Spielfilm „Die stillen Trabanten“: Der Versuch, Nähe zuzulassen

Der Spielfilm „Die stillen Trabanten“ von Thomas Stuber nach einem Buch von Clemens Meyer ist sehr gut besetzt. Er erzählt leise von Verletzlichkeit.

Zwei Frauen einander zugeneigt, Sekt trinkend an einer Bar

Nähe, nur kurz, zwischen Birgitt (Nastassja Kinski, links) und Christa (Martina Gedeck) Foto: Warner Bros. Pictures

Eines Abends quietscht eine Schaukel, als Wachmann Erik (Charly Hübner) seine Runden um eine Hochhaussiedlung am Stadtrand von Leipzig dreht. Auf einem Spielplatz schaukelt eine junge Frau. Den Hund neben sich, steht Erik für einen Moment am Zaun und schaut der Frau zu. Sie guckt kurz über die Schulter und schaukelt weiter. Wie in „In den Gängen“ setzt Regisseur Thomas Stuber auch in seinem neuen Film „Die stillen Trabanten“ auf intensive Szenen, in denen der emotionale Gehalt beiläufig daherkommt.

Jens (Albrecht Schuch), ein Imbissbesitzer, der sich abends auf dem Gang vor seiner Wohnung beim Rauchen allmählich in die Frau seines arabischen Nachbarn verliebt. Aischa (Lilith Stangenberg), eine junge Frau, die auf der Suche nach einem Ausweg aus ihrem Selbsthass zum Islam konvertiert ist und feststellt, dass sie mit ihrem Nachbarn glücklicher ist als mit ihrem Mann.

Gewohnt, Distanz zu halten

Birgitt (Nastassja Kinski), eine Frisörin, deren Hand beim Griff nach den Zigaretten in der Bahnhofskneipe plötzlich die Hand der Frau auf dem Barhocker neben ihr streichelt. Christa (Martina Gedeck), eine Putzfrau, der die Zufallsbekanntschaft mit Birgitt mitten durch ihre harte Schale purzelt.

„Die stillen Trabanten“. Regie: Thomas Stuber. Mit Martina Gedeck, Nastassja Kinski u. a. Deutschland 2022, 120 Min.

Marika (Irina Starshenbaum), eine junge Frau aus der Ukraine, die im Krieg ihre ganze Familie verloren hat und nun in einer Hochhaussiedlung am Leipziger Stadtrand nachts auf der Schaukel sitzt. Erik, der Wachmann, wird sich in Marika verlieben. Sechs Menschen, die es gewohnt sind, Distanz zu halten, und denen sich in „Die stillen Trabanten“ unverhofft die Möglichkeit von Nähe bietet.

Er liest im Koran

Als Aischas Mann Hamet (Adel Bencherif) in einer Arbeitspause im Imbiss steht, sucht Jens hilfsbereit die Karte nach Essensoptionen ohne Schweinefleisch ab. Sein Schulfreund Mario (Andreas Döhler), der in den Imbiss primär die fragwürdige Idee eingebracht hat, rote Auslegeware zu verlegen, ventiliert von der Seite Alltagsrassismus. Wenig später liest Jens während der ausgedehnten Wartezeiten im Imbiss, den Kopf an die Abzugshaube gelehnt, im Koran, um zu verstehen, was Aischa in ihrer religiösen Wende gefunden haben mag.

Die drei Figurenpaare bilden die Grundstruktur von „Die stillen Trabanten“. Drei Erzählstränge, die sich durch den Film ziehen. Die Bilder von Peter Matjasko bleiben nüchtern, ohne kalt zu wirken, umgeben die Figuren mit Räumen, die sie gesellschaftlich verorten. Die Kamera macht den peripersonalen Raum der Figuren als Pufferzone zwischen den Figuren und der Welt sichtbar, gibt den Protagonist_innen Raum.

Als Wachmann Erik beim zweiten Zusammentreffen mit Marika plötzlich nach dem Scanner greift, mit dem er seine Runde dokumentieren muss, zuckt sie zusammen. Als er sie nach ihrem Namen fragt, bringt sie trotz des Zauns, der sie ohnehin trennt, erst einmal Raum zwischen sie beide.

Sehnsucht nach Berührungen

Die Protagonist_innen in „Die stillen Trabanten“ haben gelernt, ihr Leben in Routinen abzusichern und Abstand zu halten zur Welt. Stubers Film zeigt sie bei dem Versuch, Nähe zuzulassen. „Die stillen Trabanten“ beruht wie „In den Gängen“ auf einer literarischen Vorlage von Clemens Meyer, der bei beiden Filmen auch am Drehbuch mitgearbeitet hat. Anders als „In den Gängen“, der auf einer einzelnen Kurzgeschichte basierte, nimmt „Die stillen Trabanten“ sich den ganzen gleichnamigen Band mit Erzählungen zur Vorlage. Die größte Schwäche des Films ist denn auch, dass die Erzählstränge sich trotz einzelner Versuche nie verbinden.

So teilen die Geschichten um Marika und Erik und die um Aischa und Jens immerhin eine Figur. Hans (Peter Kurth) tritt zuerst in einer Rückblende als Hamets Vorarbeiter bei einer Gartenbaufirma auf und dann später als Kollege Eriks beim Wachschutz. Doch die jeweiligen Geschichten fügen sich nie wirklich zu einer emotio­nalen ­Metaerzählung. So geht es in „Die stillen Trabanten“ um Einsamkeit und die Sehnsucht nach Berührungen, Alltagsrassismus und Leben in Ostdeutschland.

Kein Arthouse-Kitsch

Dem stehen eine ganze Menge Stärken gegenüber, die Stubers Kinofilme prägen. Stuber hat eine Form gefunden, die Verletzlichkeit seiner Protagonist_innen mit großer Zärtlichkeit und Behutsamkeit zu inszenieren, ohne in Arthouse-Kitsch abzudriften. Dass das immer wieder mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit gelingt, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Stubers Filme Ensemblefilme sind. Kameramann Matjasko ist seit „Teenage Angst“ von 2008 festes Mitglied der Crew.

Eine ganze Reihe weiterer Crewmitglieder waren auch schon an „In den Gängen“ beteiligt. Vor allem aber sind Stubers Filme immer aufs Neue bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt, mit Peter Kurth als Festpunkt. Stubers Filme ließen sich als Rehabilitierung thea­tra­len Filmemachens beschreiben, denen aber die ungelenke Textfixierung und Steifheit abgeht, mit denen ein solcher Zugang sich sonst allzu oft verbindet.

So beeindruckt „Die stillen Trabanten“ mit vielen Qualitäten, die rar sind im deutschen Kino: mit einer Balance aus Zurückgenommenheit und Empathie, aus Nüchternheit und Emotionalität.

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