bittet um Unterkunft. Iris ist eine genaue Beobachterin ihres Gegenübers, eine geübte Deuterin von Körperzeichen. Etwas Rätselhaftes umgibt die Frau, ihre Anspannung ist groß.

„In dieser Anspannung erkannte ich Ähnlichkeiten zu meiner Mutter, auch wenn die Frau sonst nicht viel mit ihr gemein hatte.“ In dieser frühen Wahrnehmung vor jedem Wissen liegt Existenzielles verborgen – eine Verbindung zwischen Dori und Iris, vermittelt über die Figur von Iris’ Mutter. Es ist ein fein ausgelegter roter Faden, der das Buch durchzieht. Er führt zu einer überraschenden Auflösung am Schluss, die nicht verraten werden soll. Gänsler versteht es, so verdichtet wie fesselnd zu erzählen.

Der so entstehende Sog verdankt sich auch einem kunstvollen doppelten Spannungsbogen, einer Parallelführung der sich steigernden Bedrohung der Menschen durch das näherrückende Feuer und der Bedrohung, der Dori ausgesetzt ist. Denn langsam offenbart sich, dass sie auf der Flucht vor ihrem Mann ist.

Toxische, manipulative Beziehung

Feinfühlig und klug entwickelt die Autorin hier die Thematik einer toxischen, manipulativen Beziehung, deren Merkmale auch unter dem Begriff Gaslighting bekannt sind, der im Text nicht fällt. Vielmehr erzählt Gänsler die Auswirkungen, welche das ständige Infragestellen von Doris Wahrnehmung durch ihren Mann, seine Verdrehungen der Fakten, Herabsetzungen und Schuldzuweisungen auf sie haben. Als „mentally unfit“ bezeichnet er seine Frau in den sich bedrängend häufenden Anrufen, die Iris von ihm erhält. Er ist Dori auf der Spur.

So wird ein Aspekt der von Iris bemerkten Ähnlichkeit zu ihrer Mutter fassbar: Diese war den Strafaktionen und Demütigungen des Großvaters ausgesetzt. In Doris Verhalten, ihrer zeitweiligen Panik, sieht Iris ihre Mutter. Gänsler zeichnet das Verhalten beider Männer als Ausübung einer patriarchalen, vornehmlich psychischen Gewalt.

„Von draußen presste der Wind die warme Luft gegen die Scheiben“, immer wieder findet die Autorin derlei beiläufige wie treffende Sätze und Bilder, in denen sich das äußere Geschehen und die Verfasstheit der beiden Frauen bespiegeln; hier die Bedrängung durch Hitze und Feuer und dort die innere Enge und Unfreiheit, die sie auf unterschiedliche Weise empfinden.

Die Spiegelung findet sich aber nicht nur als stilistisches Verfahren, sie manifestiert sich auch in den vielen Glastüren, Fenstern, Scheiben, in denen sich Dori und Iris verzerrt oder verdunkelt erblicken – eine gelungene literarische Übersetzung ihrer Selbstentfremdung.

Annäherung zwischen den beiden Frauen

Gänsler schafft eine dichte Atmosphäre, dem doppelten Spannungsbogen der Bedrohung setzt sie eine Gegenbewegung entgegen: eine Annäherung zwischen den Frauen. Glaubhaft löst sich Doris fast mit ihr verwachsene Fassade. Scheint vage eine andere Zukunft auf, die Fantasie einer Liebesgeschichte. Inmitten der Katastrophe.

Gänsler beeindruckt durch die sublime, vielschichtige Verwobenheit ihrer Themen. Eines geht aus dem anderen hervor und fast immer berühren sie eine persönliche wie überindividuelle Ebene. So steigen etwa mit Iris’ Erinnerungen an die Mutter darüber hinausgehende Fragen nach Vergangenheit und Verlust auf.

Erzählt Gänsler von Mutterschaft, Passivität oder Handeln und von der Entscheidung, zu gehen oder zu bleiben. Fulminant auch die Zuspitzung der Ereignisse und ihre Auflösung am Schluss, „konzentriert auf einen Punkt in der Zeit“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.