Porträt von Marc Weiser: Auch Free Jazz kann geil sein

Schon lange mischt Marc Weiser in der Berliner Subkultur mit. Nun bringt er mit Konzerten Schwung in das Jugendwiderstandsmuseum in Friedrichshain.

Marc Weiser steht zwischen Kirchenbänken

Marc Weiser im Jugendwiderstandsmuseum in der Galiläakirche in der Rigaer Straße in Berlin Foto: Christian Mang

Es ist kalt in der Galiläakirche in Friedrichshain, dem Arbeitsplatz von Marc Weiser, der seine Daunenjacke lieber nicht auszieht. Es gebe zig Heizkörper hier, sagt er, aber diese anzuwerfen, das könne man sich ganz einfach nicht leisten. Bei den derzeitigen Energiepreisen sowieso nicht. Die 113 Jahre alte und unter Denkmalschutz stehende Kirche sei so gut wie gar nicht gedämmt, „die Wärme steigt nach oben und zieht direkt ab durch das Dach“, sagt er.

Gleich wird es hier, wo man fast seinen eigenen Atem zu sehen glaubt, ein Konzert geben. Tom Liwa, Singer-Songwriter-Legende und ehemaliger Kopf der Flowerpornos, ist aus dem Wendland angereist, um hier später zu spielen. Er macht gerade den Soundcheck, trägt dabei eine Pudelmütze und auch er zieht seine Winterjacke lieber nicht aus.

Gerne würde er mitten in der Kirche, die schon lange nicht mehr von ihrem Besitzer, der Evangelischen Kirche, für Gottesdienste genutzt wird, auftreten. Direkt vor dem Altar und der immer noch funktionierenden Kirchenorgel also, wie ein Priester vor seiner Gemeinde, jedoch mit der Gitarre in der Hand. Aber er sieht dann doch ein, dass diese Kälte niemandem zuzumuten ist. Nicht ihm selbst und nicht dem Publikum. Also wird er umziehen in den einzigen, wenngleich auch winzigen Raum des ganzen Gebäudes, in dem eine Heizung läuft.

Weiser ist es, der Liwa für das Konzert nach Berlin geholt hat. Seit dem Frühjahr dieses Jahres, seit der Aufhebung der härtesten Corona-Maßnahmen, arbeitet er als Veranstalter im Jugendwiderstandsmuseum, das sich in der Kirche eingerichtet hat. Und er hat den Ort, zumindest was die Konzerte betrifft, seitdem gehörig umgekrempelt.

Opposition in Friedrichshain

Die Idee hinter dem Museum ist es, jugendkulturelle Oppositionsbewegungen zu dokumentieren, die es auffällig oft im ehemaligen Arbeiterbezirk Friedrichshain gegeben hat. In vom Regime nur wenig geliebten Kirchen wie der, in der man sich gerade befindet, fanden in der DDR beispielsweise sogenannte Blues-Messen statt, in denen sich gerne auch staatskritische Geister versammelten, die von der Obrigkeit misstrauisch beäugt wurden.

Die Ausstellung „Wartet nicht auf bessere Zeiten. Zum Jugendwiderstand in der DDR“ ist Di – Fr von 10 – 18 Uhr geöffnet. Rigaer Str. 9/10

Das nächste Konzert, „Experimental Music“, ist für den 23. Dezember, 19 Uhr, angesetzt

Und als die DDR am Zusammenbrechen war, Ende der Achtziger, gab es hier in Friedrichshain die größte Hausbesetzerszene der Stadt. Die Straßenschlachten rund um die Mainzer Straße waren extrem und gingen in die Geschichte Berlins ein. Auch davon wird in dem winzigen, aber originellen Museum erzählt.

Veranstaltungen und vor allem Konzerte gehören schon länger mit zu dessen Programm. Aber bis vor Kurzem waren das vor allem Punkkonzerte, passend zum Flair von Teilen der Rigaer Straße, in denen die übriggeblienene Hausbesetzerszene ihr letztes Refugium gefunden hat. Passend vielleicht auch zu der Tatsache, dass Punk als Widerstandsbewegung in der DDR so bedeutend war wie keine andere Jugendkultur im damaligen sozialistischen Staat.

Versponnen, verschroben, experimentell

Weiser aber, der sein musikalisches Programm „Kultur am Dorfplatz“ nennt, hat nun einen ganz neuen Sound in das Innere des alten Kirchengemäuers gebracht. Jazz und experimentelle Elektronik zum Beispiel. Die versponnen Klänge der Krautrock-Veteranen Embryo, die hier vor Kurzem auftraten. Oder jetzt den verschrobenen Pop von Tom Liwa.

„Friedrichshain ist Anfang der Neunziger stehen geblieben“, sagt Weiser. „Die Kneipen und die Kultur ist immer noch von der Zeit der besetzten Häuser geprägt und seit damals ist eigentlich nichts Neues dazu gekommen.“ Davon, das ist sein Ziel, möchte er sich „komplett lösen und sogar distanzieren.“

Die Neuausrichtung hin zum musikalisch Offenen werde auch durchaus angenommen, findet er, und von der direkten Hausbesetzer-Nachbarschaft wenigstens akzeptiert. „Neulich kam ein Punk vorbei, hat mir auf die Schulter geklopft und gesagt: Free Jazz finde ich geil.“

Weiser sagt, prinzipiell habe sich Friedrichshain in den letzten Jahren natürlich schon verändert. Auch der Nordkiez um die Rigaer Straße sei weitgehend gentrifiziert worden. Aber in der direkten Nachbarschaft zum Widerstandsmuseum seien die Zustände teilweise ziemlich hart. „Wir haben bei uns von mehreren Leuten Klamotten eingelagert, die in den letzten Monaten zwangsgeräumt wurden“, sagt er.

Die Neuausrichtung hin zum musikalisch Offenen, weg von Punk only, werde auch durchaus angenommen, findet Marc Weiser

„Schlägereien, extreme Gewalt und Drogenabhängige“ gehörten mit zum Kiezbild. Es gehe somit auch darum, in einem sozialen Brennpunkt einen Ort zu entwickeln, der nun zwar auch für eine für manche vielleicht etwas ungewohnte musikalische Avantgarde offen ist. Der aber trotzdem nicht wie ein Fremdkörper wirkt.

Eine Art Hausbesetzer Veteran

Weiser ist mit seiner Tätigkeit im Jugendwiderstandsmuseum, das von dem Sozialverband Hedwig-Wachenheim-Gesellschaft betrieben wird, sozusagen zurückgekehrt zu seinen eigenen Wurzeln in Berlin. Als er, inzwischen Mitte 50, von Düsseldorf hierher zog, landete er direkt ums Eck in einem besetzten Haus in der Rigaer Straße. Bei den Kämpfen um die Mainzer Straße war er dabei. Er ist eine Art Hausbesetzer-Veteran.

Nach der Wende wurde es aber woanders in Berlins Osten noch interessanter als in Friedrichshain, vor allem kulturell. Er zog weiter nach Mitte, veranstaltete Konzerte im legendären „Eimer“ und machte nun verstärkt selbst Musik. Ab den frühen Neunzigern wurde er zu einer der prägenden Figuren der Berliner Subkultur, sowohl als Veranstalter als auch als Musiker. So war er eine Zeit lang für das Programm des Clubs Maria am Ostbahnhof zuständig und war Mitgründer des Musikfestivals Club Transmediale, das es immer noch gibt und das auch international bekannt ist.

Zuletzt veranstaltete Marc Weiser Konzerte im Roten Salon der Volksbühne. Bis dort der ewige Chef Frank Castorf gehen musste. Mit dem neuen, Chris Dercon, der nur sehr kurz blieb, weil er von dem Job komplett überfordert war, habe er sich nicht so gut verstanden. Also war auch für ihn die Zeit gekommen, zu gehen.

Und als Musiker war Weiser ebenfalls an so einigen bedeutenden Projekten der Berliner Szene beteiligt. Mit den Elektronauten versuchte er sich an Drum&Bass, mit Rechenzentrum an Glitch-Elektronik, die selbst die Aufmerksamkeit des berühmten Londoner Radio-DJs John Peel erregte. Eine Zeit lang war er Mitglied bei Zeitkratzer, einem Berliner Ensemble aus dem Bereich der Neuen Musik. Und gelegentlich tritt er als Marc Marcovitch auf, ganz ähnlich wie Tom Liwa: Allein und mit Gitarre.

Musikalisch war und ist Weiser also ziemlich breit aufgestellt, und das soll sich nun also auch bei seiner Tätigkeit im Jugendwiderstandsmuseum widerspiegeln.

Sein Ziel ist es, so sagt er, das Museum in der Kirche als Veranstaltungsort zu etablieren und zu festigen. Dazu gehöre etwa auch die Arbeit an einer besseren Sichtbarkeit, also beispielsweise an einem Update der etwas veraltet wirkenden Homepage. Eine bessere Wahrnehmung sei auch wichtig, um der Evangelischen Kirche als Vermieter der Galiläakirche zu vermitteln: wir sind wichtig. Er glaubt nämlich, sonst könnte der Eigentümer irgendwann auf die Idee kommen, die alte Kirche an jemand anderes zu vermieten. Und dann müsste auch er wahrscheinlich erneut weiterziehen, um wieder irgendwo etwas mit aufzubauen.

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