DDR-Jugend: Ein Farbklecks in der grauen Zone

Eine Ausstellung in der Friedrichshainer Galiläakirche beschäftigt sich mit Jugendopposition in der DDR - und der Frage, was davon vielleicht bloße Teenagerattitüde war. Der Ausstellung soll ein Museum folgen.

Das spektakulärste Teil der Ausstellung sieht gar nicht spektakulär aus. Es ist ein rund 400 Kilo schwerer Betonklotz, aus dem ein auseinander gebogener Stahlträger herauswächst, gewidmet "Dem unbekannten Deserteur". 1988 wurde das Denkmal im Rahmen einer Friedenswerkstatt in der Lichtenberger Erlöserkirche gegossen und an wechselnden Orten aufgestellt, bis es im Garten einer evangelischen Kirchengemeinde in Wartenberg dem Vergessen anheim fiel. Nun ist der Betonklotz Prunkstück der Ausstellung "Wir lassen uns nicht nehmen, was uns sowieso nicht gehört!", die sich dem Jugendwiderstand und der Jugendopposition 1969 bis 1989 in der DDR widmet.

Rund um den Gedenkbrocken für die unbekannten DDR-Deserteure stehen diverse Schautafeln. Die dürften für heutige Jugendliche wohl zum Weglaufen sein. Zu altmodisch, zu unspektakulär, zu wenig aufreizend. Vor einer kleinen Vitrine mit zwei Paaren Sandaletten und Tramperschuhen steht Lutz Baumann, ein quirliger Mittfünfziger mit angegrautem Vollbart, und sagt: "Mit diesen Römerlatschen ist mein Kumpel Walter 1975 durch Bulgarien, Rumänien marschiert." In die Vitrine gelangten sie, nachdem Baumann seinen Kumpel gefragt hatte: "Mensch Walter, haste nich noch wat für unsre Ausstellung?" Walter hatte noch ein Fleischerhemd, das nun ebenfalls in einer Vitrine liegt, um ein Stück alternatives Lebensgefühl in der DDR zu veranschaulichen. Nach meiner Erinnerung als Fleischerhemden- und Latschenträger empfanden viele derart Uniformierte die Klamotten vor allem als späthippiemäßig cool, weniger als Systemwiderstand durch "Jugendmode"-Verweigerung.

Jugendopposition und Jugendwiderstand sind große Worte, die in Friedrichshain allerdings auch größer als anderswo geschrieben wurden. Der Bezirk habe eine lange Tradition als Ort des zivilen Widerstands und Ungehorsams gegen Unterdrückung, Unfreiheit und Bevormundung, betonen die Ausstellungsmacher. Sie verweisen auf die Nazigegner in der Bekennenden Kirche im Dritten Reich, auf die Bluesmessen zu DDR-Zeiten und den Kirchentag von unten 1987 sowie auf den Ausstellungsort selbst: Pfarrer Cyrus bot seine Galiläakirche bereits 1976 als Zufluchtsort für Punks.

In den letzten zehn Jahren stand das Gotteshaus leer, was die kirchliche Seite gern ändern würde. Wie sinnvoll es ist, den Leerstand gerade mit dieser Ausstellung zu beenden, bezeugen aktuelle Studien, wonach die Jugendlichen in Ostdeutschland (die im Westen natürlich auch) erschreckende Wissenslücken haben über die DDR, die immerhin wesentlicher Teil der Lebensgeschichte ihrer Eltern ist. Die Geschichtswerkstatt der Hedwig-Wachenheim-Gesellschaft e. V. hat mit Unterstützung des Jobcenters Kreuzberg diese Ausstellung konzipiert, die einerseits "das Wirken einer jugendkulturell geprägten DDR-Oppositionsbewegung" und ihre Impulse für die friedliche Revolution im Herbst 1989 zeigen will (das Jubiläum naht!), die aber auch zum Nachdenken über Unangepasstheit heutzutage einladen will.

Die Ausstellung ist kaum eröffnet, da haben deren Macher schon erkannt, dass sie von einem Grundproblem eingeholt wurden, nämlich der Frage: Was ist überhaupt Widerstand? Was war vielleicht nur Teenagerrebellion in Punkklamotten? Wo wirds politisch?

Da die Herrschenden in der DDR praktisch alles als extrem politisch werteten (von der Stones-Begeisterung bis zur Mail-Art), hat sich eine Menge Material angehäuft, das den vermeintlichen Systemwiderstand dokumentiert. Auf schmucklosen Schautafeln werden die glanzlosen Seiten der realsozialistischen DDR beschrieben und veranschaulicht mit oft verwischten Schwarz-Weiß-Fotos aus Privatarchiven.

Von der Kommune 1 Ost, die 1969 in der Samariterstraße 26 von mehreren Leuten, darunter Frank Havemann, gegründet wurde, gibt es leider keine. So erfährt man nur schriftlich, dass das Experiment des Zusammenlebens trotz prominenter Sympathisanten wie Rudi Dutschke und Wolf Biermann letztlich gescheitert ist, weil auch hier die Frauen den Haushalt machten. Andere Tafeln informieren über Jugendwerkhöfe als Erziehungsheime für "schwierige Jugendliche", die schon fürs Schulschwänzen ohne Zustimmung der Eltern eingeliefert werden konnten. Neben ausgestellten Pionierausweisen und DSF-Wimpeln ("Deutsch-Sowjetische Freundschaft") kann man einen Songtext der (Erfurter) Punkband Schleimkeim von 1985 lesen: "Norm, Norm, Norm, du bist zur Norm geboren / schaffst du keine Norm, bist du hier verlorn". Man erfährt auch, dass die Normverweigerer sich bei "Schwerter zu Pflugscharen" organisierten, in der Kirche von unten die Wahlfälschungen 1986 und 1989 aufdeckten und mit einer kircheneigenen Vervielfältigungsmaschine made in Westgermany "Morning Star"-Flugblätter druckten (beides ausgestellt).

Dahinter standen eher anarchistisch denn revolutionär gesinnte Aktivisten wie Dirk Moldt, der heute Mittelalter-Historiker ist, aber auch an der Ausstellung mitarbeitete. Moldt lästert gegen die "Gedenkmafia" und ihre extreme Humorlosigkeit. "Die erzählen immer nur, wie schlimm alles in DDR war. Es prallen oft zwei Grundansichten aufeinander: Die einen starren nur auf das Monster SED. Die anderen, so wie ich, fühlten sich trotzdem frei. Gerade auch die Punks kotzt die Opferdebatte an. Die wollten damals einfach einen Farbklecks setzen und haben das gemacht."

Ein paar Farbkleckse gibts auch zu sehen, auf einer Original-Punkerjacke. Vom Farbanschlag auf die graue DDR-Welt, Ecke Storkower Straße, am 26. Januar 1983 ist dagegen nur die Story überliefert. Damals hatten Jugendliche die alte Fußgängerbrücke bunt angemalt und mit Zeichnungen versehen. Das Happening im Storkower Tunnel verstand die Stasi als subversive politische Aktion von Umwelt- und Friedensbewegten und verhaftete die Beteiligten auf frischer Tat. Nach der Wende wurden sie übrigens nicht rehabilitiert, weil der Richter meinte, Graffiti sei halt auch im Westen strafbar.

Dies ist einer der wenigen Hinweise aufs Heute. Dabei betonen die Ausstellungsmacher ausdrücklich, eine Brücke schlagen zu wollen in die Gegenwart, wo aufrechter Gang und Zivilcourage ebenso gebraucht würden. "Widerstandsgeschichte als Demokratiegeschichte im Bezirk", so zieht Andy Hehmke von der Hedwig-Wachenheim-Gesellschaft den großen Kreis. "Wir wollen Schulklassen einladen, Bands könnten hier auftreten und Filme zum Thema gezeigt werden, um den Jugendlichen einen Zugang zu ermöglichen."

Auch der multimediale Charakter der Ausstellung soll verstärkt werden. Ein löblicher Vorsatz. Bisher kann man in einer Ecke am PC nur Zeitzeugen-Interviews anschauen. Hehmke wünscht sich, dass die Galiläakirche irgendwann ein "kleiner Knotenpunkt im Museumsnetzwerk" wird. Dass, wer Hohenschönhausen oder Mielkes Arbeitszimmermuseum besucht, vielleicht auch in der Rigaer Straße 9/10 vorbeikommt. Die Galiläakirche soll langfristig ein festes Museum für Jugendwiderstand werden. Das hat Berlin nun wirklich noch gefehlt.

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