Quallen, die vom Himmel fallen

Ein künstlerischer Blick auf den russischen Angriffskrieg: Das Haus am Lützowplatz zeigt in der Ausstellung „Früchte des Zorns“ Arbeiten vor allem aus der Ukraine

Alevtina Kakhidze, „Portraits of my mother/ Porträts meiner Mutter“, 2014–2022, Stickerei.Die ukrainische Künstlerin stellt eine Landschaft in der Region Donezk dar, wo ihre Mutter von 2014 bis 2019 unter russischer Besatzung lebte. Die Szenen zeigen die Mutter, wie sie sich im Keller vor Beschuss versteckt, wie sie Wasser zu ihrem Garten bringt und wie sie Tomaten aus dem Garten nach Hause bringt und dabei Checkpoints passieren muss. Foto: Alevtina Kakhidze

Von Martin Conrads

„Ukraine wird gewinnen – auch mit Waffen (das an Herrn Lederer – Linke)“. Der ungelenke Eintrag im Gästebuch der Ausstellung stammt vom 19. Januar. Der Angesprochene könnte das sogar gelesen haben, falls es ihm die große Zahl von sich dicht an dicht drängenden Be­su­che­r:in­nen des Eröffnungsabends gestattet hat, sich in den hinteren Bereich des Kunstvereins durchzudrängeln. Gerade hat er eine kurze Ansprache gehalten.

Das Haus am Lützowplatz hat eingeladen: „Früchte des Zorns – Versuch einer Annäherung: Ukraine“ ist die Ausstellung betitelt. Mit knapp zwanzig Arbeiten von vor allem ukrainischen und deutschen Künst­le­r:in­nen will sie „die Auswirkung des Krieges auf den Einzelnen und die Gesellschaft mit den Augen der KünstlerInnen zu sehen und zu verstehen“ geben.

Es erstaunt im Rückblick auf die letzten elf Monate, dass die Anzahl von Ausstellungen, die einen künstlerischen Blick auf den russischen Angriffskrieg vorschlugen, bisher überschaubar blieb, auch in Berlin. Das mag das große Interesse zur Eröffnung erklären, bei der vor allem Deutsch, Englisch und Ukrainisch zu hören ist. Dementsprechend richtet die deutsche Ko-Kuratorin Kateryna Rietz-Rakul ihre Begrüßungsworte erst in ukrainischer, dann in deutscher Sprache ans Publikum. Ihre ukrainische Kollegin Eleonora Frolov erklärt, dass es im Rahmenprogramm Führungen in allen drei Sprachen geben wird.

Die Kulturattachée der ukrainischen Botschaft, Alisa Podoliak, spricht davon, dass man gegen den Hass mit Kultur und Kunst kämpfe und dass die Ukraine bereit sei, ihre Kultur zu verteidigen, dass das Land zuallererst aber Waffen benötige; der Senator für Kultur und Europa Lederer spricht daraufhin von dem großen Respekt, den ihm die Realisierung dieser Ausstellung durch die Kuratorinnen angesichts des verbrecherischen Angriffskriegs abnötige (geht aber auf das „Zuallererst“ der Kulturattachée, die Notwendigkeit Waffen zu erhalten, nicht ein). Mit anderen Worten: allen Anwesenden ist bewusst, dass diese Ausstellung, dass die gezeigten Werke auch eine politische Wirkung entfalten könnten.

Dabei verzichtet „Früchte des Zorns“ weitgehend auf Abbildungen des Krieges, zeigt „keine direkten Bilder von Tod und Leiden“, wie die Kuratorinnen hervorheben. Klugerweise scheinen sie nicht das Risiko eingehen zu wollen, die gezeigte Kunst einem Propagandavorwurf ausgesetzt sehen zu müssen. Und so beschäftigen sich die Arbeiten, von denen einige bereits aus den Nuller- und Zehnerjahren stammen, auf indirekte und somit teils eindrücklichere Weise, als es dies vermuten ließe, mit der aktuellen Situation im Land, deren Ursprünge auch in der Zeit vor 2022, vor 2014 liegen.

Lesia Khomenko hat im Jahr 2011 ein der sowjetischen Propaganda dienendes, eine Szene angreifender Soldaten zeigendes Gemälde im Stil des Sozialistischen Realismus aus dem Jahr 1947 in einer nur mit groben Pinselstrichen ausgeführten, abstrahierenden Version nachgemalt. Dass sie als Vorlage eine daneben ausgestellte fotografische Reproduktion des Bildes aus einem „Ukrainische Malerei“ betitelten Buch von 1985 benutzt hat, zeigt die Komplexität ihrer künstlerischen Aneignung auf.

Ein kurzes Video aus dem Jahr 2008 von Mykola Ridnyi, das unter dem Eindruck des Kaukasuskrieges entstanden ist, zeigt wie von Flugzeugen abgeworfene Quallen, die eine friedliche Küstenszenerie mehr und mehr bedecken. Eine einfache Arbeit mit visueller Wucht.

Die Ausstellung könnte auch eine politische Wirkung entfalten

Anders, nämlich dokumentarisch, argumentiert die Arbeit von Clemens von Wedemeyer: Er kontrastiert Wehrmachtsfotografien aus Bachmut mit eigenen dortigen Videoaufnahmen von 2021 und Bildmaterial der letzten Wochen, das ihm zugeschickt wurde. Die Parallelen der Zerstörung sind offensichtlich, die historischen Ereignisse und die aktuellen Bilder erschütternd.

Nicht nur, wer mit den Arbeiten des 2022 verstorbenen belgischen Künstlers Steve Schepens bisher nicht vertraut war, wird sich über dessen Omnipräsenz in der Ausstellung wundern. Zwar haben viele seiner hier gezeigten Arbeiten einen Bezug zur Ukraine, aber die dominante Rolle, die seine vor allem skulpturalen Werke (etwa: eine Panzersperre aus Neonröhren) in der Ausstellung einnehmen, erschließt sich nicht.

Dass selbst der dem gleichnamigen Roman von John Steinbeck entlehnte Ausstellungstitel (wie Steinbeck wollen Frolov und Rietz-Rakul „Geschichte kommentieren, während sie stattfindet“) gleichzeitig der Titel einer Serie von Schepens ist, macht es nicht besser. Eine größere Auswahl von Arbeiten weiterer Künst­le­r:in­nen hätte dieser einprägsamen Ausstellung nicht geschadet.

„Früchte des Zorns – Versuch einer Annäherung: Ukraine“. Haus am Lützowplatz, Di.–So. 11–18 Uhr, bis 19. März