Der Genre-Erweiterer

Nis Søgaard ist ein Objekttheaterregisseur, der große Themen aufgreift und über die kleine Szene hinausstrahlt. In seinem Stück „Glamour Montain“ in der Schaubude geht es auf den Abgrund zu, aber mit Humor

Erzählen die neue Welt im Objekttheater: Jana Barthel und Nis Søgaard Foto: Tom Mustroph

Von Tom Mustroph

Sind Humor und Klimawandel miteinander vereinbar? Nun, der dänische Puppenspielregisseur Nis Søgaard ist davon überzeugt. Er lässt in der Berliner Schaubude drei Wesen, die aus einem Alpenberg geboren werden, erzählen, was die Menschen so treiben, mit riesigen Skiliften, Schnee, der aus Kanonen kommt, oder Prosecco aus Dosen.

„Wir haben eine Distanz geschaffen über die Wesen, die diese Geschichte erzählen, und auch, weil wir das Geschehen in die Zukunft verlagern“, meint Søgaard in einer Pause zwischen den Proben. „Das Stück ‚Glamour Montain‘ feiert eine neue Welt, auch die Zerstörung, die damit einhergeht. Wir versuchen das auf eine Art umzusetzen, die Humor auch erlaubt. Ich glaube, der Mensch hat manchmal den Drang, allein durch seine Präsenz alles um ihn herum zu zerstören, und diesen Drang, dem Abgrund zuzustreben, spüren auch diese Wesen, indem sie die Menschen nachspielen, im Guten wie im Bösen.“

Mit dem Konzept beschäftigen sich er und seine Bühnenbildnerin und künstlerische Partnerin Jana Barthel schon seit mehr als zwei Jahren. Die Lotterie des Fördersystems führt dazu, dass manche Konzepte länger liegen bleiben. Andere, gerade einmal antragsfertig angedacht, müssen plötzlich realisiert werden, weil das Geld auf einmal vorhanden ist. „Glamour Mountain“ mussten Sø­gaard und Barthel dann auch immer mal wieder umarbeiten. „Wir haben gemerkt, dass wir die Dinge, die wir vor zwei Jahren als Sorgen, Ängste und Prognosen aufgeschrieben haben, jetzt schon haben. Wir hatten während der Proben wochenlang 37 Grad draußen, das war schon Realität. Auch deshalb gehen wir mit der Geschichte in eine Zukunft“, erklärt Barthel. Immer in der Hoffnung natürlich, dass die mit schwarzem Humor gemalte Zukunft nicht zu schnell Gegenwart wird.

Søgaard ist in der Vergangenheit bereits mit gewagten Verknüpfungen aufgefallen. In „Danish Pork“ lässt er dänische Landwirtschaft und dänische Porno-Industrie zusammenfließen. Verbindendes Element ist rosa Fleisch, das der Schweine und das einer Landwirtin, die des ökonomischen Überlebens wegen zu einem Porno-Star wird. Brillant war auch die von ihm in Szene gesetzte Transformation des Dogma-Films von Thomas Vinterberg „Das Fest“ in eine Orgie demütigender und gedemütigter Schweine und Affen. Søgaard, auch Puppenspieldozent an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, realisierte die Produktion mit dem 3. Studienjahr.

Aktuell wurde er mit seiner Dresdener Produktion „Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute“, in dem es um die Geschichte eines Zoologischen Gartens in der Nachbarschaft zu einem Konzentrationslager geht, für den Theaterpreis Faust nominiert. Zum zweiten Mal übrigens schon. Puppenspielern und Puppenspielregisseuren passiert das eher selten. Denn die Kategorie Puppenspiel taucht gar nicht auf; lediglich unter der Rubrik Kinder- und Jugendtheater finden sich zuweilen Nominierte aus dem Puppen- und Objekttheater. „Ja, eine eigene Kategorie wäre schön“, seufzt Søgaard. Mit der Diversität ist es im Theaterbetrieb nicht einmal bezüglich der Genres ganz weit her.

Søgaard fiel in der Vergangenheit bereits mit gewagten Verknüpfungen auf

Zum Puppenspieler und später Puppentheaterregisseur wurde Søgaard eher aus Zufall. „Am Anfang wollte ich nur Puppen bauen. Ich kann das zwar nicht sehr gut, aber ich konnte ziemlich gut modellieren und schnitzen. In Dänemark bin ich dann zu einem Workshop gegangen, von dem ich dachte, es ginge darin um Gestaltung. Es war dann aber ein Workshop für Schauspieler*innen, die das Metier lernen wollten. Ich bin da hineingerutscht, obwohl ich überhaupt nicht auf der Bühne stehen wollte. Insofern war mein Einstieg mit sehr viel Angst verbunden“, erzählt er rückblickend.

Søgaard entdeckte dabei aber sein Talent dafür, Geschichten über ein Objekt erzählen zu können. „Das war die Rettung. Denn dabei stand nicht ich im Vordergrund, sondern das Objekt“, berichtet er. Søgaard studierte schließlich Puppenspiel in Berlin, an der Schule, in der er jetzt auch unterrichtet. Er spielte viele Jahre fest als Puppenspieler im Ensemble des Puppentheaters Magdeburg. Und seit einigen Jahren macht er sich als Regisseur einen Namen, der das Puppen- und Objekttheater mit neuen Themen und überraschenden Ästhetiken erweitert.

Manchmal, so hat er gemerkt, rümpfen klassische Pup­pen­spie­le­r*in­nen über das, was er macht, die Nase, und fragen, ob das überhaupt noch „Puppe“ sei. Es handelt sich dabei vor allem um sorgsam versteckte Anerkennung. Es wird Zeit, dass auch eines der großen Häuser ihn mal „entdeckt“. Denn Räume füllen kann dieser Objektexperimentator ganz gewiss. Und dass er die Kunst von Theaterwerkstätten, wenn er sie denn zur Verfügung hat, auch optimal zur Entfaltung bringen kann, zeigte er bei seiner auf Corona-konforme Boxen getrimmten, für den Faust-Preis nominierten Stück im Theater der Jungen Generation in Dresden ebenfalls. „Glamour Mountain“ hat Søgaard als Serie konzipiert, noch so ein Erneuerungsversuch in der kleinen Sub-Branche.

„Glamour Mountain“, ab 22. 9. in der Schaubude Berlin