Zu langsamer Ausbau der Stromnetze: 800 Millionen Euro Entschädigung

4 Prozent des Ökostroms gehen verloren, weil der Netzausbau zu langsam ist. Die Anlagebetreiber bekommen trotzdem Geld.

beleuchtete Strommasten vor dramatischem Abendhimmel und Windpark

Wird auch nur peu à peu fertig: Westküstenleitung, hier bei Klixbüll Foto: Christian Charisius/dpa

FREIBURG taz | 5,4 Milliarden Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Quellen gingen im ersten Halbjahr 2022 in Deutschland verloren, weil die Netze nicht ausreichten, um die Energie abzuführen. Das entspricht etwa 4 Prozent der in diesem Zeitraum erzeugten Menge Wind- und Sonnenenergie. Im vergangenen Jahr konnten insgesamt 5,8 Milliarden Kilowattstunden wegen dieser Netzengpässe nicht erzeugt werden. Das geht aus Zahlen der Bundesnetzagentur hervor.

Die größten Strommengen gehen immer wieder verloren, weil Windkraftanlagen gedrosselt oder aus dem Wind genommen werden müssen. Im vergangenen Jahr entfielen 59 Prozent der nicht erzeugten Kilowattstunden auf die Windkraft an Land, 36 Prozent auf die Windkraft auf See.

Mit 4 Prozent war der Anteil von Photovoltaik an den Verlusten in der Jahresbilanz 2021 relativ gering. Trotzdem sorgen die großen Freilandanlagen dafür, dass im Sommerhalbjahr auch der Solarstrom immer öfter von sogenannten Abregelungen betroffen ist. Im sonnenreichen zweiten Quartal 2022 hatte die Photovoltaik immerhin 12 Prozent Anteil an den nicht erzeugten Kilowattstunden.

Setzt man die verlorenen Kilowattstunden in Relation zu den Mengen, die mit der jeweiligen Technik erzeugt werden, zeigt sich noch deutlicher: Vor allem die Offshore-Windkraft ist betroffen. Sie verlor in den ersten beiden Quartalen dieses Jahres aufgrund von Netzrestriktionen zeitweise mehr als ein Sechstel ihrer möglichen Produktionsmenge. Die Onshore-Windkraft liegt deutlich niedriger im mittleren einstelligen Prozentbereich, die Photovoltaik bei rund einem Prozent.

Engpässe und fehlende Kapazitäten

Rund 73 Prozent der Verluste traten im vergangenen Jahr durch Engpässe im Übertragungsnetz auf, der Rest entfiel auf fehlende Kapazitäten im Verteilnetz. Die meiste Energie ging in Niedersachsen verloren, wo 45 Prozent der Verluste auftraten. Schleswig-Holstein folgte mit 32 Prozent auf Platz 2, wie die Bundesnetzagentur in ihrem Jahresbericht aufzeigt.

2021 fielen Kosten von fast 1,5 Milliarden Euro an, weil die Übertragungsnetzbetreiber Netzengpässe durch Maßnahmen wie vor allem den sogenannten Redispatch ausgleichen mussten. In diesem Fall werden auf Anweisung der Übertragungsnetzbetreiber – also abseits des Marktgeschehens – Kraftwerke vor dem Netzengpass gedrosselt und danach wieder hochgefahren. Auch die Kosten für solche Eingriffe steigen stetig mit dem Ausbau der Erneuerbaren.

Im laufenden Jahr liegen die Kosten für dieses Management der Netzengpässe bereits jetzt auf Rekordniveau. Allein im ersten Quartal kosteten die Eingriffe der Übertragungsnetzbetreiber 1,4 Milliarden Euro. Das hat mehrere Gründe: Dazu gehören die hohe Windeinspeisung im Februar, aber auch das zeitweilige Niedrigwasser des Rheins, weil dadurch der Kohletransport beeinträchtigt wurde und mehrere Kraftwerke in Süddeutschland nur eingeschränkt betriebsbereit waren.

Zusätzliche Kosten fallen an, weil Anlagenbetreiber auch Kilowattstunden aus Sonne und Wind vergütet bekommen, die sie aufgrund von Netzengpässen nicht erzeugen konnten – rund 807 Millionen Euro Entschädigung wurden 2021 dafür fällig. Auch diese Beträge werden über die Netzentgelte finanziert und damit von allen Stromkunden getragen.

„Es ist grotesk, dass wir über die Gefahr von Blackouts diskutieren und gleichzeitig Strom im Wert von über 800 Millionen Euro jährlich weggeschmissen wird“, sagte Dietmar Bartsch, Chef der Bundestagsfraktion der Linken. Der Wirtschaftsminister müsse endlich den Netzausbau voranbringen.

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