Bernd Begemann über seine Karriere: „Jemand wird dich scheiße finden“

Am 1. November ist Bernd Begemann 60 geworden. In seiner Hamburger Wohnung erzählt der Singer-Songwriter vom Musikmachen früher und heute.

Der Sänger, Gitarrist und Entertainer Bernd Begemann tritt auf der Jubiläumsshow zum 60. Jahrestag des ersten Auftritts der Beatles im Hamburger Club Indra auf.

Auf der Bühne ist alles gut: Bernd Begemann im Hamburger Club Indra Foto: dpa | Markus Scholz

taz: Bernd Begemann, was ist so schlimm an gestreamter Musik?

Bernd Begemann: Das Album war 50 Jahre lang eine kulturelle Kraft – und jetzt ist es weg. Du schreibst kein Lied mehr, damit es sich wundervoll in ein Album einfügt. Du schreibst es, damit es in eine Playlist aufgenommen wird. Das ist, als ob man Schriftstellern sagt: ihr dürft nur noch Kurzgeschichten schreiben, und zwar für Idioten.

Viel Geld verdient man auch nicht, oder?

Es ist schrecklich: Man macht Musik und sofort gehört sie Jeff Bezos und diesen schwedischen Kriegsgewinnlern.

Sie meinen, dass Spotify-Gründer Daniel Ek 2021 Geld in Militärtechnik investiert hat.

In den glorreichen Indierock-Zeiten, in den Neunzigern und Nuller Jahren, hattest du was, was nur dir gehörte. Die Labels mussten zu dir kommen. Jetzt musst du Leute bestechen, damit es in ihre bescheuerten Playlists kommt.

Also geben Sie selbst Konzerte, wo immer Sie können.

Mir ist klar geworden, dass die Bühne der Raum ist, wo ich mich am sichersten fühle. Deshalb sind meine Konzerte so lang. Die Zeit vergeht auf der Bühne anders. Jede Sekunde ist gedehnt, es gibt ein höheres Bewusstsein für dich selbst und den Raum. Du kannst keine Show spielen, ohne den Raum zu lesen. Manchmal sage ich etwas in einer Alltagssituation und werde angeguckt, als hätte ich jemandem auf den Teppich gekackt. Und dann singe ich denselben Menschen dasselbe, was ich eben gesagt habe, und sie finden es super!

geboren 1962 in Braunschweig, zog 1984 nach Hamburg. Er hat mehr als 20 Alben veröffentlicht. 100 ausgewählte Songtexte finden sich in seinem unlängst erschienenen Buch „Gib mir eine zwölfte Chance“ (Ventil Verlag, 224 S., 17 Euro).

Was ist das Schöne an Konzerten?

Ich will andere mit reinziehen in die Magie der Popsongs, die ich liebe. Ich liebe die Songs dafür, dass sie aufgehen und simpel sind. Dass sie eine Auflösung bieten und nicht wirklich aufhören.

Welche Songs lieben Sie selbst?

Buddy Holly zum Beispiel. Ich höre ihn, und alles wird hell. Es ist alles in Dur, sehr optimistisch. Da ist eine große Schlichtheit enthalten, die mir entgegenkommt. Das hat für mich einen reinigenden Effekt.

Vielleicht erklärt sich das mit der Empfänglichkeit für Optimismus biografisch: Sie wurden in Braunschweig geboren, sind aber bei Adoptiveltern in Bad Salzuflen aufgewachsen.

Ich bin mit vier Monaten aus dem Waisenhaus gerupft worden, wofür ich meinen Eltern sehr dankbar bin. Ich wäre mindestens Autodieb geworden. Haben Sie mal eine Dokumentation über deutsche Waisenhäuser in den Sechzigern gesehen? Höllische Orte. Ich konnte meine leiblichen Eltern später nicht aufspüren. Das Einzige, was ich weiß: Der Vater stammt aus dem Mittelmeerraum. Es dabei zu belassen, war ein großer Schritt meiner Erwachsenwerdung.

Es hat Sie nie gewurmt?

Meine Erkenntnis war: Leute machen Sachen aus Gründen. Hinter jeder Auflösung liegt ein neues Geheimnis. Irgendwann wollte ich meinen Seelenfrieden haben. Es ist keine Feigheit, etwas auf sich beruhen zu lassen, ich sehe darin eine tiefe Weisheit.

Wie hat es sich angefühlt, als Sie Ende der Siebziger mit Ihren ersten Bands spielten?

Als ich angefangen habe, Musik zu machen, machte das niemand. Das kann man sich kaum vorstellen. Ich hörte, dass es 50 Kilometer jemanden gab, der Lieder schreibt – das war eine Sensation! Heute bekommt man Popkultur nachgeschmissen, meine Tochter hatte schon in der Grundschule eine Rockband. Niemand denkt: Was für seltsames Zeug singt Ed Sheeran da? Die Leute nehmen Lieder immer noch ernst, besonders Heranwachsende. Meine Tochter seziert Lieder und sucht leidenschaftlich danach.

Was ist Ihr Rat an aufstrebende MusikerInnen?

Ich habe drei Regeln gegen Lampenfieber auf der Bühne. Erstens: Irgendjemand wird dich sowieso scheiße finden, also sorge dich nicht. Zweitens: Du musst nichts machen, was du nicht kannst. Wenn du singen sollst, musst du keinen dreifachen Rückwärtssalto machen. Drittens: Die Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass Menschen ihre Ansichten teilen.

Was heißt das?

Niemand will sich nachsagen lassen, dass er sich wichtig macht. Aber: Die Bühne ist ein demokratisches Forum. Du leistest einen Beitrag zu einer öffentlichen Diskussion. Du gibst dein Bestes, sagst, was du zu sagen hast und gehst wieder.

Sie haben gerade ein Buch mit Songtexten veröffentlicht. Woran erkennt man einen guten Song?

Wenn man anfängt, ist man immer begeistert. Aber jetzt ist mein Kriterium: will ich damit leben? Du musst so ein Lied lange mit dir rumtragen. Wer ein Buch schreibt, haut es irgendwann raus. Aber ein Lied osmosiert. Du bist wie ein alter Wal, an dir kleben Pockenmuscheln, die dich entstellen. Das verändert einen Song. Manche sagen: Wir spielen die alten Hits nicht mehr. Ich sage: Ich hatte nie Hits, kann also alles spielen.

Bernd Begemann & Die Befreiung: Do, 29. 12, 20 Uhr, Hamburg, Knust

War das einfach schlechtes Timing? In „Berlin war stärker“ heißt es: „Ich war schön als niemand hinsah, ich war brillant als es egal war“.

Ich war immer zu früh dran. Der erste auf dem Minenfeld. Olli Schulz meinte, er sei richtungslos gewesen, bis er auf meine Konzerte ging. Element of Crime haben gesagt, dass sie wegen mir auf Deutsch singen. Und Tocotronic haben auf einem meiner Konzerte zum ersten Mal zu dritt zusammengefunden. Dirk von Lowtzow …

… deren Sänger …

… schreibt, dass es für ihn eine neue Perspektive war, über eigentlich uninteressante Dinge zu singen und sie interessant zu machen. Ich sage dazu: Expeditionen ins Bekannte.

Kommt denn Ihr großer Hit noch?

Wenn du „Anton aus Tirol“ schreibst, dann hast du ausgesorgt. Das bleibt mir vielleicht verwehrt. Ich habe mein Glück gefunden: mich in Lieder zu versenken und dieses Gefühl mit anderen zu teilen. Das ist alles, was ich je wollte, fürchte ich.

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