„Es war extrem hart, Stimmen zu mobilisieren“

Der Volksentscheid für ein klimaneutrales Berlin im Jahr 2030 scheitert am Quorum. Klimaaktivistin Luisa Neubauer erklärt, warum sie dennoch nicht niedergeschlagen ist

Ernüchterte Blicke am Wahlabend zum Volksentscheid in Berlin. Luisa Neubauer (im Vordergrund zweite von links) will bei der besseren Party dabei sein Foto: Florian Boillot

Interview Gareth Joswig

taz: Frau Neubauer, beim Berliner Klima-Volksentscheid fehlten am Sonntag über 160.000 Stimmen, um das notwendige Quorum zu erreichen. Wenn der Entscheid geklappt hätte, wäre dies einer der größten Erfolge der Klimabewegung geworden. Ist es nun ein riesiger Misserfolg?

Luisa Neubauer: Es heißt ja nicht umsonst Klimakampf. Wir sind es gewohnt, bergauf zu kämpfen. Die Kunst besteht nicht bloß darin, einen Sieg nach dem anderen zu organisieren, sondern die Widerstandsfähigkeit an so einem Tag zu erhalten und sich darauf zu besinnen, was wir hier geschafft haben.

Sie sagten vorher, vom Volksentscheid könnte ein klimapolitisches Signal um die Welt gehen. Welches Signal sendet Berlin jetzt in die Welt?

Es gibt eine heterogene Mehrheit unter den Wäh­le­r:in­nen in Berlin, die radikalen, schnellen und gerechten Klimaschutz in dieser Stadt möchte. Wir scheitern heute ja nicht an den Mehrheiten, sondern am Quorum, und dieses Signal bleibt.

Hat es eine Rolle gespielt, dass Volksentscheid und Berlin-Wahl nicht zusammen stattfanden?

Demokratie sollte es den Menschen so leicht wie möglich machen, ihr Kreuz zu setzen. Die Berliner Politik hat entschieden, es den Menschen schwerer zu machen, weil sie den Termin nicht mit der Berlin-Wahl zusammengelegt hat. Es ist für niemanden überraschend, dass es extrem hart war, Stimmen zu mobilisieren. Zuerst war ja sogar ein Wahltag in den Osterferien im Gespräch. Man hat es dann gütigerweise noch auf den Termin mit der Zeitumstellung gelegt – also einen Tag mit einer Stunde weniger als sonst. Das Vorgehen des Senats ist natürlich hochproblematisch.

Von Beginn an galt das Quorum als höchste Hürde. Dennoch sind es am Ende auch deutlich mehr Nein-Stimmen als erwartet. Ist die Mehrheit mit 50,9 Prozent nicht auch überraschend knapp?

Wir wurden lauter und lauter. Und auf einmal fingen fossile Beharrungskräfte an gegenzusteuern und haben auch mobilisiert. Und es wirkt natürlich, wenn man den Menschen erzählt: Klimaschutz in Berlin bedeutet, man nimmt den Menschen das Auto weg.

Wen meinen Sie konkret mit fossilen Beharrungskräften?

Wenn man einmal durch die Medien springt in den letzten acht, neun Tagen, wird es deutlicher: CDU und FDP in Berlin, aber auch große Teile der SPD. Dazu kommen polarisierende Stimmen in den Medien – und Teile der Industrie. Da wurde in den letzten Tagen fast panisch noch einmal alles an fossilem Populismus aufgefahren. Es war sehr bezeichnend, dass zuletzt Stimmen laut wurden, die die Finanzierung vom Klima-Volksentscheid kritisiert haben. Obwohl man weiß, diesen Volksentscheid gibt es nur, weil man ihn händisch per Unterschrift ermöglicht hat. Man kann sich keine Stimmen kaufen. Es sind interessanterweise die gleichen Dynamiken, wie sie vor 20, 30 Jahren gegen Forschung zur Klimakrise bemüht wurden. Damals hieß es, die Klimaforschung sei aus den USA finanziert und deswegen nicht rechtens.

Eine Gegenkampagne gab es im öffentlichen Raum nicht, aber eine große und sichtbare Kampagne für den Volksentscheid. Gab es in den vergangenen Monaten zu viele Diskussionen über Protestformen und Autoblockaden und zu wenige inhaltlich zielgerichtete Aktionsformen wie Lützerath?

Niemand von uns ist für einen persönlichen Posten angetreten oder einen Machtvorteil. Den Menschen hier geht es um das große Ganze. Auch die Menschen, die mit Nein gestimmt haben, sind auf diesen Planeten und unsere Lebensgrundlagen angewiesen. Niemand, der in den letzten Wochen und Tagen gegen diese Wahl mobilisiert hat, kann sich eine akzeptable Außentemperatur kaufen – wie Eckart von Hirschhausen es so gut formuliert. Aber natürlich macht es viele Menschen hier sehr nachdenklich, dass bei Klimafragen noch so viel zu tun ist, um Menschen mit eigentlich sehr banalen Erkenntnissen zu erreichen.

Luisa Neubauer

26, ist Mitiniatorin von Fridays for Future Deutschland und setzt sich als Aktivistin für die Einhaltung des Pariser Klimaschutz­abkommens ein. Sie ist Mitglied bei den Grünen und mehreren NGOs.

Vieles hatte für den Entscheid gesprochen: Der IPCC-Bericht in der Woche davor, zahlreiche Wissenschaft­le­r*in­nen und Künst­le­r*in­nen trommelten dafür.

Das hat uns große Schritte nach vorne gebracht. Aber immer offensichtlich wird dieser Tage auch: Wir verhandeln in der Klimakrise schon lange keine Fakten mehr, sondern Gefühle, Macht und Zugehörigkeiten. Es ist sehr schwer, da durchzukommen. Wir haben deutlich gesehen, wie populistisch und mit welchen Überschriften gegen die Kampagne gearbeitet wurde: Die Kostenfrage wurde komplett einseitig problematisiert, ohne anzuerkennen, wie teuer die Klimakrise erst werden wird. Ich selbst musste in einem Interview dem Moderator erklären, dass Klimaschutz eben nicht bedeutet, dass wir den Menschen die Autos wegnehmen.

Gibt es trotzdem wenigstens kleine Anlässe zum Feiern?

Wenn es Menschen gibt, die eine solche Situation bewältigen können, dann die Menschen in der Klimabewegung. Es ist ein sehr steiniger Weg, der bergauf führt. Aber egal, ob Sekt, Bier oder Apfelschorle, es ist auch unser Anspruch, immer die bessere Party zu sein als die der fossilen Zyniker.