Thriller „In der Nacht des 12.“ im Kino: Männer als Bedrohung

Der Thriller „In der Nacht des 12.“ des französischen Regisseurs Dominik Moll erzählt von einem Frauenmord – und der Enge der Provinz.

Der Polizist Yohan (Bastian Bouillon) und Nanie (Pauline Serieys) sitzen in einem sterilen Café.

„In der Nacht des 12.“: der Polizist Yohan (Bastian Bouillon) befragt Nanie (Pauline Serieys) Foto: 24 Bilder

Nachts sind die Straßen in Frankreich gelb. In den Dörfern im Bergland um Grenoble oft auch recht duster, weil an der Beleuchtung öffentlicher Räume gespart wird. Wo der schummrige Schein hinfällt, erscheint alles merkwürdig unwirklich. Als Clara am 12. Oktober 2016 um 3 Uhr morgens in Saint-­Jean-­de-­Mau­rien­ne das Haus ihrer besten Freundin Nanie verlässt, läuft sie durch den wie ausgestorben wirkenden Ort, schickt noch kurz eine Audionachricht.

Da tritt unvermittelt ein Mann aus dem Dunkel. „Clara?“ Er ist maskiert, sie fragt verängstigt, wer er ist. Ohne zu antworten, überschüttet der Unbekannte sie mit einer Flüssigkeit, ein Feuerzeug flammt auf, die junge Frau verbrennt bei lebendigem Leib. Ihre Leiche wird erst am nächsten Morgen gefunden, fast unkenntlich.

„In der Nacht des 12.“, das neue Thrillerdrama des deutsch-französischen Filmemachers Dominik Moll („Die Verschwundene“), erzählt von den Ermittlungen zu diesem Frauenmord und macht gleich zu Beginn klar, dass die Erwartungen an einen konventionellen Krimi und eine in Sicherheit wiegende Auflösung nicht erfüllt werden. Fast 20 Prozent der mehr als 800 Mordfälle jährlich in Frankreich würden nicht aufgeklärt, ist auf der Texttafel noch vor dem ersten Bild zu lesen. „Dieser Film handelt von einem davon.“

„In der Nacht des 12.“. Regie: Dominik Moll. Mit Bastien Bouillon, Pauline Serieys u. a. Frankreich 2022, 115 Min.

Diesen realen Fall entdeckte Moll in dem Buch von Paulina Guéna, die ein ganzes Jahr bei der Kriminalpolizei verbracht hat und deren Arbeit akribisch beschreibt, in den letzten beiden Kapiteln auch die Ermittlungen zu dem Mord an einer jungen Frau. Im Zentrum stehen der ehrgeizige junge Polizist Yohan (Bastian Bouillon), der gerade erst die Leitung seiner Einheit übernommen hat, und sein älterer Kollege Marceau (Bouli Lanners).

Schnell geraten die zahlreichen Affären und Sexbekanntschaften der Ermordeten unter Verdacht, von denen es mehr gibt, als Nanie den Beamten zunächst verrät, aus Furcht, ihre Freundin könnte damit ins falsche Licht geraten und ihr eine Mitschuld angedichtet werden.

Zeitaufwändige Ermittlungen

Von Verhör zu Verhör wird deutlicher, wie jede Beziehung Claras zu Männern von Gewalt geprägt war. Einer ihrer jungen Liebhaber war wegen Übergriffen auf andere Frauen bereits im Gefängnis, einer rappt frauenverachtende Texte, ein anderer Verdächtiger stalkte sie. Keiner zeigt große Regungen angesichts des Verbrechens, sie sehen in ihrem toxischen Verhalten nichts Problematisches. Auch in der Belegschaft, anfangs ausschließlich männliche Kollegen, fällt so manch chauvinistischer Spruch, so schockiert sie von der brutalen Tat auch sind. Doch keinem der Verhörten lässt sich der Mord nachweisen.

Moll nutzt die Konventionen des Genres und unterwandert sie zugleich. Bis in kleinste Details zeigt er die zeitaufwändigen Ermittlungen, die Beamten verbringen viel Zeit am Schreibtisch mit Berichten, und nimmt der Polizeiarbeit das vermeintlich Glamouröse.

Yohan ist zunehmend frustriert und zugleich besessen davon, den Fall zu lösen, je mehr er erkennt, wie sehr das Geschlechterverhältnis vergiftet ist. Selbst Yohans Freizeit, die er bei nachtgelbem Licht auf der Radrennbahn Runde um Runde verbringt, wird zur Metapher des Nichtvorwärtskommens. Und die Berglandschaft wird zum Bild eines Weltbilds, das in seinem eingeschränkten Horizont erstarrt ist. Ob Dorf oder Stadt macht da kaum einen Unterschied.

Doch so sehr er und sein Kollege, der verbitterte Marceau mit seinen Eheproblemen, im Mittelpunkt stehen, sind es letztlich die wenigen Frauenfiguren, die vor allem dem Chefermitt­ler die Augen öffnen und ihn dazu bringen, seine Arbeit zu überdenken. Neben Nanie, die den vorverurteilenden Blick auf das Opfer infrage stellt, über Claras Mutter und ihren unerträglichen Schmerz um den Verlust bis zur resoluten Staatsanwältin, die drei Jahre nach der Tat die Ermittlungen erneut aufnehmen lässt und damit eine überraschende Wende bringt.

Frauenhass und Gewaltpotential

Packend ist „In der Nacht des 12.“ dennoch. Das liegt nicht zuletzt an der Atmosphäre des Unbehagens und der Verunsicherung, die Moll exzellent beherrscht. Durch die akribische Schilderung der Ermittlungen enthüllt er die ständige Bedrohung durch toxische Männlichkeit und Frauenhass, ein Gewaltpotential, das sich durch alle Ebenen zieht.

Nichts daran ist sensationalistisch, selbst der Mord zu Beginn fast abstrakt inszeniert. Moll seziert kühl und rational und irritiert zugleich anregend, weil er bis zuletzt einfache Antworten verwehrt und sein Publikum mit schmerzhaften Fragen zurücklässt, die weit über den Fall hinausgehen und die Verhältnisse zwischen Frauen und Männern ganz allgemein berührt.

Am Ende ist der Mord zwar nicht gelöst, aber auf gewisse Art Yohan. Der begeisterte Rennradfahrer dreht sich nun nicht mehr im Kreis der Rundbahn, sondern fährt sich auf luftigen Serpentinen hoch oben in der weiten Natur der Alpen frei. Ein trügerisches Bild auch das, selbst bei Tageslicht.

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